Dienstag, Oktober 8

Die Schweizerische Post hat in den vergangenen vier Jahren dreizehn Unternehmen gekauft – ohne Bezug zum Kerngeschäft. Eine Analyse zeigt, was das für die private Konkurrenz dieser Unternehmen bedeutet.

Sie hat es schon wieder getan. Die Schweizerische Post kündigte diesen Herbst an, die Zürcher Cybersicherheitsfirma Open Systems zu übernehmen. Stimmen die Wettbewerbsbehörden der Transaktion zu, ist es das dreizehnte Unternehmen, das die Post in den letzten vier Jahren gekauft hat. Ihre Gemeinsamkeit: Keine der Firmen hat auch nur annäherungsweise Berührungspunkte mit dem eigentlichen Kerngeschäft der Post: dem Zustellen von Briefen und Paketen.

Der gelbe Riese lässt sich seine im Mai 2020 gestartete Akquisitionskampagne einiges kosten. Ein Blick in die Geschäftsberichte der vergangenen Jahre zeigt, dass die Übernahmen – noch vor dem Zukauf von Open Systems und einer weiteren Firma – bisher mit 468 Millionen Franken zu Buche geschlagen haben.

Die aggressive Expansion der Post in neue Geschäftsfelder wirft viele Fragen auf. Einerseits sichert sich der Konzern das Know-how, um in der digitalen Welt mitzuhalten, andererseits belasten die Zukäufe den Konzern finanziell und setzen private Unternehmen unter Druck. Die Post bewegt sich weg von ihrem angestammten Kerngeschäft in umkämpfte Märkte, die ganz anderen Regeln folgen. Ob sich die Strategie auszahlt, bleibt abzuwarten.

Unternehmen, die sich plötzlich in einem Markt mit der Post behaupten müssen, äussern sich auf Anfrage der NZZ kritisch über die neue Mitbewerberin.

Mitbewerber kritisieren die Akquisitionsstrategie

So sagt Samuel Bärfuss, CEO des IT-Sicherheits-Anbieters Ispin, ihm scheine, dass die Post «ohne für uns ersichtliche Strategie Unternehmen zusammenkauft». Seiner Firma komme der Besitzerwechsel seines Konkurrenten Terreactive aber zugute. Wer als Unternehmen schon andere Dienstleistungen bei der Post beziehe, wechsle oft den Sicherheitsdienstleister. «Segregation of duties» heisst das in der Fachsprache und zielt auf die Vermeidung eines Klumpenrisikos ab.

Ähnlich äussert sich ein Geschäftsführer eines Gemeindesoftware-Anbieters, der nicht namentlich genannt werden möchte. Man beobachte die Akquisitionen und frage sich, was die Strategie und das grosse Bild seien. Das habe man bis jetzt nicht verstanden.

Die bisher umstrittenste Übernahme durch die Post erfolgte gleich zum Beginn der Akquisitionskampagne vor vier Jahren. Damals, im September 2020, gab die Post die Übernahme des Unternehmens Klara bekannt, einem Anbieter von Buchhaltungs- und Lohn-Software.

Der Klara-Konkurrent Abacus reichte wegen wettbewerbs- und kartellrechtlicher Bedenken Anzeige bei der Wettbewerbskommission (Weko) ein. Die Weko sah allerdings keine Anzeichen für eine unerlaubte Quersubventionierung des Softwaregeschäfts durch die Post.

Im August 2022 wandte sich der Softwareanbieter ans Bundesverwaltungsgericht, wo der Fall seither hängig ist. Abacus bekräftigt gegenüber der NZZ die Meinung, dass die Post «nicht im grossen Stil in bestens funktionierende Märkte eingreifen», sondern sich auf ihren Kernauftrag fokussieren solle.

Ihre «Akquisitionstour behindert den Wettbewerb und ist darüber hinaus für den Staat und die Steuerzahler ein Risiko», betont das Unternehmen. Man hoffe, dass das Bundesverwaltungsgericht endlich die Zukunftsfrage kläre, nachdem die Weko «offensichtlich Berührungsängste mit dem Thema» gezeigt habe. Es sei zwingend, dass der Post «klare Grenzen und dem Gemischtwarenladen-Dasein ein Ende gesetzt» würden.

Der Bundesrat sieht keine Probleme

Der Bundesrat hingegen stellt sich hinter die Aktivitäten der Post. In Antworten auf parlamentarische Vorstösse hielt die Regierung fest, eine externe Überprüfung sei zum Schluss gekommen, dass die Post die Risiken dieser Akquisitionen angemessen handhabe. Sie sei auf gutem Weg, ihre Ziele zu erreichen.

Ob das zutrifft, lässt sich von aussen nicht überprüfen. Klar ist hingegen: Die getätigten Akquisen in den Geschäftsbereichen Cybersicherheit, E-Government, Digitalisierung und Gesundheitswesen sind auch rechtlich heikel.

Laut Postorganisationsgesetz darf die Post nur dann «Rechtsgeschäfte tätigen», wenn sie «dem Unternehmenszweck dienen». Während dieser Paragraf bei der Cybersicherheit erfüllt sein dürfte, ist es bei Zukäufen von Anbietern von Gemeindeverwaltungs-Software (Dialog Verwaltungs-Data und T2i), Aussenwerbung (Livesystems), digitaler Kommunikation (SpotMe), Gesundheitsdatenverwaltung (Axsana, heute Sanela) oder Sozialhilfe-Software (Diartis) zumindest diskutabel.

Auch der Aargauer FDP-Nationalrat Matthias Jauslin ist der Meinung, die Post solle sich auf ihre Kernaufgaben beschränken, selbst wenn sie dadurch schrumpfe. Einer Motion Jauslins mit dieser Forderung hat der Nationalrat diesen Frühling zugestimmt. Das Votum des Ständerats steht noch aus.

Bereits angenommen haben die beiden Kammern eine zweite Motion, die zum Ziel hat, dass die Post dem Bundesrat Akquisitionen ausserhalb des Leistungsauftrags zur Genehmigung vorlegen und gegenüber den Parlamentskommissionen begründen muss.

Die Zahlen lassen noch zu wünschen übrig

Unternehmerisch erfolgreich war die Akquisitionsstrategie der Post bislang nicht. Im ersten Halbjahr 2024 schrieb der Geschäftsbereich Kommunikationsservices, in dem die Übernahmen angesiedelt sind, bei einem Umsatz von 82 Millionen Franken einen Verlust von 37 Millionen. Verglichen mit der Vorjahresperiode lässt sich zwar ein leicht positiver Trend herauslesen; der Umsatz wuchs um 18 Millionen, während der Verlust um 2 Millionen sank – aber bis zu einem positiven Ergebnis ist es noch weit.

Wie lange die Post diese Strategie noch verfolgen kann, bleibt fraglich. Am Ende könnte der Staat gezwungen sein, stärker einzugreifen – oder die Post muss ihre Rolle auf dem Markt komplett überdenken.

Ein Postsprecher gibt sich auf Anfrage dennoch zuversichtlich: Man sei auf dem richtigen Weg. Der Alltag der Bevölkerung finde immer mehr auch in der digitalen Welt statt. Darauf stelle sich die Post mit den Übernahmen ein. Man wolle seinen Kunden den Umgang mit digitalen Daten erleichtern. Mit dem Kauf der Cybersicherheitsfirma Open Systems etwa wolle die Post «ihre Rolle als relevante Anbieterin von digitalen Kommunikationsplattformen weiter stärken».

Zu diesen «Kommunikationsplattformen», wie sie die Post nennt, gehören für das Land gesellschaftlich und politisch wichtige technische Infrastrukturen für das elektronische Abstimmen und zur Speicherung von Gesundheitsdaten.

«Mit Übernahmen oder Beteiligungen will sich die Post zusätzliches, wichtiges Wissen sichern. Die Post kauft dann Firmen oder Unternehmensteile, wenn sie sie und ihre Dienstleistungen sinnvoll ergänzen», heisst es am Hauptsitz. Es geht für den Staatskonzern also nicht primär um die Produkte und Dienstleistungen der Unternehmen, sondern um das Know-how der Mitarbeitenden.

«Persönlich erachte ich das Vorgehen der Post durchaus als mit einigen Risiken behaftet», sagt Reto Gutmann, Branchenkenner und CEO des Softwareanbieters Abraxas. Es sei aber noch zu früh, «die langfristigen Auswirkungen dieser jüngsten Aktivitäten der Post abzuschätzen oder zu bewerten». Eine objektive Beurteilung dieser Übernahmen werde erst in etwa drei Jahren möglich sein.

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