Donnerstag, Februar 27

In Lugano hat kürzlich Hillary Clinton Risotto gegessen. Einen Steinwurf davon entfernt flössen wir uns Cocktails ein und legen den Boden im Magen mit Tiramisu.

Der meteorologische Frühlingsbeginn von diesem Samstag droht im Zürcher Hochnebel zu ersticken; reisen wir also zumindest gedanklich durch den Gotthard. Auf der anderen Seite scheint die Sonne über einer polierten Finanz- und Kulturmetropole mit nobler Einkaufsstrasse. Das mag für viele nach Zürich klingen, gemeint ist selbstverständlich Lugano samt Via Nassa, der Südschweizer Antwort auf die Bahnhofstrasse.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Der grössten Tessiner Stadt läuft das Jungvolk davon, den Bedeutungsschwund als Bankenplatz versucht sie zu kompensieren, indem sie sich als malerisch gelegener Kongressort vermarktet. Neulich war Hillary Clinton für eine Tagung da und wurde in der steilen Via Cattedrale gesichtet, wo sie laut Medienberichten mit ihrem Tross in der «Osteria Trani» speiste, unter anderem Risotto mit der traditionellen Wurst Luganighetta. Der Wirt liess sich mit ihr (also nicht der Wurst) ablichten und mit der Aussage zitieren, stolz zu sein, sie mit Tessiner Spezialitäten vertraut gemacht zu haben. Tatsächlich bewies die einstige First Lady mehr Sinn für Regionalität als ihr Gatte, der nach seinem WEF-Besuch vor 25 Jahren in einer Glarner Autobahnraststätte inmitten verblüffter Gäste Pizza und Diät-Cola bestellt hatte.

Einen Steinwurf von der – übrigens empfehlenswerten – «Osteria Trani» entfernt gibt es in Lugano seit wenigen Jahren ein trendigeres Lokal: Das «Flamel Restaurant & Mixology Bar» im Parterre des Boutiquehotels «Luganodante». Direkt bei der Talstation der Standseilbahn gelegen, die vom Bahnhof zum Stadtzentrum führt, wird das Lokal als «ultimatives Bistro», «atemraubende Bar» und mit weiteren Superlativen beworben, wie man sie aus Zürich kennt.

Etwas nüchterner könnte man den schicken, aber nicht unterkühlten Ort einen Mix aus Lounge und Labor nennen: Das Interieur prägen italienische Designmöbel, Velours-Sessel, Plastik-Grünpflanzen, und hinter der Theke wartet ein Apparat wie aus dem Chemieunterricht. Nicht umsonst ist der Name des Lokals von einem historischen Alchemisten inspiriert, dem Pariser Nicolas Flamel. Das Gerät ist allerdings hochmodern, heisst Rotavapor und wird zur schonenden Destillation eingesetzt. Die Zutaten für die ausgefeilten Signature-Cocktails (und Mocktails), unter dem Motto «98% Swiss» gemixt und in Bügelflaschen aufbewahrt, werden hier nämlich selbst gefertigt. Und die eingesetzten Kräuter stammen vom hauseigenen Dachgarten.

Ausgeschenkt wird täglich bis mindestens Mitternacht. Die Kreation «The Martino Cup» (Fr. 15.–) etwa ist benannt nach dem Erfinder des wunderbar geradlinigen Tessiner Gins Bisbino, dessen Kombination mit Zitronengras, Pink Grapefruit und Kamille etwas weniger vielschichtig ausfällt als erhofft. Dafür ist der Swiss Negroni (Fr. 18.–) zwar etwas süss, aber vollkommen rund – eine Wucht. Für unter 100 Franken kann man hier zum Beispiel auch fünf verschiedene Cocktails mit fünf kleinen Gerichten zu einem Tasting-Menu vermählen – ein Angebot am Puls der Zeit.

Wir aber bestellen am Tisch à la carte. Aus der Küche hinter einer Glasfront kommen hervorragende Grissini, dann ein knackiger Puntarelle-Salat (Fr. 19.–). Den liebt man in Rom mit Sardellen und Zitrone, hier kommt er an einer cremigen, perfekt abgestimmten Sauce aus Mandeln und Schalotten-Fond. Auf herzhafte Ravioli del Plin (Fr. 29.–) folgt eine knusprige Entenbrust (Fr. 42.–) an Demi-Glace, eskortiert von Cime-di-Rapa-Stengeln.

Bei unserem Besuch erhalten wir das eine oder andere Lugano-Klischee bestätigt: Eine Frau bestellt auf Russisch beim Einchecken an der Hotelréception aufsehenerregend eine Flasche Franciacorta, wohl eine Landsfrau von ihr wird am Nebentisch von einem viel älteren Herrn bezirzt, und eine Dame im Nerz verlässt mit Begleitern das Lokal kurz nach der Ankunft schnaubend, da kein Tisch mehr frei ist.

Aber das ist keine Klatsch-und-Tratsch-, sondern eine Gastrokolumne. Der für Tessiner Verhältnisse untypisch gehetzt wirkende Kellner empfiehlt, um einen regionalen Bitter gebeten, den Tessiner Kräuterlikör Generoso. Den kennen wir schon, er ist uns zu süss, doch die sofort vorgeschlagene Alternative passt perfekt: ein Kürbis-Digestif auf der Basis von hausgemachter Kombucha, ist leicht moussierend und von dezenter Schärfe. In diesem Lokal wird etwas gewagt, und das gefällt! Auch die Tiramisu-Variation (Fr. 14.–), gepaart mit Caramel-Eis und caramelisiertem Brot, überzeugt. Und spätestens beim Preis von 3 Franken für den guten Espresso hört jede Ähnlichkeit mit Zürich auf.

Restaurant und Bar
Flamel
Piazza Cioccaro 5, 6900 Locarno
091 910 57 06

Für diese Kolumne wird unangemeldet und anonym getestet und am Ende die Rechnung stets beglichen. Der Fokus liegt auf Lokalen in Zürich und der Region, mit gelegentlichen Abstechern in andere Landesteile.

Die Sammlung aller NZZ-Restaurantkritiken der letzten fünf Jahre finden Sie hier.

Exit mobile version