Mittwoch, November 12

Mehrere Tests für die Zulassung an Universitäten mussten wegen Betrügereien annulliert werden. Die Opposition nutzt die Gelegenheit, sich als Fürsprecher der Jugend zu profilieren. Doch keine Partei ist völlig unschuldig an dem Problem.

Die neue Regierung von Narendra Modi ist noch keine drei Wochen im Amt, da ist sie bereits mit ihrem ersten Skandal konfrontiert. Mehrere Aufnahmeprüfungen für die Universitäten mussten im Juni annulliert werden, da die Prüfungsfragen geleakt worden waren. Zahlreiche junge Leute sind nun gezwungen, die Tests zu wiederholen. Die Regierung hat den Leiter der zuständigen Behörde suspendiert, eine Untersuchung angeordnet und ein neues Gesetz gegen Betrügereien in Kraft gesetzt. Doch die Wut der Jugend ist gross.

Die Vereidigung des Bildungsministers im Parlament in Delhi wurde am Montag von Protesten auf den Strassen überschattet. Auch die Rede der indischen Staatspräsidentin Droupadi Murmu vor den beiden Parlamentskammern wurde von Protestrufen unterbrochen. Und am Freitag forderte die Opposition das Regierungslager lautstark auf, das Thema im Parlament zur Debatte zu stellen. Einige Abgeordnete verlangten sogar den Rücktritt des Bildungsministers.

Die Opposition wittert die Chance, sich als Fürsprecher der Jugend zu profilieren. Der Regierung von Premierminister Modi wirft sie vor, eine Diskussion über das Thema unterdrücken zu wollen. Der Oppositionsführer Rahul Gandhi forderte die Regierung auf, gemeinsam mit der Opposition nach einer Lösung zu suchen. Das Thema müsse Priorität haben, da es die ganze Jugend betreffe, sagte der Politiker der Kongresspartei in einer Rede vor dem Unterhaus.

Betrug bei Tests ist ein chronisches Problem in Indien

Unregelmässigkeiten und Betrügereien bei den oft hochkompetitiven Aufnahmeprüfungen für die Universitäten und bei den Auswahlverfahren für den Staatsdienst sind ein chronisches Malaise in Indien. Das grösste Problem ist, dass immer wieder Prüfungsunterlagen vorab veröffentlicht werden. Dies war auch der Fall bei dem National Eligibility Cum Entrance Test (NEET) – der nationalen Aufnahmeprüfung für das Medizinstudium. Landesweit bewarben sich dabei Anfang Juni 2,4 Millionen Studierende um 110 000 Studienplätze.

Betrüger sollen Stunden vor Beginn des Tests die Fragen zum Kauf angeboten haben. Ungewöhnlich viele Teilnehmer erzielten Bestnoten. Im nördlichen Teilstaat Bihar wurden vier Männer festgenommen, die Prüfungsfragen geleakt haben sollen. Bereits vor dem Medizin-Examen musste ein Auswahlverfahren für Dozentenstellen an Universitäten wegen geleakter Prüfungsfragen abgebrochen werden. Nach dem NEET-Skandal wurden weitere Tests abgesagt.

Für Akademiker gibt es viel zu wenig Jobs in Indien

Die Annullierung der Prüfungen stürzt viele Studenten in Verzweiflung. Für die Bewerber und ihre Familie steht bei den Tests viel auf dem Spiel. Sie verbringen meist Monate oder gar Jahre mit der Vorbereitung auf die Examen. Besonders der Zugang zu den staatlichen Universitäten ist heftig umkämpft, da das Studium dort günstiger ist. Allerdings ist ein Uni-Abschluss längst keine Job-Garantie mehr in Indien. Für Akademiker gibt es in der privaten Wirtschaft viel zu wenig geeignete Stellen.

In vielen Teilen Indiens ist die Arbeit in staatlichen Organisationen wie der Eisenbahn, der Polizei oder der Forstbehörde die einzige Hoffnung auf eine sichere, feste Anstellung. Entsprechend begehrt sind die Stellen im Staatsdienst. Mehr als eine Million Bewerber nahmen vergangenes Jahr am Auswahlverfahren für die nationale Beamtenlaufbahn teil, in der Hoffnung, eine von gut 1000 Stellen zu bekommen. Angesichts des immensen Drucks und des erbitterten Wettbewerbs sind viele Bewerber bereit, auch zu betrügerischen Mitteln zu greifen.

Alle Parteien sind von den Betrugsskandalen betroffen

Laut einer kürzlich veröffentlichten Recherche des «Indian Express» gab es in den vergangenen fünf Jahren 41 Leaks bei Aufnahmeprüfungen. Insgesamt seien 14 Millionen Bewerber in 15 Teilstaaten betroffen gewesen. Für die Betrügereien trägt nicht nur die regierende Bharatiya Janata Party (BJP) von Premierminister Modi die Verantwortung. Auch in Teilstaaten unter der Kontrolle der oppositionellen Kongresspartei und der grossen Regionalparteien gab es Skandale.

Im diesjährigen Wahlkampf waren die Skandale ebenfalls ein Thema. Aus der Parlamentswahl ging die BJP Anfang Juni erneut als stärkste Kraft hervor. Doch verlor Modis Partei ihre absolute Mehrheit, so dass sie erstmals seit zehn Jahren mit Koalitionspartnern regieren muss. Für Modi ist der Prüfungsskandal unangenehm. Er überschattet nicht nur den Beginn seiner neuen, dritten Amtszeit, sondern lenkt auch den Blick auf das wachsende Problem der Jugendarbeitslosigkeit.

Unter dem Druck der Opposition versucht die Regierung nun, Tatkraft zu demonstrieren. Sie verweist insbesondere auf ein neues Gesetz gegen Testbetrug, das am 21. Juni in Kraft trat und mehr Transparenz, Fairness und Glaubwürdigkeit schaffen soll. Es definiert strengere Regeln für die Organisation der Prüfungen und sieht Strafen von bis zu zehn Jahren Haft für Betrüger und hohe Geldbussen vor. Kritiker fürchten aber, dass dies Betrüger nicht abschrecken wird. Ähnliche Gesetze auf Ebene der Teilstaaten haben sich als unzureichend erwiesen.

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