Dienstag, November 26

Der Ultranationalist Calin Georgescu hat die erste Runde der rumänischen Präsidentschaftswahl klar gewonnen. Im korruptionsgeplagten Land ist die Frustration über die politische Elite gross. Davon profitiert die extreme Rechte.

In Rumänien hat ein Wahlkampf, der von inhaltlicher Leere und einem mittelmässigen Kandidatenfeld geprägt war, in einem politischen Erdbeben geendet. Völlig überraschend hat der parteilose Rechtsaussenpolitiker Calin Georgescu bei der Präsidentschaftswahl vom Sonntag mit knapp 23 Prozent der Stimmen das beste Ergebnis erzielt.

Wenn sich der promovierte Agrarwissenschafter auch bei der Stichwahl in zwei Wochen durchsetzt, hat der sechstgrösste EU-Staat und das einzige verlässlich prowestliche Nato-Land am Schwarzen Meer künftig einen Präsidenten, der Rumäniens faschistische Vergangenheit verherrlicht und sich offen prorussisch äussert.

Wahlkampf auf Tiktok

Georgescu betrieb seinen Wahlkampf vor allem auf dem Land und in den sozialen Netzwerken. Damit blieb er lange unter dem Radar vieler Beobachter. Vor allem auf Tiktok gewann er in den letzten Wochen Hunderttausende neuer Follower hinzu.

Journalisten haben nachgezeichnet, wie sich Georgescus Team dabei den Algorithmus der chinesischen Videoplattform zunutze machte, um Sympathisanten anderer Parteien zu ihren Beiträgen zu lenken. Woher der Politiker über die Mittel und die Expertise für eine ausgefeilte Social-Media-Kampagne verfügt, ist unbekannt.

Profitiert hat der Überraschungssieger aber auch von der politischen Desillusionierung im Land. Der unter Präsident Klaus Iohannis stark gewachsene Einfluss der Sicherheitsdienste auf die Politik und die opportunistische, äusserst unbeliebte Koalition von Konservativen und Sozialdemokraten verstärkte bei vielen Wählern die Überzeugung, dass die Politik ein abgekartetes Spiel sei.

Bei früheren Urnengängen konnte vor allem die prowestliche Reformpartei USR von dem Ärger über die etablierten Parteien profitieren. Nun wenden sich enttäuschte Protestwähler aber vermehrt auch Kräften am rechten Rand zu.

Historischer Revanchismus und orthodoxe Frömmelei

Georgescu ist Lehrbeauftragter einer Universität, hat in seiner Karriere aber auch für das rumänische Umweltministerium und in unterschiedlichen Uno-Gremien für nachhaltige Entwicklung gearbeitet. Seine Organisation Pamantul Stramosesc (Land der Ahnen) setzt sich mit der Parole «Nahrung, Wasser, Energie» für die eigenständige Versorgung des Landes ein. Benannt ist die Bewegung nach der Zeitschrift der faschistischen Legionärsbewegung der Zwischenkriegszeit.

Die Vermengung von patriotischer Empörung über die Ausbeutung von Land und Leuten, orthodoxer Frömmelei und historischem Revisionismus ist typisch für die rumänische Rechte. Unter anderem bezeichnete Georgescu den Anführer der Legionärsbewegung Corneliu Codreanu, einen glühenden Antisemiten, sowie den Militärdiktator Ion Antonescu, den für den rumänischen Holocaust Hauptverantwortlichen, als Märtyrer und Helden.

Rumänien war im Krieg mehr als nur ein Erfüllungsgehilfe des deutschen Verbündeten, es betrieb eine eigene Vernichtungspolitik. Dieser fielen in Rumänien und vor allem in den von Rumänien besetzten Gebieten in der heutigen Moldau und der Ukraine mehrere hunderttausend Juden und Zehntausende Roma zum Opfer. Das Massaker von Odessa vom Juli 1941 war eines der blutigsten des Krieges. Eine breitenwirksame Aufarbeitung dieser Geschichte hat aber nie stattgefunden.

«Historischer Moment für Rumänien»

Das Potenzial für revisionistische, ultranationalistische Kräfte in Rumänien ist bekannt. Während der Pandemie ist die Allianz für die Vereinigung der Rumänen (AUR) zu nationaler Bedeutung angewachsen. Ihrem Präsidenten George Simion wurden im Vorfeld der Wahl gute Chancen für den Einzug in die Stichwahl eingeräumt. Mit knapp 14 Prozent landete er nun auf dem vierten Platz.

Georgescu war einst Mitglied der AUR. Nach seinen verharmlosenden Äusserungen über die faschistische Vergangenheit des Landes trennten sich Anfang 2022 jedoch die Wege. AUR-Chef Simion ist um ein gemässigteres Auftreten bemüht. Im Wahlkampf nannte er Giorgia Meloni und ihre Fratelli d’Italia als politische Vorbilder für seine Partei.

Simion gab noch am Wahlabend seine Empfehlung für Georgescu in der Stichwahl ab. Gemeinsam erzielten die beiden souveränistischen, revisionistischen Kandidaten am Sonntag mehr als ein Drittel aller Stimmen.

Angesichts dieses Resultats spricht der Historiker Oliver Jens Schmitt von der Universität Wien gegenüber der NZZ von einem sehr besorgniserregenden, historischen Moment für Rumänien. Schmitt hat die erste Biografie über den Legionärsführer Codreanu verfasst und wies früh darauf hin, wie sich Georgescu als dessen Wiedergänger zu inszenieren sucht.

Wichtiger Nato-Staat

Das Amt des Staatsoberhaupts ist in Rumänien weitgehend repräsentativer Natur. Der Präsident ist aber Oberkommandierender der Streitkräfte und hat auch in der Aussenpolitik durch die Ernennung von Botschaftern einen gewissen Spielraum.

Georgescu weigert sich, den russischen Überfall auf die Ukraine zu verurteilen. Darauf angesprochen, antwortete er, Wladimir Putin liebe sein Land. Mit Kritik an Nato und EU spart der rumänische Nationalist jedoch nicht. Letztere nannte er einst ein gescheitertes Projekt. Im rumänischen Dienst des russischen Propagandasenders Sputnik erschienen bis zum Sendeverbot mehrere Beiträge, die Georgescu priesen.

Rumänien ist wegen seiner strategischen Lage und der relativ starken Streitkräfte von beträchtlicher Bedeutung für die Nato. Das Land hat eine 400 Kilometer lange Grenze zur Ukraine. Wichtige Versorgungsrouten führen über rumänisches Territorium. In der Nähe der Hafenstadt Constanta wird zudem die grösste Nato-Basis Europas gebaut. «Georgescus Wahl zum Präsidenten wäre einer der grössten Erfolge für Putin in Europa», sagt der Rumänien-Experte Schmitt.

Gegner in Stichwahl noch nicht bestätigt

Die Hoffnungen des demokratischen Lagers liegen nun auf Elena Lasconi. Die Chefin der prowestlichen Reformpartei USR zieht mit hauchdünnem Vorsprung auf den sozialdemokratischen Regierungschef Marcel Ciolacu als Zweitplatzierte in die Stichwahl am 8. Dezember ein. Noch am Wahltag galt Ciolacu als klarer Favorit.

Im Jahr 2000 hatte sich Vadim Tudor von der rechtsextremen Partei Grossrumänien für die Stichwahl qualifiziert. Daraufhin vereinten sich alle demokratischen Kräfte hinter dem Sozialdemokraten Ion Iliescu und wählten ihn zum Präsidenten.

Die Parlamentswahlen am kommenden Sonntag sind ein Stimmungstest, ob dieses Kunststück erneut gelingen kann. Vor der Stichwahl ums Präsidentenamt bestellen die Rumänen ihr Abgeordnetenhaus neu. Nach diesem Sonntag muss man dabei auf alle Überraschungen gefasst sein.

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