Sonntag, November 24

Er ist vielleicht der langsamste Neunelfer, der je das Werk in Zuffenhausen verlassen hat. Aber er ist auch der, der am höchsten gefahren ist. Unterwegs mit dem Porsche 911 Altitude.

Die Karosserie hat Kratzer tief wie Narben. Alter Dreck klebt in den Radhäusern. Die Scheiben sind verstaubt, aussen wie innen. Auf dem Fussboden purzelt ein Energieriegel umher. Dieser 911 hat so gar nichts gemein mit den frisch polierten Sportwagen, die man sonst auf der Strasse sieht. Auch nicht mit den tiefergelegten Flitzern mit kaum profilierten Sportreifen auf Rennstrecken.

Vielmehr ist der 911 Altitude der extremste Bergsteiger aus Stuttgart-Zuffenhausen, dem Hauptsitz der deutschen Sportwagenmarke. Ein Reinhold Messner in seinen besten Jahren, vollgepumpt mit Adrenalin und dem unbeugsamen Willen, es ganz nach oben zu schaffen.

Und was für Messner der Mount Everest ist, ist für den Altitude der Ojos del Salado in Chile, der zweithöchste Berg der Anden. Keine Wege und erst recht keine Strassen führen hinauf. Damit der Porsche da hochkommt, greift der Dreifach-Le-Mans-Sieger und die Rekord-Allzweckwaffe Romain Dumas ins Lenkrad.

Am 2. Dezember 2023 erklimmt er morgens am Westkamm des Ojos del Salado fast den Gipfel. Erst bei 6734 Metern über dem Meeresspiegel muss Dumas stoppen. Weltrekord. Kein Auto kommt bis jetzt höher, nicht einmal ein Geländewagen der fähigsten Sorte – ein Unimog.

So hoch schaffte es ein Porsche 911

So hoch geht es heute nicht. Porsche hat das Rekordauto von Chile nach Kalifornien gebracht, damit ein paar Journalisten damit fahren können. Eine einmalige Gelegenheit. Denn kurz nach dem Abstecher ins Gelände geht das Rekordauto direkt ins Museum nach Stuttgart.

Innen an der Fahrertür baumelt noch ein Zettel für die Anweisung zur Anerkennung des Höhenrekords, während im Heck der Sechszylinder faucht. Festgeschnallt mit Fünfpunktgurten, wird der Fahrer eins mit dem Porsche. Im ganzen Auto dröhnt es, denn um Gewicht zu sparen, fehlt Dämmmaterial. Stattdessen setzt der 911 auf Überrollkäfig und hydraulische Handbremse.

Das manuelle Siebenganggetriebe schaltet sich spielend leicht. Im vierten Gang liegen rund 60 km/h an, die Höchstgeschwindigkeit liegt bei rund 80 km/h. Kein Serienelfer ist langsamer. Aber es ist auch keiner so extrem auf die Höhenfahrt getrimmt.

Kurz aufs Gas tippen, und der Sportwagen bricht in Kurven mit dem Heck aus – notfalls muss man mit der Handbremse nachhelfen. Statt Allrad setzt der 911 Carrera 4S bei der Probefahrt auf reinen Hinterradantrieb. Die «Warp-Connector» genannte Traktionskontrolle klackert und knarzt in tiefen Schlaglöchern, bietet dafür aber selbst auf einer hügeligen Piste Antrieb ohne Schlupf der Räder.

Genau für solche Extremverhältnisse wurde der 911 Altitude gebaut. Frank-Steffen Walliser, damaliger Leiter der 911-Baureihe, überlegte sich mit Kollegen 2019, was sie zum Jubiläum des 911 mit Allradantrieb veranstalten könnten.

1981 präsentierte Porsche auf der IAA in Frankfurt die Studie eines 911 Turbo Cabriolet mit Allradantrieb. Es war der Beginn einer neuen Ära. Im Rally-Wagen 953 kommt die Technik erstmals beim Rally Paris–Dakar 1984 zum Einsatz. Erfolgreich: Porsche gewinnt das härteste Wüstenrally der Welt.

Die Mitarbeiter fanden vor fünf Jahren schnell heraus, dass der Höhenrekord für Autos seit 2007 bei 6688 Metern stand. Der Rekord müsste doch zu knacken sein, am besten pünktlich zum vierzigsten Geburtstag des Porsche-Allradmodells, sagten sie sich. Ein paar Ingenieure wurden eingeweiht, tüftelten nach Feierabend und am Wochenende am «Saturday Club Project», wie es Sven Schaarschmidt, Entwickler bei Porsche und einer der am Projekt beteiligten Ingenieure, nennt.

Auch der Ort war schnell ausgemacht. Ojos del Salado, ein hoch gelegener Vulkan in Chile und mit 6893 Metern der höchste aktive Vulkan der Welt. Gleichzeitig ist er der höchste Berg der Welt, der mit einem Fahrzeug überhaupt noch befahrbar ist. Bis rund 4500 Meter über Meeresspiegel führt eine Schotterpiste, danach kommen bis 5800 Meter nur noch die fähigsten Geländewagen hinauf, anschliessend wird die Luft dünn. Für Mensch und Maschine.

Ein Unimog 5023 fährt am Westgipfel Ende 2019 bis auf 6694 Meter hoch. Porsche will aber noch höher kommen. Und das ausgerechnet mit einem Sportwagen des Typs 911.

Müsste klappen, denkt sich Achim Schulz, Fahrwerkingenieur des Le-Mans-Rennwagens 919. Er hat eine Idee: Warum nicht das erste Fahrwerk des 919 in den 911 umbauen, um permanente Traktion selbst dann zu erhalten, wenn Vorder- und Hinterachse in maximal entgegengesetzten Winkeln verschränkt sind?

Im Massstab 1:18 baut Schulz seine Idee in ein fahrfertiges Modell – und sieht, dass es funktioniert. Der Clou bei seiner Konstruktion ist das Fahrwerksystem «Warp-Connector» mit Verbindung zwischen Vorder- und Hinterachse. Sie verläuft quer durch den Innenraum und bietet ein oben querliegendes Federbein je Achse. So bleiben die Achslasten möglichst konstant und bieten dadurch eine optimale Traktion.

Den 911 findet Schulz in der Versuchsabteilung, das Auto ist längst abgeschrieben und steht kurz vor der Zerlegung – die ideale Basis. Beim 911 bleiben Motor und Getriebe im Serienzustand. Dafür ändern die Ingenieure das Fahrwerk und beschneiden die Karosserie – irgendwie müssen später für Geländewagen typische Portalachsen und riesige Offroad-Reifen in den Radkästen Platz finden.

Der 911 gewinnt insgesamt 35 Zentimeter an Bodenfreiheit. Technik, die sonst nur bei schweren Geländewagen zum Einsatz kommt. Damit und mit vierfacher Getriebeuntersetzung fährt der 911 zwar deutlich langsamer, aber seine Reifen beissen sich in den Boden wie die Hufe einer Bergziege.

Nur drei Monate benötigen die Ingenieure, um das Auto fertigzustellen – sie nennen es «Car D» oder «Doris». 2019 geht es zu ersten Fahrten auf die Geländestrecke, um die neue Fahrwerkskonstruktion zu überprüfen. «Das hat auf Anhieb alles funktioniert, und es war verblüffend, wie die Räder des Elfers gegenläufig einfedern können, ohne dass die Karosserie kippt», sagt Sven Schaarschmidt.

Bleibt noch der Motor. Über 4000 Metern ist die Luft schon sehr dünn. Das wirkt sich negativ auf die Verbrennung aus. Um den Serienmotor zu testen, erinnern sich alte Porsche-Mitarbeiter an eine Höhenkammer. Diese wurde Anfang der 1980er Jahre entwickelt, um Porsche-Flugzeugmotoren zu entwickeln. «Wir haben die Höhenkammer entstaubt und reaktiviert. Und dann auf 7000 Meter eingestellt», erklärt Schaarschmidt. Der Sechszylinder erreicht bei dieser Höhe zwar nur noch zwischen 150 und 200 PS statt seiner ursprünglichen 450 PS, fährt dafür aber zumindest dank neuen Kennfeldern stabil.

Ende 2019 packen die Ingenieure die Container, reisen anschliessend nach Chile. Doch das Anden-Wetter vermasselt die Tour, über 6000 Metern herrschen Schneesturm und Nebel – der Rekordversuch wird abgebrochen. Dann folgen zwei Covid-Jahre, in denen an Reisen nicht zu denken ist. Doch der Wunsch, den Rekord zu knacken, bleibt weiter bestehen.

Zweites Auto «Edith»

Auch wenn es beim ersten Mal nicht geklappt hat, sammelt Porsche ein paar wichtige Erkenntnisse und will sie in ein neues Auto implementieren. Wieder steht ein alter Versuchsträger zur Verfügung: Der Rally- und Rekordfahrer Romain Dumas baut in Frankreich den 911 Altitude namens «Car E» oder «Edith» auf.

Die Basis des ersten Modells stimmt. Aber die Ingenieure haben gelernt, dass der 911 durchaus noch Gewicht verlieren kann. Also setzen sie bei «Edith» auf Leichtbau, montieren Dach und Türen aus Carbon eines GT3-Rennwagens, dazu eine leichte Windschutzscheibe. Die Lenkung wird elektrisch, um präziser durchs Geröllfeld zu kommen, und die Differenziale lassen sich manuell sperren. Insgesamt verliert der Elfer rund 400 Kilogramm.

Die Gesamtübersetzung von «Edith» wird extrem verkürzt, den Unterboden verkleiden Platten aus Aramidfasern, um beim Ritt über Geröll und Lavasteine den Motor zu schützen.

Scheinwerfer fehlen, für sie ist unter der Karosserie wegen der grossen Räder kein Platz mehr. Hinter der vorderen Stossstange verbirgt sich eine Seilwinde, die Kühler wandern ins Heck.

Im Oktober 2022 geht es mit beiden Autos nach Chile. Alles ist bereit zum zweiten Versuch. Doch es herrscht ein Rekordwinter mit viel Schnee und noch mehr Eis. Auf 6000 Metern Höhe leistet das Team Schwerstarbeit, pflügt Eisspitzen auf riesigen Eisfeldern um, damit der Porsche Meter für Meter durchkommt.

Doch am Ende müssen sie vor einem riesigen Eisfeld kapitulieren – auf 6007 Metern. «Das war sehr frustrierend, aber es ging nicht mehr weiter», sagt Sven Schaarschmidt. Porsche beschliesst aber, dass die Autos in Chile bleiben und es einen dritten Anlauf geben wird.

Anfang Dezember 2023 sieht es gut aus. Endlich. Es wird der schneeärmste Monat seit Jahren. Innerhalb einer Woche akklimatisiert sich das 15-köpfige Team in der Höhe, darunter zwei Porsche-Entwickler, zwei Ärzte, der Pilot Romain Dumas und dazu Führer, Bergsteiger und Alpinisten aus Chile. Sie verbringen die Wochen im Zelt, bevor am 2. Dezember um 3 Uhr 30 die Fusstruppe startet.

Mit Stirnlampen suchen die Abenteurer ab 6400 Metern den besten Weg durch die Geröllfelder mit tiefem Schotter und Vulkanasche. Romain Dumas zündet um 6 Uhr den mit synthetischem Benzin getankten Boxermotor. Mühsam kraxelt er im Porsche bei minus 20 Grad Celsius den Berg hinauf. Zeitweise im Schritttempo erklimmt er die rund 40 Kilometer lange Strecke. Doch die Reifen greifen, die Warp-Konstruktion hält, und der Sechszylinder arbeitet zuverlässig.

Bei den letzten 50 Höhenmetern kommen selbst die grobstolligen Reifen an ihre Grenzen, die Hänge gehen nun fast senkrecht hinauf. Das Team entscheidet sich, die Seilwinde einzusetzen – die letzten Meter zieht sich der 911 an der Winsch selbst hinauf –, und bricht um 15 Uhr 58 den Rekord. Endlich geschafft. 6734 Meter über dem Meeresspiegel.

Das Team jubelt. «Ich werde dieses Erlebnis nie vergessen. Es war ein aussergewöhnliches Gefühl, dorthin zu fahren, wo noch kein Auto zuvor gewesen ist», sagte Romain Dumas nach seiner Rückkehr vom Gipfel. Seitdem trägt der 911 Altitude «Edith» seine Schmutzschicht voller Stolz.

Den vierzigsten Geburtstag hat Porsche mit dem Rekord zwar verpasst. Aber immerhin: Der Hersteller erhält einen Eintrag ins Buch der Rekorde, und «Edith» bekommt einen Platz im Museum – verkratzt und verdreckt.

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