Mittwoch, Oktober 9

In der Schweiz gilt das «Sackmesser» als praktisches Werkzeug für den Alltag. In Asien, aber auch in England und Frankreich gilt es teilweise als Waffe. Das führt beim Schweizer Hersteller Victorinox zu Umsatzeinbussen – und zum Taschenmesser ohne Klinge.

In seiner mehr als 125-jährigen Geschichte hat das Schweizer Taschenmesser von Victorinox eine Reihe von Entwicklungen durchgemacht. Doch keine dürfte so einschneidend sein wie die, die ihm derzeit bevorsteht: der Verlust des Messers.

Ein solches «Taschentool ohne Klingen» sei bei Victorinox gerade in der Entwicklung, sagte Carl Elsener, der CEO der Messerschmiede aus Ibach im Kanton Schwyz, diese Woche in einem Interview mit dem «Blick». Als Grund führte er die Sorge um zunehmende Regulierung bei Messern aufgrund der Gewalt in der Welt an. «Die Klinge führt in einigen Märkten zu einem Waffen-Image», sagte er.

Einschränkungen zum Tragen von Taschenmessern würden vor allem in Asien existieren, führt Elsener auf Nachfrage der NZZ aus. Im europäischen Raum seien England und Frankreich besonders betroffen. Das wirke sich auch auf den Umsatz aus. «In diesen Märkten mussten wir Umsatzeinbrüche von über 20 Prozent hinnehmen», sagt Elsener.

Um auf die zunehmende Regulierung eine Antwort zu finden, investiere Victorinox neben der Weiterentwicklung der Taschenmesser auch in Produkte ohne Messerklingen. «Wir sind jedoch erst in der Anfangsphase und machen uns erste Gedanken dazu», sagt Elsener. Für Aussagen, wann solche Produkte auf den Markt kommen, sei es noch zu früh.

Es ist nicht das erste Mal, dass Victorinox mit der Idee eines Taschenmessers als Waffe konfrontiert ist. Nach den Terroranschlägen in den Vereinigten Staaten am 11. September 2001 wurden weltweit die Regeln im Flugverkehr verschärft. Plötzlich konnten die Taschenmesser von Victorinox nicht mehr als Firmengeschenk oder Souvenir auf dem Rückflug mitgenommen werden. Der Umsatz sei über Nacht um über 30 Prozent eingebrochen, wie Elsener bereits vor einigen Jahren der NZZ erzählte.

Abhängigkeit vom Taschenmesser verkleinert

Für Elsener und sein Unternehmen wurde damals klar, dass man sich nicht von einem einzigen Geschäftsbereich abhängig machen darf. Mit den Bereichen Haushalts- und Berufsmesser, Reisegepäck, Uhren sowie Parfums hat Victorinox neben den Taschenmessern inzwischen noch weitere Standbeine.

Gegründet wurde das Unternehmen im Jahr 1884 von Karl Elsener, dem Urgrossvater des heutigen Firmenchefs Carl Elsener. Schon bald belieferte Elsener die Schweizer Armee mit den ersten Soldatenmessern. 1897 wurde das «originale Schweizer Offiziers- und Sportmesser» dann gesetzlich geschützt.

Weltweit bekannt wurden die Schweizer Taschenmesser dann nach dem Zweiten Weltkrieg, als amerikanische Soldaten sie als Souvenirs aus Europa zurück in ihre Heimat mitnahmen. Mittlerweile gehören die Messer auch zur Grundausrüstung von Nasa-Astronauten. Bis heute hat Victorinox mehr als 500 Millionen Taschenmesser hergestellt.

Ein Werkzeug für alle Fälle

Dabei war das «Sackmesser», wie es im Schweizerdeutschen heisst, schon immer mehr als bloss ein Messer. In den Worten des Victorinox-Chefs Elsener: «Es ist ein nützliches Werkzeug, das hilft, auf die Herausforderungen im Alltag bestens vorbereitet zu sein.» Darauf fokussiere man auch in der Kommunikation und der Werbung.

Schon die erste Variante von 1897 hatte neben der grossen und der kleinen Klinge noch vier andere Werkzeuge im Angebot: Korkenzieher, Dosenöffner, Schraubendreher und Ahle. Es sollte den Soldaten als Hilfsmittel beim Essen und zur Wartung der Gewehre dienen. In der Schweiz ist das Taschenmesser denn auch explizit im Gesetz von der Kategorie «gefährlicher Gegenstand» ausgenommen und gilt nicht als Waffe.

Inzwischen gibt es laut Victorinox-Website 247 Varianten des Schweizer Taschenmessers zu kaufen. Wer sich nicht entscheiden kann, wählt etwa das 91 Millimeter breite Swiss Champ XXL mit 73 Werkzeugen. Mit dem Rescue Tool lassen sich im Notfall Scheiben zertrümmern und Sicherheitsgurte durchschneiden. Das Golf Tool (inklusive eines abnehmbaren Ballmarkierers) erlaube es dank Locher, das Tee sogar bei gefrorenem Boden zu setzen. Und mit dem Victorinox@Work hat man dank abnehmbarem USB-Stick seine Dateien immer bereit.

Das Messer wird jedoch nicht so bald verschwinden. «Das Schweizer Taschenmesser in der heutigen Form wird es voraussichtlich in hundert Jahren so noch geben», sagt Elsener. Das Sortiment werde einfach mit nützlichen «Helfern» für Situationen im Alltag und auf Reisen ergänzt.

Wechselkurs als weitere Herausforderung

Neben der zunehmenden Regulierung stellt auch der Wechselkurs Victorinox vor Herausforderungen. Die Taschenmesser, die Küchen- und Berufsmesser sowie die Uhren werden zwar in der Schweiz hergestellt, werden laut Elsener jedoch zu 80 Prozent ins Ausland exportiert. Um den starken Franken zu kompensieren, müsse das Unternehmen weiter automatisieren und rationalisieren.

Daneben beschäftigen Victorinox auch die geopolitischen Unruhen und kriegerischen Auseinandersetzungen. So treffe der Krieg zwischen der Ukraine und Russland das Unternehmen direkt. «Russland war für unsere Taschenmesser ein sehr wichtiger Markt», sagt Elsener. «Seit Kriegsbeginn beliefern wir diesen nicht mehr.» Da nach der Corona-Pandemie der Tourismus wieder anziehe, habe man die Umsatzeinbussen zu einem grossen Teil jedoch wettmachen können.

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