Die Wähler in Iran müssen sich entscheiden: Sich enthalten und hinnehmen, dass ein Hardliner gewinnt? Oder die begrenzten Möglichkeiten der Mitbestimmung nutzen und damit das autoritäre Regime legitimieren?

Die Wahlen in Iran stellen die Kritiker des Regimes seit Jahrzehnten vor ein Dilemma: Wer an den gelenkten Wahlen der Islamischen Republik teilnimmt, legitimiert das autoritäre Regime. Wer sich aber aus Protest seiner Stimme enthält, riskiert, dass ein Hardliner gewinnt. Auch vor der Präsidentenwahl am Freitag haben viele Regimegegner zum Boykott aufgerufen. Sie argumentierten, zu wählen sei sinnlos. Keiner der Kandidaten verkörpere den Wunsch des Volkes nach Wandel, zudem sei der Präsident ohnehin machtlos, den Kurs zu ändern.

Die Wahlergebnisse nun zeigen zweierlei: Einerseits sind 60 Prozent der Wähler den Urnen ferngeblieben – aus Apathie, Desinteresse oder als bewussten Akt des Protests. Eine Mehrheit jener, die sich zur Wahl entschieden haben, hat andererseits dem Reformer Masud Pezeshkian ihre Stimme gegeben. Sie haben offensichtlich die Hoffnung noch nicht aufgegeben, in dem streng kontrollierten Wahlsystem der Islamischen Republik mit ihrer Stimme etwas bewirken zu können.

Statt durch ihre Enthaltung die Ablehnung des Systems auszudrücken, haben sie es vorgezogen, ihre begrenzten Möglichkeiten zur Mitgestaltung zu nutzen. Trotz der wiederholten Enttäuschungen durch die Reformer, die ihr Versprechen zur Öffnung des Landes und zur Änderung der Verfassung bisher nicht haben einlösen können, haben sie ihnen die Stimme gegeben, als die Führung um Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei ihnen die Chance dazu geboten hat.

Pezeshkian galt zunächst nur als Zählkandidat

Nicht nur im Ausland, auch in Iran war der Herzchirurg und Abgeordnete Masud Pezeshkian vor vier Wochen praktisch unbekannt. Als der 69-Jährige als Kandidat der Eslahtaleban (Reformer) zur Präsidentenwahl zugelassen wurde, galt er vor allem als Zählkandidat. Viele nahmen an, dass die Führung ihn nur zugelassen hatte, um den Anschein eines demokratischen Wettbewerbs zu erwecken und eine höhere Wahlbeteiligung zu erreichen.

Als Favoriten wurden der Parlamentspräsident Mohammed Bagher Ghalibaf und der frühere Atom-Unterhändler Said Jalili gehandelt. Die Hardliner galten auch als Wunschkandidaten Khameneis. Doch nun hat es Pezeshkian mit den meisten Stimmen in die Stichwahl gegen Jalili geschafft. Ghalibaf, ein früherer General und Teheraner Bürgermeister, blieb weit abgeschlagen. Den Konservativen schadete wieder einmal, dass sie sich nicht auf einen Kandidaten einigen konnten.

Innerhalb weniger Wochen ist es Pezeshkian gelungen, sich in den Fernsehdebatten mit den anderen Kandidaten, auf Kundgebungen und durch geschickt inszenierte Diskussionen mit jungen Leuten als moderate Alternative zu präsentieren. Mit dem früheren Aussenminister Mohammed Javad Zarif gewann er zudem einen wichtigen Unterstützer. Kurz vor der Wahl stellten sich auch die früheren Präsidenten Mohammed Khatami und Hassan Rohani hinter ihn.

Die beste aller schlechten Optionen

Vor der Stichwahl am nächsten Freitag werden nun alle Iranerinnen und Iraner, die bei der ersten Runde zu Hause geblieben sind, entscheiden müssen, ob sie doch noch abstimmen. Es ist eine schwierige Frage, auf die es keine einfache Antwort gibt. Kaum ein Wähler dürfte sich Illusionen machen, dass Pezeshkian als Präsident einen grundlegenden Wandel der Politik erreichen könnte. Es ist klar, dass die Verfassung seinen Gestaltungsmöglichkeiten enge Grenzen setzt und die wahre Macht bei Khamenei und den Revolutionswächtern liegt.

Zudem gibt es berechtigte Zweifel, dass Pezeshkian als Hoffnungsträger taugt. Er gilt zwar als nicht korrupt und hat wiederholt scharfe Kritik an der Repression des Regimes geäussert. Ebenso hat er sich für die Rechte der ethnischen Minderheiten eingesetzt. Er hat aber auch dem Revolutionsführer seine Treue versichert und keinen Zweifel daran gelassen, dass er fest zum System steht. Tiefgreifende Reformen wären von ihm kaum zu erwarten, selbst wenn er die Macht dazu hätte.

Ihn zu wählen bedeutet, ein autoritäres, korruptes, zum Wandel unfähiges System zu stärken, das die meisten Iraner ablehnen. Dies haben die Proteste im Herbst 2022 klar gezeigt. Die Proteste haben aber auch gezeigt, wie schwierig es ist, Irans repressives Regime zu stürzen. Auch wenn es alle Legitimität verloren hat, bleibt es fest im Sattel. Womöglich ist es da doch besser, die begrenzten Gestaltungsmöglichkeiten zu nutzen und den am wenigsten schlechten Kandidaten zu wählen. Die Iraner haben das Wort. Um ihre Entscheidung sind sie nicht zu beneiden.

Exit mobile version