Sonntag, November 24

Es ist Herbst, die Menschen freuen sich auf Marroni. Doch den Kastanienbäumen in der Schweiz geht es schlecht. Was die Gründe sind – und wie man die Bäume schützen kann.

Sie ragen wie Riesen in den Himmel und strahlen Robustheit aus. Mit ihren goldbraunen Blättern bringen sie im Herbst ganze Täler zum Leuchten. Und schliesslich werfen sie kleine, runde harte Früchte ab, die später als Marroni verkauft werden. Die Kastanienbäume sind Schweizer Kulturgut.

Doch es geht ihnen schlecht.

Vor hundert Jahren gab es noch 9000 Hektaren Kastanienwälder im Tessin und in Graubünden, mittlerweile sind nur noch 500 Hektaren in einem guten Zustand. Das zeigen Zahlen der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) aus dem Jahr 2021.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Sie haben damit zu tun, dass der Klimawandel ganze Ökosysteme durcheinanderbringt.

«Die Menschen vergassen die Kastanie»

Dabei haben sich Kastanienbäume seit Jahrhunderten gut vermehrt in der Schweiz. Im Tessin waren sie ab dem Mittelalter von grosser Bedeutung für die Bevölkerung. Die Frucht der Kastanie wurde auch «Brot der Armen» genannt.

Der Wissenschafter Patrik Krebs untersucht an der Forschungsanstalt WSL die historische Verbreitung der Kastanie. Er sagt: «Von kleinen Kindern bis zum Grossvater halfen früher alle Menschen in den südlichen Alpentälern, Kastanienbäume zu pflanzen, zu pflegen und ihre Früchte zu ernten.»

Dann jedoch kamen die Kartoffeln ins Land, und auch andere Nutzpflanzen wurden angebaut. Holz wurde unkontrolliert abgebaut, und die Agrarwirtschaft wurde zur Industriewirtschaft. Patrik Krebs sagt: «Die Menschen vergassen die Kastanie.»

Heute sei die Kastanie zwar noch immer eine der wichtigsten Spezies im Tessin. Allerdings seien nur noch wenige Menschen direkt mit dem Anbau des Baumes beschäftigt.

Weil sich die Menschen nicht mehr um die Kastanienbäume kümmerten, ging die Fläche der Kastanienwälder in den letzten Jahrhunderten zurück. Der Baum wachse besonders gut, wenn er bewirtschaftet und gepflegt und immer wieder beschnitten werde, sagt Krebs.

Heisse Sommer und invasive Insekten

Einen noch grösseren Einfluss auf die Kastanie hat jedoch der Klimawandel: Die Kastanie leidet besonders unter den zunehmend hohen Temperaturen und trockenen Sommern. Sie verliere schnell und viel Wasser, da die Verdunstung aus ihren Blättern besonders hoch sei, sagt der Forscher Patrik Krebs. «Die Kronen der Kastanienbäume verwelken, die Blätter werden gelb und sehen im Sommer so aus, als wäre es Herbst.»

Die Kastanie ist besonders empfindlich. Andere Bäume wie Eschen oder bestimmte Eichen seien resistenter. Auch Buchen breiteten sich im Tessin zunehmend dort aus, wo früher Kastanienbäume standen.

Und dann wäre da noch ein kleines invasives Insekt: die Edelkastaniengallwespe. Sie legt ihre Eier in die Knospen der Kastanie. Ihre Larven nisten sich in den Kastanienknospen ein, und die Knospen können nicht blühen, die Blätter nicht richtig wachsen. Nach mehreren Jahren des Befalls stirbt die Kastanie. Die Edelkastaniengallwespe kam vor etwa zwanzig Jahren aus China nach Europa. Zuerst entdeckte man sie in Piemont, um 2007 kam sie ins Tessin.

Kastanien sind «per se keine zukunftsresistente Baumart»

Die heissen, trockenen Böden, die Dürre, der Insektenbefall – das alles schwächt die Kastanie. Und macht sie anfälliger für Krankheiten wie die Tintenkrankheit, einen Pilzbefall an Wurzeln und Rinde.

Eine Studie des Schweizerischen Landesforstinventars 2021 ergab: «Die Kastanie ist per se keine zukunftsresistente Baumart.» Was also tun, um den Baumbestand zu schützen?

Man müsse dafür sorgen, dass es Nachwuchs gebe bei den Kastanien, sagt Patrik Krebs. Also neue Bäume pflanzen oder Hirsche und andere Tiere davon abhalten, die Jungpflanzen zu fressen. Aber das Hauptproblem bleibe die Trockenheit; ein globales Problem, das man nicht so einfach lösen könne.

Schliesslich prognostiziert der Forscher Krebs: «Trotz all diesen Problemen wird die Kastanie im Tessin eine weitverbreitete Baumart bleiben.» Doch viele Kastanienwälder würden nach und nach von anderen Arten besiedelt. Und so zu Mischwäldern werden.

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