Donnerstag, November 14

Die Amerikanerin gewinnt die WTA Finals in Riad. Der Austragungsort aber ist wegen der Menschenrechtsverstösse ausgesprochen umstritten. Die WTA kümmert das kaum.

Im Tennis werden neuerdings nicht einfach nur mehr Turniere gewonnen und Titel vergeben. Es wird immer gleich auch Geschichte geschrieben. Folgerichtig betitelte die Women’s Tennis Association (WTA) ihre Medienmitteilung zum Masters in Riad mit «History Maker Coco».

Die Geschichte, welche die 20-jährige Amerikanerin geschrieben hat: Gauff bezwang im Final der WTA Finals der besten acht der Saison die chinesische Olympiasiegerin Zheng Qinwen 3:6, 6:4, 7:6 und gewann dafür ein Preisgeld von 4 805 000 Dollar. Es ist die höchste Summe, die im Frauentennis bisher ausgeschüttet worden ist. Und Grund genug für die WTA, sie zum «history maker» zu machen.

Coco Gauff vs. Zheng Qinwen | 2024 WTA Finals Riyadh Final | Match Highlights

Das Preisgeld als wichtigster Massstab

Tennis ist eine jener Sportarten, welche die Wichtigkeit ihrer Anlässe ungeniert am Preisgeld misst. Dabei war die WTA zu Beginn der 1970er Jahre von der amerikanischen Ikone Billy Jean King und ihren Mitstreiterinnen gegründet worden, um für gleiches Preisgeld und gleiche Rechte für die Frauen zu kämpfen. Billie Jean King tat das unter anderem in der legendären Battle of the Sexes gegen ihren amerikanischen Konkurrenten Bobby Riggs.

Es war ein Kampf, der schnell Früchte trug. Das US Open 1973 zahlte als erstes Turnier im Tennis gleiche Preisgelder für Frauen und Männer, alle anderen zogen früher oder später nach. Deshalb fragt man sich heute: Verrät die WTA nicht ihre Ideale und den Gründungszweck, wenn sie die Frauen ausgerechnet in Saudiarabien antreten lässt? Selbst Spielerinnen wie Elena Rybakina oder Aryna Sabalenka äusserten sich bereits zu Beginn der Woche kritisch und fragten sich: «Was tun wir eigentlich hier?»

Das Frauentennis lebt von starken Persönlichkeiten, welche sich auch immer wieder zu Geschlechterfragen geäussert haben. Serena Williams, Kim Clijsters, Victoria Asarenka, Tatjana Maria, Naomi Osaka und seit kurzem auch Belinda Bencic tourten und touren als Mütter durch den Zirkus und versuchen, die Szene für die geschlechtsspezifischen Probleme von Tennisspielerinnen zu sensibilisieren. Bencic sagte bei ihrem Comeback vor zwei Wochen, es sei eine Verpflichtung der besten hundert, sich auch für die Belange der weniger gut klassierten Spielerinnen einzusetzen.

In diesem Klima der Solidarität schickt die WTA ihre Aushängeschilder ausgerechnet in ein Land, in dem die Männer immer noch über die Frauen bestimmen. Auch wenn in den vergangenen Jahren einige Gesetze gelockert wurden und Frauen heute etwa Auto fahren oder mehr Berufe als früher ausüben dürfen: Frauen, die sich öffentlich für ihre Rechte einsetzen, riskieren Verfolgung, Inhaftierung und Misshandlungen.

Als die WTA den Umzug ihres Masters nach Riad bekanntgab, verteidigte der damalige WTA-Boss Steve Simon den Entscheid mit den Worten: «Wir sind in vielen Ländern vertreten, die andere Kulturen und Wertesysteme haben. Wir verstehen aber, dass Saudiarabien dezidierte Meinungen provoziert.»

Seine Nachfolgerin Portia Archer krebste nach ihrer Amtsübernahme im vergangenen Sommer leicht zurück und verwies auf die Wichtigkeit der Werte der WTA und strich die Notwendigkeit heraus, dass die Gastgeberländer mit diesen Werten übereinstimmen sollten. Sie betonte, dass es für die WTA entscheidend sei, eine klare Haltung zu den Themen Gleichheit und Menschenrechte zu vertreten.

Davon ist man in Saudiarabien weit entfernt. Trotzdem sollen die WTA-Finals noch für zwei weitere Jahre im Wüstenstaat ausgetragen werden, obwohl das Zuschauerinteresse an den Partien äusserst bescheiden blieb und sich auf den Tribünen oft grosse Lücken zeigten. Dem Vernehmen nach sollen die Organisatoren die Zuschauer teilweise sogar bezahlt haben, um ein wenig Atmosphäre in die sterilen, leeren Hallen zu bringen.

Billie Jean King, die eigentliche Vorreiterin des Gleichstellungkampfs, hofft, dass die WTA-Finals in Riad etwas anstossen werden. Kritischere und vor allem unabhängigere Exponentinnen dieses Kampfs wie die tschechischstämmige Amerikanerin Martina Navratilova sehen das weniger zuversichtlich. Die 18-fache Grand-Slam-Siegerin steht seit Jahrzehnten offen zu ihrer Homosexualität und konnte den Gang in die Wüste wenig nachvollziehen, wo Homosexualität teilweise weiterhin mit dem Tod bestraft wird: «Wir gehen nach Saudiarabien, was wohl die grösste Veränderung ist, die man machen kann – ausser vielleicht nach Nordkorea zu gehen.»

Die ATP prüft den Schulterschluss mit den Saudi

Die Männer, die am Sonntag ihre Finals begannen, spielen in diesem und im kommenden Jahr noch in Turin. Doch dann werden auch sie weiterziehen, mutmasslich ebenfalls in Richtung Osten. Mit den sogenannten Six-King-Slams, einem Exhibition-Turnier, testete die Region vor drei Wochen in Riad schon einmal den Markt. Auch dort blieb das Zuschauerinteresse trotz der prominenten Besetzung des Turniers relativ gering.

Doch in der ATP nimmt man die Anstrengungen Saudiarabiens und von dessen Kronprinzen Mohammed bin Salman durchaus ernst. Herwig Straka, Mitglied des Führungsboards der ATP und Turnierdirektor des ATP-500-Turniers von Wien, sagte der NZZ vor zwei Wochen, man müsse die Saudi integrieren und nicht gegen sie arbeiten. Dazu seien sie finanziell zu stark. Die ATP neigt deshalb dazu, der Region in naher Zukunft ein Turnier der Premiumklasse Masters-1000 zuzusprechen.

Der saudiarabische Tennisverband hat bei den WTA Finals heuer über 15 Millionen Dollar Preisgeld ausgeschüttet und damit fast doppelt so viel wie seine Vorgänger vor einem Jahr im mexikanischen Cancún. Erste Profiteurin dieses Geldsegens war nun also Coco Gauff, die von Roger Federers Agentur Team-8 und deren Kopf Tony Godsick vertreten wird.

Die Afroamerikanerin machte mit 15 Jahren erstmals auf sich aufmerksam, als sie in Wimbledon aus der Qualifikation bis in die vierte Runde vorstiess. Vor einem Jahr gewann sie am US Open ihren ersten Grand-Slam-Titel. Nun hat Gauff bei der dritten Teilnahme auch ihr erstes Masters und mit ihm ein Rekordpreisgeld gewonnen. Wer will da allzu kritische Fragen zum Austragungsort stellen?

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