Montag, Januar 27

Öffentlich erhobene Missbrauchsvorwürfe, die eine Karriere beenden – und sich am Ende im Wesentlichen als falsch herausstellen: Das gab es beim öffentlichrechtlichen Sender schon einmal.

«Uns ist als RBB in der Recherche ein Fehler unterlaufen», stand in einem Statement des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB). Der Fehler: Im Dezember 2024 hatte der RBB Missbrauchsvorwürfe gegen den Grünen-Politiker und Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar publik gemacht und damit dessen politische Karriere vorerst beendet.

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Im Artikel werden Vorwürfe verschiedener Frauen genannt. Schwer wiegen jedoch primär jene von «Anne K.», die ihre Aussage – etwa dass es zu einem erzwungenen Kuss mit Gelbhaar gekommen sei – mit einer eidesstattlichen Versicherung unterstrich. Doch eine Recherche des «Tagesspiegels» ergab: Anne K. existiert gar nicht.

Diese Vermutung bestätigte der RBB-Chefredakteur David Biesinger gegenüber dem «Tagesspiegel» schliesslich selbst: «Journalistische Standards sind nicht vollumfänglich eingehalten worden. Die hinter der eidesstattlichen Versicherung liegende Identität ist von der Redaktion nicht ausreichend überprüft worden.» So hat sich die Redaktion weder mit der Informantin getroffen, noch wurde die Identität der Frau, zum Beispiel mittels Ausweis, kontrolliert.

Ein RBB-Sprecher sagt, man analysiere nun das Geschehene, um einen solchen Recherchefehler künftig zu vermeiden. Das allerdings hätte schon viel früher passieren sollen, denn es ist nicht der erste Fehler dieser Art.

Der Fall «Oh Boy»

Im Sommer 2023 berichtete RBB24, ein Nachrichtenformat von RBB, über einen anderen mutmasslichen Missbrauchsfall. Einige Wochen zuvor war die Anthologie «Oh Boy» erschienen, in der verschiedene Autoren sich kritisch mit dem Thema Männlichkeit auseinandersetzten. Einer der Herausgeber gestand in seinem literarischen Text einen sexualisierten Übergriff.

Der Text thematisiert Scham- und Schuldgefühle und hinterfragt, wie der Autor eine Situation derart falsch interpretieren konnte. Er beschreibt aber – um die Anonymität der Betroffenen zu wahren – die gemeinte Situation selbst nicht. Das tat stattdessen RBB24.

Während der Autor beteuerte, zwar zu weit gegangen zu sein, das «Nein» der Frau aber sofort akzeptiert zu haben, wird die Betroffene, die sich erst Rabea und später Josy nennt, im RBB-Artikel so zitiert: «Ich habe versucht, seine Hand wegzuziehen, bin aber total auf Widerstand gestossen. Er hat erst von mir abgelassen, als er seine Befriedigung bekommen hat, oder was auch immer. Und dann ist er einfach gegangen, ohne ein Wort zu sagen.» Den Autor nennt RBB24 einen «Peiniger».

Problematische Stellen kommentarlos gelöscht

Andere Medien zitierten den RBB-Artikel, aus dem anfänglichen Lob für den mutigen Text wurde heftige Kritik. Bald darauf zog der Verlag sein Buch zurück. Der Autor arbeitet heute in einem anderen Berufsfeld. Nur: Was in diesem Artikel stand, stimmt so wohl gar nicht.

Später nämlich wurden der heikle Teil «Er hat erst von mir abgelassen, als er seine Befriedigung bekommen hat» und der Ausdruck «Peiniger» kommentarlos aus dem Text entfernt.

Auf Anfrage der NZZ antwortete die RBB-Pressestelle damals: «Die zuständige Redaktion, RBB24 digital, kann aktuell die Änderungen nicht nachvollziehen. Die Autorin selbst ist für uns ebenfalls nicht erreichbar. Wir müssen also zum jetzigen Zeitpunkt leider passen.»

Verantwortung übernehmen

Im gegenwärtigen Fall hat der RBB bei der Staatsanwaltschaft Berlin Strafanzeige gegen die Grüne-Politikerin Shirin Kresse eingereicht. Kresse habe sich gegenüber dem Sender selbst als «Anne K.» ausgegeben, um Gelbhaars politischer Karriere zu schaden. Kresse bestreitet die Vorwürfe und erklärt, bloss den Kontakt zu «Anne K.» hergestellt zu haben. Sie ist mittlerweile aber aus der Partei ausgetreten.

Am kommenden Donnerstag will sich das RBB-Kontrollgremium zu einer Sondersitzung treffen, um nachzuvollziehen, wie solche Fehler passieren konnten.

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