Freitag, November 1

Vergangene Woche drohte Joe Biden mit einem Stopp der Lieferung von schlagkräftigen Offensivwaffen an Israel. Nun macht das Weisse Haus vorwärts mit einem grossen Rüstungspaket. Der amerikanische Präsident dämpft damit sein eigenes Warnsignal an Jerusalem.

Erst vor wenigen Tagen legte Joe Biden eine grosse Lieferung mit schweren Bomben an Israel auf Eis. Er werde eine grosse israelische Bodenoffensive auf die Stadt Rafah im Gazastreifen nicht unterstützen, erklärte der amerikanische Präsident gleichzeitig in einem Interview mit CNN. Am Dienstag informierte seine Regierung jedoch den Kongress, dass sie mit einer Waffenlieferung im Wert von einer Milliarde Dollar an Israel vorwärtsmachen wolle. Darin enthalten sind vor allem Panzermunition, gepanzerte Fahrzeuge und Mörsergranaten.

Es handelt sich dabei um einen langfristigen Prozess. Nachdem der Kongress in Kenntnis gesetzt worden ist, werden sich die Abgeordneten über das Rüstungspaket beugen. Es könnte Jahre dauern, bis die Waffen in Israel ankämen, sagte Seth Binder, ein Experte für amerikanische Nahostpolitik, dem «Wall Street Journal». Vor dem Hintergrund des Gaza-Kriegs habe die Entscheidung jedoch auch eine kurzfristige Signalwirkung. Sie schwäche den eigenen Versuch, die israelische Regierung unter Druck zu setzen, meinte Binder. Jerusalem könne davon ausgehen, dass die USA die israelischen Waffenarsenale nach dem Gaza-Krieg wieder auffüllen würden, trotz dem Streit über eine Offensive auf Rafah.

Kritik von allen Seiten

Aber nicht nur Experten, auch demokratische Politiker kritisieren den Präsidenten. Die USA sollten sämtliche Lieferungen von Offensivwaffen auf Eis legen, bis die israelische Regierung die Sorgen des amerikanischen Präsidenten bezüglich Rafah ernst nehme, erklärte der demokratische Senator Chris Van Hollen. Für ihn ist das grüne Licht für das neue Milliardenpaket ein Fehler: «Dieser Schritt untergräbt die vorhergehende Entscheidung des Präsidenten und sollte nicht vollzogen werden.»

Es lässt sich nur darüber spekulieren, warum Biden sein Signal von vergangener Woche nun selbst relativiert. Zum einen möchte er womöglich damit klarstellen, dass er immer noch fest an Israels Seite steht und nur die Lieferung spezifischer Waffen einschränken möchte, die in Bevölkerungszentren wie Rafah viele zivile Opfer fordern könnten. Die Republikaner warfen dem Präsidenten vor, ein «Waffenembargo» gegen Israel verhängen zu wollen. Biden lasse Israel völlig im Stich, kritisierte Donald Trump. Solchen Übertreibungen möchte der Präsident nun vermutlich sofort den Zahn ziehen.

Vielleicht reagiert Biden aber auch auf die Reaktionen seiner grossen Wahlkampfspender. Nach Bidens CNN-Interview vergangene Woche sandte der amerikanisch-israelische Medienmogul Haim Saban eine wütende E-Mail an Mitarbeiter des Präsidenten. Biden habe eine «schlechte, schlechte, schlechte Entscheidung» getroffen. Er solle sie bitte überdenken, schrieb Saban. «Lasst uns nicht vergessen, dass es mehr jüdische Wähler gibt, die sich um Israel sorgen, als muslimische Wähler, die sich um die Hamas sorgen.»

Republikaner wittern Chance

Gemäss dem Nachrichtenportal «Axios» hat Biden mit dem Lieferstopp für schwere Bomben viele proisraelische Amerikaner «sehr verärgert». Und dies versuchen die Republikaner natürlich auszunutzen. Sie haben ein Gesetz ausgearbeitet, mit dem der Präsident dazu gezwungen werden könnte, bereits bewilligte Waffenlieferungen an Israel zu vollziehen. Tut er es nicht, könnten Finanzmittel für das Verteidigungsministerium, das Aussenministerium oder den Rat für nationale Sicherheit gesperrt werden.

Da die Demokraten den Senat beherrschen, wird das Gesetz voraussichtlich nicht durch den Kongress kommen. Aber die Republikaner könnten die Vorlage im Repräsentantenhaus zur Abstimmung bringen, um mit dem Resultat zu verdeutlichen, wie gespalten die Demokraten gegenüber Israel sind. In Washington werden solche symbolischen Gesetzesvorhaben als «messaging bills» bezeichnet. Es geht nur darum, eine Botschaft zu senden, auch wenn die Vorlage keine Aussicht auf Erfolg hat.

Derweil drangen israelische Panzer im Gazastreifen in den vergangenen Tagen von Osten her tiefer in die Stadt Rafah vor. Rund 450 000 Menschen sollen bereits vor den Kämpfen geflüchtet sein. Viele von ihnen waren zuvor bereits aus anderen Teilen des Gazastreifens vertrieben worden und suchten Schutz in der südlichsten Stadt der Enklave. Biden warnte deshalb vor einer humanitären Katastrophe, sollte Israel in Rafah einmarschieren. Sein Aussenminister Antony Blinken bezeichnete eine Offensive ohne Plan für den Tag nach dem Krieg zudem als aussichtslos. Auch wenn Israel die verbleibenden Hamas-Brigaden in der Stadt dezimieren sollte, würde die islamistische Organisation das zurückbleibende Machtvakuum im Gazastreifen immer wieder füllen.

Für das Weisse Haus hat Israel derzeit die rote Linie in Rafah aber noch nicht überschritten. Die israelischen Streitkräfte gingen «gezielt» vor, meinte Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan am Montag. In den nächsten Tagen will er für direkte Gespräche nach Israel reisen, um eine umfassende Bodenoffensive noch abzuwenden. Mit den gemischten Signalen, die der amerikanische Präsident derzeit aussendet, scheint es jedoch fraglich zu sein, ob dieser Druck ausreicht, um vor allem den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu umzustimmen.

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