Mittwoch, März 12

Archäologische Funde der letzten Jahre haben gezeigt, wie eng die Handelsbeziehungen zwischen Indien und dem Römischen Reich waren. Doch selbst in Indien weiss kaum jemand davon.

Palmen, Mangobäume und einige Backsteinreste – viel ist in Arikamedu nicht mehr zu sehen. Die Ausgrabungsstätte an der indischen Ostküste ist heute weitgehend von der Vegetation überwuchert. Trotz einem Zaun streunen Kühe über das Gelände südlich von Puducherry, nur wenige Touristen verirren sich auf das Areal am Ufer einer von Mangroven gesäumten Flussmündung. Einzig ein rostiges Schild der Archaeological Survey of India weist an der Zufahrtsstrasse darauf hin, dass es sich um eine archäologische Ausgrabung handelt.

Dabei ist Arikamedu eine der wichtigsten antiken Stätten Südindiens. Über Jahrhunderte war es ein bedeutender Seehafen, der regen Handel mit dem Römischen Reich trieb. Bereits in den 1940er Jahren förderten Grabungen eines britischen Archäologen römische Münzen, Keramik und Überreste von Amphoren zutage. Trotzdem ist bis heute nur den wenigsten bekannt, wie eng die Beziehungen zwischen Indien und dem Römischen Reich in der Antike waren.

Nicht China, sondern Indien sei der wichtigste Handelspartner des Römischen Reichs in Asien gewesen, schreibt der Historiker William Dalrymple in seinem kürzlich erschienen Buch «The Golden Road». Über Jahrhunderte sei der Handel über den Seeweg verlaufen und nicht über die Karawanenrouten durch die Steppen Zentralasiens. Getrieben von den Monsunwinden, seien ganze Flotten über den Indischen Ozean gesegelt und hätten enorme Reichtümer heimgeholt.

Der Indien-Handel brachte Rom enorme Zolleinnahmen ein

Einer der Seehäfen in Südindien war Arikamedu. Laut Historikern handelt es sich dabei um das antike Poduke, das im «Periplus Maris Erythraei» erwähnt wird. Das Seefahrerhandbuch aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. schildert die Häfen und die Handelsbedingungen an der Küste des Roten Meers und des Indischen Ozeans. Archäologische Funde zeigen, dass Arikamedu bereits in vorrömischer Zeit Handel mit dem Mittelmeerraum trieb und über Jahrhunderte auch enge Beziehungen mit Sri Lanka und den Ländern Südostasiens unterhielt.

Die Gier der Römerinnen und Römer nach Gewürzen, Edelsteinen und anderen Luxusgütern aus Indien war zeitweise so gross, dass die Finanzen des Reichs in Schieflage zu geraten drohten. Besonders leichte Baumwollstoffe waren in Mode – und Pfeffer, wie Rezeptsammlungen aus der Zeit zeigen. Der Marineoffizier Plinius der Ältere schimpfte im 1. Jahrhundert nach Christus, der Abfluss von Silber und Gold nach Indien gefährde das wirtschaftliche Gleichgewicht.

Eine einzige Schiffsladung mit Luxuswaren aus Indien habe gereicht, um ein Vermögen zu machen, schreibt Dalrymple. So bezifferte ein in Ägypten entdeckter Papyrus den Wert der Ladung eines Schiffs auf 9 Millionen Sesterzen. In Berenike, dem über Jahrhunderte wichtigsten ägyptischen Seehafen am Roten Meer, fielen darauf Einfuhrzölle von 2 Millionen Sesterzen an. Historiker haben daraus errechnet, dass Rom auf indische Waren jährlich Zölle von 270 Millionen Sesterzen erhoben habe – bis zu ein Drittel der Gesamteinnahmen des Reichs.

Mit den Schiffen gelangten auch die Ideen nach Westen

Mit den Händlern breiteten sich auch kulturelle und religiöse Einflüsse aus Indien aus. Innovationen in Astronomie, Mathematik und Kunst gelangten so nach Westen. Archäologen fanden im März 2022 bei der Ausgrabung im Seehafen von Berenike im Hof eines Isis-Tempels eine Buddha-Skulptur. Es war der erste Fund eines antiken Buddhas westlich von Afghanistan. Der eklektische Stil der wohl im 2. Jahrhundert in Alexandria gefertigten Marmorskulptur zeigt, wie sehr sich damals indische und römische Einflüsse vermischten.

Umgekehrt gelangte das Christentum schon früh nach Südindien. Der Legende nach war es der Apostel Thomas, der wenige Jahre nach dem Tod Jesu die christliche Botschaft an die Küste Keralas brachte, bevor er in der Nähe des heutigen Chennai ermordet wurde. Ob dies stimmt, ist historisch umstritten. Es deutet vieles darauf, dass es in Indien länger christliche Gemeinden gibt als in den meisten Ländern Europas. Ohne enge Handelskontakte wäre die Lehre Christi niemals so früh nach Indien gelangt.

Obwohl Indiens enge Beziehungen mit der griechisch-römischen Welt Historikern und Archäologen schon länger bekannt sind, weiss die breite Öffentlichkeit noch immer wenig davon. Viel bekannter sind die Karawanenrouten von Europa nach China, die der deutsche Geograf Ferdinand von Richthofen 1877 erstmals «Seidenstrasse» getauft hat. Dabei, so argumentiert Dalrymple, habe der Landweg durch Zentralasien in der Antike keine Rolle gespielt.

Indien tut wenig für die Pflege seiner Geschichte

Römer und Chinesen hätten kaum voneinander gewusst, geschweige denn Handel getrieben, sagte Dalrymple kürzlich in einem Interview. Während es in Kerala und Tamil Nadu zahlreiche römische Münzfunde gebe, existiere nichts derartiges in China. Die Idee einer Seidenstrasse im Altertum sei ein Mythos, betont der britische Historiker. Erst unter den Mongolen im 13. Jahrhundert habe sie an Bedeutung gewonnen.

Dass der Mythos der antiken Seidenstrasse trotzdem fortlebt, hat viel damit zu tun, dass er von China offensiv propagiert wird. Die Volksrepublik verwendet den Begriff auch seit Jahren, um ihr Projekt zum Ausbau der Handelsrouten zu vermarkten – mit China in ihrem Zentrum. Indien dagegen setzt seine antiken Kontakte mit dem Westen kaum in Szene, wie das Beispiel von Arikamedu zeigt.

Die Funde aus der Grabung lagern heute kaum beachtet im Museum von Puducherry. Die Ausstellung in einem klassizistischen Gebäude aus der Kolonialzeit ist seit Jahrzehnten nicht überarbeitet worden. In staubigen, altmodischen Holzvitrinen sind einige römische Münzen, Fragmente von Keramik und Amphoren zu sehen, in denen Wein, Olivenöl und eine bei den Römern beliebte Fischsauce transportiert wurden. Einzig zwei verblichene Tafeln weisen auf die Beziehungen mit Rom hin.

Bei einer Konferenz 2004 präsentierte die Verwaltung von Puducherry zwar einen Plan, zusammen mit italienischen Archäologen die Grabungen wiederaufzunehmen. Auch sollte die Stätte für das Unesco-Weltkulturerbe vorgeschlagen werden. Vor vier Jahren wurde ausserdem angekündigt, dass in Arikamedu ein kleines Museum errichtet werden soll, das über die Geschichte des Ortes informiert. Bis heute ist daraus aber nichts geworden. Das Areal ist weiter den streunenden Kühen überlassen, von Palmen und Mangobäumen überwuchert.

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