Was jahrzehntelang als vergilbte Kopie in der Harvard-Bibliothek ruhte, entpuppt sich als ein Originalexemplar der Magna Charta aus dem Jahr 1300 – und ist damit eines der bedeutendsten Dokumente der Verfassungsgeschichte. Gekauft hat es Harvard einst für 27 Dollar.

Der Fund erfolgte – wie so oft in der Wissenschaft – eher zufällig: David Carpenter, Mittelalterhistoriker am King’s College London, klickte sich durch Harvards digitale Sammlungen, als ihm ein unscheinbares Pergament auffiel. «O mein Gott, das ist ein Original», schoss es ihm durch den Kopf. So schilderte er es später der «Washington Post».

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Es war ein schöner Tag für Bibliothekare weltweit. Jahrzehntelang haben die Archivare der Harvard Law School ein Weltkulturerbe in ihren Regalen übersehen. Was die Institution für eine Kopie der Magna Charta hielt, entpuppte sich als ein 700 Jahre altes Original jenes Dokuments, das im Mittelalter den Grundstein für Rechtsstaatlichkeit und verfassungsmässige Ordnung legte.

Gemeinsam mit einem Berufskollegen bestätigte er seine These. Die unscheinbare Handschrift, vermerkt als «HLS MS 172», ist eines von nur sieben überlieferten Exemplaren der Magna Charta aus dem Jahr 1300, unterzeichnet von König Edward I.

Eine Urkunde mit Weltgeschichte

Die Magna Charta gilt als Mutter moderner Verfassungen und Wiege der Rechtsstaatlichkeit. Ihr berühmtester Satz – dass auch der König dem Gesetz untersteht – wurde zum Grundstein des heutigen Staatsrechts.

Entstanden ist die erste Magna Charta im Juni 1215 in England, als der damalige König unter dem Druck eines Adelsaufstands eine Vereinbarung unterzeichnen musste. Nach militärischen Niederlagen und hohen Steuerforderungen hatte sich der Widerstand formiert. In Runnymede bei London einigten sich Krone und Adel auf ein Dokument, das erstmals die Macht des Königs schriftlich begrenzte.

Zwar war das Ergebnis kein Verfassungsdokument im modernen Sinne, dennoch enthielt es damals bahnbrechende Grundsätze: Schutz vor willkürlicher Inhaftierung, das Recht auf ein ordentliches Verfahren und die Begrenzung königlicher Macht. Über die Jahrhunderte wurde das Dokument immer wieder angepasst und inspirierte zentrale Elemente moderner Demokratien – von der englischen «Petition of Right» bis zur amerikanischen «Bill of Rights».

Dass sich das Original ausgerechnet in den Archiven der Harvard University befindet, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Die traditionsreiche amerikanische Eliteuniversität steht derzeit unter politischem Druck: Präsident Donald Trump wirft ihr unter anderem vor, antisemitische Vorfälle auf dem Campus nicht entschieden genug zu verfolgen. In diesem Kontext stösst der Fund eines jahrhundertealten Dokuments zur Rechtsgeschichte auf besondere Aufmerksamkeit.

Ein Pergament auf Reisen

Der Weg des Dokuments liest sich wie ein Roman: Ursprünglich soll es für das kleine englische Städtchen Appleby-in-Westmorland ausgestellt worden sein. Über Generationen wanderte es durch die Hände von Aristokraten, Sklavereigegnern und Kriegsveteranen – unter ihnen Forster Maynard, ein britischer Fliegerheld beider Weltkriege. Nach dem Zweiten Weltkrieg verkaufte er es 1945 über das bekannte Auktionshaus Sotheby’s an einen Londoner Buchhändler. Harvard erwarb es kurz darauf für 27 Dollar – heute umgerechnet etwa 460 Dollar. Damals hielt man es für eine spätere Abschrift.

Der letzte bekannte Verkauf eines vergleichbaren Exemplars fand 2007 statt. Damals zu einem Kaufpreis von 21,3 Millionen Dollar. Harvard hingegen hatte jahrzehntelang keine Ahnung, welchen Schatz es in seinen Regalen bewahrte.

Mithilfe von Scans, spektralen Bildanalysen und Quellenvergleichen entpuppte sich das Dokument als jahrhundertealtes Original.

Für Harvard ist es ein Glücksfall mit Symbolkraft. Amanda Watson, Bibliotheksleiterin der Law School, sprach von einem Beleg dafür, «wie Bibliotheken Geschichte bewahren – und manchmal erst ermöglichen». Die Echtheit wurde unter anderem durch den Abgleich mit bekannten Originalen und durch spektrale Bildgebung bestätigt. Ein unscheinbares Dokument hat damit einen festen Platz im amerikanischen Weltkulturerbe erhalten – für den Preis eines Mittagessens.

Am Dienstag verkündete das Weisse Haus, Fördergelder von 450 Millionen Dollar an die Universität zu sistieren. Der Entdecker des Dokumentes, Professor Carpenter, nannte es einen «passenden Fund zur Erinnerung daran, dass auch Präsidenten sich ans Gesetz halten müssen».

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