Mittwoch, Februar 5

Die Mitte-Ständerätin will nicht, dass die Schweiz den Eindruck erweckt, man müsse den Gerichtshof für Menschenrechte überhaupt nicht beachten.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat im April eine Klage der Schweizer Klimaseniorinnen gutgeheissen und die Schweiz verurteilt, weil sie nicht genug gegen die Klimaerwärmung unternehme und damit gegen die Menschenrechte verstosse. Die Rechtskommission des Ständerats hat daraufhin eine scharfe Erklärung zu diesem Urteil präsentiert, die hohe Wellen geworfen hat – und wiederum für Kritik sorgt.

Frau Gmür, in der Erklärung der Kommission steht unter anderem, die Schweiz sehe keinen Anlass, dem Urteil des Gerichtshofs «weitere Folge» zu geben. Sie möchten nun, dass das Plenum des Ständerats etwas zurückrudert. Warum?

Ich unterstütze die Erklärung der Rechtskommission im Grundsatz absolut. Aber mich hat die Aussage, die Schweiz sehe keinen Grund, dem Urteil des Gerichtshofs weitere Folge zu geben, von Beginn weg irritiert. Ich habe meine Kollegen der Rechtskommission darauf angesprochen, und sie sagten mir: «Ich erklär dir das.» Aber eine Erklärung, die erklärungsbedürftig ist, ist verwirrlich. Dieser Satz ist unnötig und kann schädlich sein. Deswegen werde ich in der Ständeratsdebatte vom Mittwoch den Antrag stellen, diesen letzten Passus zu streichen.

Wie müsste man ihn denn verstehen?

Es ist zumindest unklar, was gemeint ist. Medial wurde der Satz so interpretiert, dass die Schweiz das Urteil ignorieren will. Wenn die Schweiz eine solche Erklärung abgibt, muss sie bedenken, was das für Auswirkungen auf Staaten hat, die einen weniger soliden Rechtsstaat haben. Wir könnten den Eindruck erwecken, man müsse den Gerichtshof für Menschenrechte gar nicht mehr beachten. Das geht nicht, wir müssen die Gewaltenteilung hochhalten.

Soll das Parlament bloss leise Kritik am Urteil üben?

Die Kritik am Urteil bleibt dennoch zu Recht bestehen und auch der Auftrag an den Bundesrat, sich mit Blick auf die Schweizer Interessen bei den entsprechenden Gremien des Europarates einzusetzen und klarzumachen, dass die Schweiz ihre internationalen Verpflichtungen im Kampf gegen den Klimawandel einhält.

Aus der Chambre de Réflexion sei eine Chambre de Réflex geworden, war zu hören. Teilen Sie den Vorwurf?

Nein. Warten wir die Debatte im Ständerat ab. In einer Kommission entsteht manchmal eine Dynamik, die in der Plenumsdiskussion auch hie und da gekehrt werden kann.

Viele, auch Juristen, sind aber durchaus der Ansicht, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte lege die Menschenrechte viel zu weit aus und die Schweiz müsse sich dem entgegenstellen.

Ja, dieser Meinung bin ich auch. Es gibt kaum ein Land, das den hinterletzten Paragrafen auf die Kommastelle genau umsetzt wie die Schweiz. Wenn wir nun dermassen gerüffelt werden, ist das schon speziell. Es ist mir wichtig, klar zu sagen, dass das Urteil nicht gerechtfertigt ist. Das kommt in der Erklärung deutlich zum Ausdruck, auch ohne den letzten Satz. Das Gericht macht Politik, statt die Europäische Menschenrechtskonvention auszulegen. Damit untergräbt es seine eigene Autorität. Im Urteil werden ja sogar EU-Richtlinien erwähnt, obwohl die Schweiz gar nicht EU-Mitglied ist.

Der Schweizer Andreas Zünd hat in führender Rolle beim Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mitgewirkt. In den Medien liess er sich so zitieren: «Es gibt keine Möglichkeit, ein Urteil des Gerichtshofs einfach nicht umzusetzen.» Wie hat das Parlament auf diese Schelte reagiert?

Ich wüsste gar nicht, wie man dieses Urteil umsetzen sollte. Wir sind in einem demokratischen Prozess laufend dran, Klimaschutzmassnahmen zu beschliessen. In wenigen Tagen stimmen wir über das Stromgesetz ab. In einer direkten Demokratie brauchen solche Prozesse Zeit und politische Mehrheiten, anders geht es nicht.

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