Donnerstag, September 18

Sol Gabetta und Paavo Järvi eröffnen die Konzertsaison in Zürich mit einem Schlüsselwerk aus finsteren Zeiten, dem 2. Cellokonzert von Schostakowitsch. Mehr Licht gibt es zum Glück bei Rachmaninow.

Das Cello, so sagt man, komme dem Klang der menschlichen Stimme unter allen Instrumenten am nächsten. Wenn das stimmt, wird an diesem Abend in der Tonhalle Zürich viel geklagt, gehadert und geweint. Denn das Cello, das sonst oft mit noblen, schwärmerischen Gesten für Glanz und Wärme sorgt, ist diesmal fürs Grübeln zuständig, für nachtschwarze Melancholie und andere finstere Töne. Das überrascht, denn immerhin handelt es sich um das festliche Konzert zur Saisoneröffnung des Tonhalle-Orchesters.

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Doch wer nach den optimistisch vorausblickenden Ansprachen der neuen Tonhalle-Präsidentin Hedy Graber und der Intendantin Ilona Schmiel entsprechend festliche Musik erwartet, geht den Programmmachern um Zürichs Musikdirektor Paavo Järvi in die Falle.

Hoffnungslos

Denn genau diese Konstellation, dass eine erwartungsvolle Feierstimmung durch ein herbes Kontrastprogramm gebrochen wird, gab es ähnlich schon im Jahr 1966 bei der Uraufführung des 2. Cellokonzerts von Dmitri Schostakowitsch, das im Zentrum des Tonhalle-Konzerts stand. Der bekannteste Komponist der Sowjetunion war seinerzeit beauftragt worden, sich zu seinem eigenen sechzigsten Geburtstag ein Jubelstück zu schreiben. Was Schostakowitsch dann allerdings ablieferte, wirkt noch heute wie ein Schock.

Die Schweizer Cellistin Sol Gabetta, in dieser Saison Fokus-Künstlerin, macht nämlich mit einer sprechenden, ausdrucksstarken Interpretation des Soloparts deutlich, dass Schostakowitsch hier das Porträt eines Menschen gezeichnet hat, dem der Sinn nicht nach Jubeln steht. Der sich vielmehr mit letzter Kraft an die Vision eines freieren Lebens klammert, obwohl er längst weiss, dass dieses nie kommen wird. Es ist ein Selbstporträt des wiederholt gemassregelten Künstlers, aber auch ein Bild des Homo Sovieticus seiner Epoche. Im selben Jahr übernimmt Breschnew die Macht in der UdSSR und lässt alle Lockerungen der «Tauwetter»-Periode zurückdrehen.

Man muss um diese Hintergründe wissen, weil andernfalls das verzweifelte, von Gabetta intensiv gestaltete Monologisieren des Stücks kaum verständlich wird. Immer wieder steuert das Cello eine lichte, gebetsähnliche Formel an – immer wieder bricht die hoffnungsvolle Geste unter dem Druck der anderen Instrumente zusammen. Irgendwann veranstalten die Hörner mit pompösem Geschmetter ein regelrechtes Tribunal über das Cello, das sich unter groteskem Tamburin-Gerassel rechtfertigen und um sein Leben argumentieren muss, wie bei den damals üblichen Scherbengerichten. Gabetta und Järvi bringen diese fast szenisch wirkenden Momente drastisch zur Geltung, aber ohne jede Theatralik. Sie widerspräche dem Ernst des Stückes, das offen und düster schliesst.

Mehr Licht

Mit der Zugabe, dem gemeinsam mit den Orchestercellisten vorgetragenen «Song of the Birds» von Pablo Casals, sorgt Gabetta danach für etwas mehr Licht. Das Werk schliesst zugleich an das Eröffnungsstück «Dawn» von Thomas Adès an, das nach dem Vorbild einer barocken Chaconne das immerwährende Auf und Ab der Sonne nachzeichnet – allerdings in einer recht plakativen, an New-Age-Klänge erinnernden Sprache.

Mehr echte Wärme hört man in Rachmaninows 2. Sinfonie, in der auch die herausragenden Tonhalle-Cellisten ihre Instrumente endlich in gewohnter Weise singen lassen können. Allerdings weiss Järvi um die Gefahr der Dauer-Emphase bei diesem schwärmerischen Werk. Er bricht den dichten Orchestersatz daher auf und hebt neben den Celli immer wieder auch andere Instrumentengruppen wie Solisten heraus. Das setzt dem Klangbild Farbakzente auf, lässt es leuchten, nicht wabern – eine Wohltat, zumal nach so viel anfänglicher Finsternis.

Weitere Aufführungen am Donnerstag und Freitag, Tonhalle Zürich, Grosser Saal.

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