Donnerstag, Januar 16

Der französische Dichter Charles Nodier hat 1818 mit einer schauerromantischen Abenteurergeschichte Furore gemacht.

Modeste Mignon, Vielleserin und Heldin in Balzacs gleichnamigem Sittenbild, hat sich von ihm hinreissen lassen: dem Roman «Jean Sbogar» von Charles Nodier (1780–1844). Er wurde schon früh ins Deutsche übersetzt und dann lange vergessen. Dabei war dieser «romantische Räuberroman» Nodiers literarischer Durchbruch. Nun liegt er wieder vor, in einer überarbeiteten und vervollständigten Übersetzung der Heidelberger Romanistin Alexandra Beilharz.

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Charles Nodier gilt in Frankreich als Anreger der schwarzen Romantik, für manche sogar als Vorläufer des Surrealismus. Sohn aus gutem Hause in Besançon, Bibliothekar von Beruf, war er ein Revolutionskritiker und Verächter Napoleons, später wurde er in die Académie française aufgenommen, gründete die royalistisch-romantische Literatengruppe Cénacle de l’Arsenal, zu der auch Hugo, Gautier und der Kritiker Sainte-Beuve gehörten. Er sinnierte über eine Art «Zukunftsmensch», denn in den Menschen, wie er sie antraf, konnte er nicht den Gipfelpunkt der Schöpfung erkennen. «Jean Sbogar» erschien 1818 zunächst anonym – im selben Jahr übrigens wie Mary Shelleys «Frankenstein». Es waren schaurige Zeiten damals.

Der Roman spielt in den legendären Städten Triest und Venedig. Der Brigant Sbogar, in Istrien gefürchtet, trifft im sogenannten Farnedo, dem «Wäldchen» von Triest, auf ein wunderschönes, schlummerndes Mädchen und verliebt sich auf der Stelle. Wir sind in einer «Gegend voller Poesie». Eher poetisch ist auch Sbogars Liebe, die er empfindet, sie ist rein schwärmerisch. Niemals träte er diesem Wesen zu nahe, vertraut er seinem Kumpan an.

Schwermut und Sehnsucht

Die junge Frau im Gras ist die «lebhafte und reizbare» Antonia, Waise und vermögende Erbin, die von ihrer älteren Halbschwester, der Witwe Frau Alberti, umsorgt wird. Eltern und Gatten sind in diesem Roman allesamt tot. Auch Lothario ist elternlos, ein geheimnisumwitterter reicher Herr, den Antonia in Venedig kennenlernt (wohin die Schwestern wegen einer Erbschaftsangelegenheit gereist sind).

Zuneigung gibt es auf beiden Seiten, aber tiefschürfende Gespräche über existenzielle Themen wie Liebe, Glaube und Verbrechen entdecken, dass den zögerlichen, empfindsamen Lothario ein Geheimnis belastet, das wir erst am Ende erfahren, aber schon länger ahnten. Fast unvermittelt erscheint das Kapitel mit Lotharios – hier erstmals ins Deutsche übersetzten – lebensklugen und erstaunlich aktuellen Sentenzen und Aphorismen, in denen dann auch romantisch-antibürgerlich steht: «Die Plagen gehören zur Ordnung der Natur, die Gesetze hingegen nicht.»

«Jean Sbogar», Liebesgeschichte und Ideenroman in einem, ist durchzogen von romantischen Momenten: vergeblichen Sehnsüchten, schwermütigen Landschaften, finsteren Burgen, auch das Schloss Duino, wo später Rilke weilen würde, kommt vor. Wie schon in Tiecks Künstlerroman «Franz Sternbalds Wanderungen» zwanzig Jahre zuvor sind «Schwermut und Schönheit» nicht zu trennen.

Aber das betrifft nicht nur Personen, auch der Lido von Venedig zum Beispiel ist von «Trauer und Feierlichkeit» geprägt. Wesentliches Stimmungselement der Erzählung ist das Rätselhafte, was sich in zauberischer Unschärfe zeigt, «wie in eine Wolke eingehüllt», einer «unbestimmten Unendlichkeit» in Menschsein und Natur, in der «Erde, Meer und Himmel» nicht auseinanderzuhalten sind.

Der ganze Roman befindet sich in einem reizvollen Zwischenreich von Fabel und Realität. Seine Sprache ist reich, überbordend und doch geschmeidig, das sanfte Pathos passt zur schwärmerischen Schilderung der Liebe und des Glaubens, die zur christlichen Überzeugung führt: Gott ist Liebe. Das heisst aber leider auch, wer an jenen nicht glaubt, ist für diese nicht fähig; ihm bleibt nur das Nichts – ein Problem, mit dem Lothario sich herumschlägt und das auch die wackere Antonia nicht lösen kann.

Doppelnaturen

Ein paar Wort- und Ortserklärungen, auch ein Nachwort der Herausgeberin über Nodiers Aktivitäten und Verdienste innerhalb der romantischen Bewegung wären schön gewesen. Womöglich sogar einige Gedanken über die Radikalität der Romantik, über das Alles oder Nichts, wofür im Grunde ja hier ideale Zustände herrschen: Held und Heldin sind Doppelnaturen, der Held sogar ganz konkret: Er ist der edle, gefühlvolle und geliebte Herr namens Lothario und der mörderische, gefürchtete Räuberhauptmann. Sie ist die gutsituierte Erbin und die junge, neugierige, sehnsüchtige Frau.

Im Grunde könnte sie mit Lothario/Sbogar alles haben, aber das erträgt sie dann doch nicht. Immerhin ist in der deutschen Ausgabe nun auch das Vorwort des Autors für die Edition von 1832 abgedruckt, in dem Nodier unter anderem auf den Vorwurf des Plagiats eingeht. Er kontert ihn mit feiner Ironie und Selbstironie.

Charles Nodier: Jean Sbogar. Roman. Aus dem Französischen von August von Hogguer und Johannes Mumbauer, überarbeitet und ergänzt von Alexandra Beilharz. Flur-Verlag, Heidelberg 2024. 248 S., Fr. 28.50.

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