Ein vorbestrafter Betrüger schrammt haarscharf an einer vollziehbaren Gefängnisstrafe vorbei. Das Gericht gibt ihm eine letzte Chance.
Nicht weniger als 71 Mal will ein heute 65-jähriger ehemaliger Servicetechniker, der eine eigene Firma betrieb, in den Filialen einer Versicherungsgesellschaft Bürogeräte gewartet haben: Aktenvernichter, Stempelmaschinen, Papierschneidemaschinen. Das war in der Zeit zwischen September 2018 und Januar 2020. Für jede der Wartungsarbeiten schickte er eine Rechnung in der Höhe von 1550 bis 2300 Franken an die Zentrale der Versicherung. Dort wurde sie bezahlt.
Das Problem: In vielen der Agenturen standen gar keine Aktenvernichter. Und in zwei Fällen existierten in den angegebenen Ortschaften nicht einmal Filialen der Versicherung. Unterschriften, mit denen Mitarbeiter an Ort und Stelle die Arbeitsrapporte visiert hatten, waren völlig unleserlich. Und wenn sie leserlich waren, gab es gar keine Mitarbeiter mit diesen Namen in den entsprechenden Agenturen.
Insgesamt kassierte der Beschuldigte für die 71 Wartungsarbeiten 141 240 Franken.
Der Beschuldigte bestreitet sämtliche Vorwürfe
Die Arbeiten seien alle ausgeführt worden, wiederholt der Beschuldigte bei seiner Befragung vor Bezirksgericht Zürich immer wieder. Er habe seinen Job gut erledigt. «Ich habe immer alles gemacht, wie es korrekt ist.»
Auf die Frage, warum in 60 Fällen Aktenvernichter gewartet worden sind, die in den betreffenden Filialen gar nie vorhanden waren, antwortet er: Die Geräte seien sicher in diesen Filialen gestanden. Weshalb zwei Filialen gar nicht existierten, kann er nicht erklären: «Das weiss ich nicht mehr, es ist lange her.» Auch, warum man in den Agenturen die Unterschriften zum Teil gar nicht kenne, weiss der 65-Jährige nicht.
Der vorsitzende Richter zitiert eine Aussage des damaligen Buchhalters in der Zentrale der Versicherung: Der Beschuldigte habe sich häufig telefonisch gemeldet und sich aggressiv beschwert, wenn seine Rechnungen nicht sofort bezahlt worden seien. «Das glaube ich nicht, aggressiv nicht», sagt der Beschuldigte.
Im Verlaufe der Gerichtsverhandlung stellt sich heraus, dass der 65-Jährige während einer bereits laufenden Strafuntersuchung delinquiert haben soll. Er ist dreimal vorbestraft. Zweimal soll er dieselbe Methode angewendet haben. Letztmals wurde er im Jahr 2020 wegen Betrugsversuchs vom Zürcher Obergericht verurteilt. Bisher war es aber immer bei Geldstrafen geblieben.
Angeklagt sind auch noch der Besitz eines unerlaubten Tränengas-Sprays sowie der Fund von Marihuana, Mescalin und Ecstasy bei der Hausdurchsuchung. Er habe nicht gewusst, dass der Spray verboten sei, und das Säcklein mit den Drogen habe eine Barbekanntschaft, dessen Namen er nicht kenne, in der Wohnung liegen lassen.
Der Mann gibt an, Schulden in der Höhe von rund 500 000 Franken aufzuweisen. Nach seinen Zukunftsplänen befragt, meint der Vater von drei Kindern, der seine in Thailand getrennt von ihm lebende Frau und das jüngste Kind seit acht Jahren nicht mehr gesehen hat, er hoffe nochmals auf eine neue Beziehung.
Und dann macht er eine Aussage, der bei der späteren Urteilsfindung offenbar entscheidende Bedeutung zukommt: Er habe nicht mehr vor, zu arbeiten. Er lebe jetzt von der AHV und Ergänzungsleistungen.
Ihm kommt zugute, dass er nicht mehr arbeitet
Die Staatsanwältin will den Beschuldigten für zwei Jahre ins Gefängnis schicken: Sie beantragt eine vollziehbare Freiheitsstrafe von 24 Monaten wegen gewerbsmässigen Betrugs und mehrfacher Urkundenfälschung.
Der Beschuldigte habe davon profitiert, dass die Rechnungen zentral bearbeitet und genehmigt worden seien. Als die Versicherung ihr System intern umgestellt habe, seien seine Betrügereien sofort aufgefallen.
Der Verteidiger verlangt einen vollumfänglichen Freispruch und kritisiert die Untersuchung scharf. Es seien keine Mitarbeiter in den einzelnen Agenturen als Zeugen befragt worden, nur drei Mitarbeiter in der Zentrale.
Die Strafuntersuchung sei ursprünglich in Bezug auf zehn Firmen geführt worden. In allen anderen Fällen habe es aber Einstellungsverfügungen gegeben, und die anderen Firmen hätten ihr Desinteresse an der Strafuntersuchung erklärt. Dort seien keine Unstimmigkeiten bei den Arbeiten festgestellt worden.
Und selbst wenn der Sachverhalt vom Gericht erstellt werde, sei das Verhalten des Beschuldigten sicher nicht arglistig gewesen, was eine Voraussetzung für Betrug ist.
Das Bezirksgericht Zürich wertet jene Fälle, bei denen die Unterschrift nicht lesbar ist, zugunsten des Beschuldigten. Dort könnten tatsächlich Arbeiten ausgeführt worden sein, sagt der vorsitzende Richter.
62 Fälle, bei denen keine Aktenvernichter in den Filialen standen oder die Filialen gar nicht existierten, sieht das Gericht aber als nachgewiesen an. Der Deliktsbetrag beläuft sich noch auf 124 620 Franken. Dieser Betrag wird der Versicherung als Schadenersatz zugesprochen.
Das Gericht verurteilt den Beschuldigten wegen mehrfachen Betrugs, mehrfacher Urkundenfälschung und Widerhandlungen gegen das Waffen- und Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten und einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen à 30 Franken; teilweise als Zusatzstrafe zu widerrufenen Vorstrafen. Die Qualifikation der Gewerbsmässigkeit verwerfen die Richter aber, weil sie in der Anklageschrift nicht beschrieben sei.
Die Freiheitsstrafe wird bei einer Probezeit von extrem langen 5 Jahren bedingt aufgeschoben, dies im Sinne einer «allerletzten Chance». Weil der Beschuldigte nicht mehr arbeitstätig sei, habe das Gericht die Hoffnung, dass er wirklich nicht mehr straffällig werde.
Zudem sei er nun zum ersten Mal mit einer Freiheitsstrafe konfrontiert, und das Gericht gehe davon aus, dass er sich davon beeindrucken lasse.
Urteil DG240120 vom 24. 1. 2025, noch nicht rechtskräftig.