Donnerstag, November 14

Die Schweizer Quantität an der Vendée Globe mag überraschen. Doch Justine Mettraux, Alan Roura und Oliver Heer setzen nur eine Tradition fort. Ihre Werdegänge sind sehr unterschiedlich.

Zahlreiche Segel von Sponsoren wehen im Hafen der bretonischen Stadt Les Sables d’Olonne, versehen mit übergrossen Porträts der Segler, die am Sonntag zur Vendée Globe starten werden. Ins Auge sticht vor allem das riesige Konterfei der lachenden Westschweizerin Justine Mettraux.

Bei den Rennjachten ihrer Landsleute Alan Roura und Oliver Heer hingegen sind lediglich zwei kleine Schweizer Wappen auszumachen. Ihre Boote liegen am Anfang des langen Quais, an dem links und rechts je zwanzig Open-60-Modelle festgemacht sind. Die vielen Besucher, die über eine steile Treppe auf den Schwimmsteg gelangen und den Schiffen entlangschlendern, sehen also zuerst zwei Segelboote, die von Skippern aus einem Binnenland gesteuert werden.

Eine Schweizerin und zwei Schweizer, die am härtesten Segelrennen teilnehmen, das um die Welt führt: Diese Quantität mag auf den ersten Blick überraschen. Doch Mettraux, Roura und Heer setzen nur eine Tradition fort, die von Dominique Wavre und Bernard Stamm vor einem Vierteljahrhundert begründet wurde.

Diese beiden Routiniers aus der Romandie bringen es zusammen auf sieben Teilnahmen an der Vendée Globe: Während Stamm drei Mal scheiterte, erreichte Wavre drei Top-Ten-Plätze, einmal musste auch er aufgeben. Stamm ist nun in Les Sables d’Olonne als Manager der Vorbereitungscrew der französischen Segel-Legende Jean Le Cam im Einsatz.

Insgesamt vierzig Teilnehmende werden am Sonntag in der Bretagne aufbrechen, um allein, nonstop und rennmässig die Erde zu umrunden. Die Route führt vorbei am Kap der Guten Hoffnung, am Kap Leeuwin und am Kap Hoorn.

Wavre und Stamm sorgten für ein Novum – sie mussten beide am gleichen Ort kapitulieren

Die Werdegänge des teilnehmenden Schweizer Trios könnten unterschiedlicher nicht sein. Alan Roura kam einst als Quereinsteiger an die Vendée Globe, als Abenteurer. 2016, mit 23 Jahren, war er der jüngste Skipper im Feld gewesen. Justine Mettraux hat sich minuziös und rund zehn Jahre darauf vorbereitet, dass sie nun als erste Schweizerin die Vendée Globe in Angriff nehmen kann. Und Heer steht ebenfalls vor einer Premiere: Er ist der erste Deutschschweizer, der sich dieser grossen Herausforderung stellt.

Trotz schwierigen finanziellen Voraussetzungen ist es Heer gelungen, sich als letzter Starter für das Rennen zu qualifizieren. Er hat sich zum Ziel gesetzt, in dieser zehnten Ausgabe der Regatta mit einem Boot ohne Foils Erfahrungen zu sammeln.

Das Schweizer Trio weckt Erinnerungen an seine Vorgänger. Wavre und Stamm hatten durch ihren Charakter und ihren Durchhaltewillen ehedem für zahlreiche Schlagzeilen gesorgt. Ihr Engagement und ihre Popularität haben die Vendée Globe in der Schweiz bekannt gemacht.

Der Genfer Wavre, unterdessen 69 Jahre alt, gilt als eigentlicher Türöffner für sein Land in der Welt des Offshore-Segelsports. Der gelernte Zeichenlehrer ist heute mit mehr als 400 000 zurückgelegten Seemeilen und zehn Weltumsegelungen der erfahrenste Schweizer Skipper auf den Weltmeeren. Nach vielen Mannschaftsrennen rund um die Welt (Oceanraces) in den achtziger und neunziger Jahren war er seine Vendée-Globe-Projekte sehr analytisch angegangen. Sein primäres Ziel war stets, die Regatta zu beenden.

Im Dezember 2008, als er das Rennen vorzeitig aufgeben musste, war er nach einer schweren Havarie gezwungen, die Kerguelen anzulaufen. Der Zufall wollte es, dass wenig später auch Bernard Stamm auf der Inselgruppe im südlichen Indischen Ozean notlanden musste. Zwei Schweizer Segler im Rahmen der Vendée Globe, die am gleichen Ort wegen Schäden am Schiff kapitulieren müssen: Das war ein seltsames Novum in der an Geschichten reichen Regatta.

Le portrait de Dominique Wavre

Stamms Verhältnis zum «Mount Everest der Meere» ist aufgrund seiner niederschmetternden Bilanz vorwiegend getrübt. Vor seinem Debüt an der Vendée Globe hatte sich der gelernte Forstwart und spätere Matrose auf einem Frachter in Lesconil im Departement Finistère niedergelassen. Der stets um finanzielle Mittel ringende Waadtländer baute dann dort mithilfe der bretonischen Bevölkerung eine Open-60-Jacht – eine rührende Geschichte der Nächstenliebe, die um die Welt ging.

Doch bereits fünf Tage nach dem Start zur Vendée Globe 2000 musste Stamm, an der Spitze liegend, wegen des Defekts der beiden automatischen Piloten aufgeben. Der mittlerweile 61 Jahre alte Segler, in der Szene immer noch für diverse Projekte unterwegs und als Draufgänger bekannt, bereut nichts. Zum Malheur von 2000 sagt er der NZZ: «Das wäre mir vielleicht nicht passiert, wenn ich nicht hätte siegen wollen. Ich habe immer versucht, zu gewinnen.»

Alle wollen vor allem ihre Geschichte erzählen

Vom gegenwärtigen Schweizer Trio hat niemand den Ruf, allzu draufgängerisch vorzugehen. Heutzutage ist überlegtes, vorausschauendes Handeln angesagt. Oliver Heer möchte im vorderen Teil des Feldes jener segeln, die ohne Foils antreten.

Justine Mettraux macht, wie immer, keine Prognosen und sagt: «Ich konzentriere mich auf die Art meines Segelns.» Experten trauen ihr zu, dass sie sich vielleicht sogar unter den besten sechs klassieren kann. Mit ihrem aktuellen Boot ist sie in all ihren Rennen in den Top Ten gelandet. Alan Roura sieht seiner dritten Vendée-Globe-Teilnahme gelassen entgegen: «Es gibt einen Sieger, und es gibt die anderen. Ob man Zweiter oder Zweiundzwanzigster wird, ist eigentlich egal.»

Alle drei wollen vor allem eine Geschichte erzählen, ihre Geschichte. Darin liegt das Geheimnis des Erfolgs der Vendée Globe. Jeder Segler, jede Seglerin hat im Rennen andere Erfahrungen gemacht. Er oder sie erzählt auf seine oder ihre Art, was er, was sie gesehen und erlebt hat.

Justine Mettraux wird, ganz ihrem Naturell entsprechend, mehr von technischen Aspekten reden, vom Kurs, vom Wetter. Oliver Heer hingegen möchte mit seiner offenen Art den Deutschschweizern die Vendée Globe näherbringen. Und Alan Roura wird von einer Expedition sprechen, von der Challenge, wenn man sich allein mit den Elementen Wind und Wasser auseinandersetzen müsse.

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