Montag, Oktober 7

Immer wenn irgendwo Not herrscht, ernennt die italienische Regierung einen Spezial-Bevollmächtigten, der zum Rechten sehen soll. Diesmal geht es um den Kampf gegen die invasive Blaukrabbe, die fast alles frisst, was ihr zu nahe kommt.

Es ist ein Fall für Enrico Caterino: Am Dienstag hat die italienische Regierung den früheren Präfekten von Ravenna zum Sonderkommissar ernannt. Er soll sämtliche Massnahmen koordinieren, die zur Bekämpfung der Blaukrabbe notwendig sind. Diese wütet auf besorgniserregende Weise im Mittelmeer.

Seit etwa zwei Jahren häufen sich die Meldungen über die Schäden, die das an sich ansehnliche Tier verursacht. Es hat sich rasant im Mittelmeer ausgebreitet, nachdem es, wie Wissenschafter vermuten, im Ballastwasser von Frachtschiffen den Atlantik überquert hat. Ballastwasser wird jeweils am Starthafen in die Schiffe gepumpt, wenn diese nicht vollgeladen sind. So geraten oft fremde Meerestiere in andere Ökosysteme. Finden sie dort gute Bedingungen vor, vermehren sie sich.

Das Mittelmeer, im Besonderen die nördliche Adria, hat es der Blaukrabbe offensichtlich angetan. Dort sind die Wassertemperaturen in den letzten Jahren erheblich gestiegen. In diesem Sommer werden in der Adria (aber teilweise auch im Tyrrhenischen Meer) bis zu 30 Grad gemessen – ideale Bedingungen für die Fortpflanzung.

Vongole-Züchter betroffen

Blaukrabben fressen, und das ist das eigentliche Problem, fast alles, was ihnen nahe kommt: Muscheln, kleinere Krebse, Fische, Würmer. Eine besondere Vorliebe haben sie für die Vongole veraci entwickelt, jene grosse Vongole-Art, die zu den sommerlichen Leibspeisen der Italiener gehört. Kein Sommer ohne Linguine oder Spaghetti alle Vongole! Seit sie ihnen diese Delikatesse wegfrisst, nennen die Italiener die Blaukrabbe schlicht «Vongole-Killer».

Die Schäden sind riesig. In gewissen Gebieten des Veneto beklagen die Muschelzüchter den totalen Ernteausfall, im Po-Delta um Goro und Comacchio, wo besonders schmackhafte Vongole gezüchtet werden, betragen die Verluste 70 und mehr Prozent. Das ehemals lukrative Geschäft ist zusammengebrochen, zahlreiche Züchter müssen sich nach neuen Jobs am Festland umschauen oder fahren als Fischer hinaus aufs Meer, statt in der Lagune Muscheln zu ernten. Die Konsumenten spüren es im Portemonnaie: Die Preise für ein Kilo Vongole haben sich im Vergleich zu früheren Jahren verdoppelt.

Fast alles haben sie versucht, um der Invasion Herr zu werden: Man hat die Blaukrebse abgefischt und im grossen Stil entsorgt. Es wurden, wo es möglich war, Barrieren in die Lagune gerammt, um die Schalentiere am Eindringen ins seichte Wasser zu hindern, Startups haben über Verwertungsmöglichkeiten nachgedacht, Starköche haben Rezepte publiziert, um die Italiener zum Verzehr des eigentlich als Delikatesse geltenden Tiers anzuhalten – vergeblich. «Die Neugier der Gastronomie auf die blaue Krabbe ist verblasst», schreibt die «Repubblica».

Hilft Algenschleim?

Nun soll es die Politik richten. Bereits letztes Jahr hat die Regierung den betroffenen Regionen Mittel zugesagt, um die Folgen der Invasion zu mildern. Der jetzt ernannte Sonderkommissar soll laut Medienangaben über weitere 10 Millionen Euro verfügen, die er dort einsetzen kann, wo es ihm vordringlich erscheint. Darüber hinaus erwarten die Berufsverbände von ihm die Organisation einer ständigen wissenschaftlichen Überwachung und die Sammlung zuverlässiger Daten, um wirksame Strategien gegen die Krabbe zu entwickeln.

Die Einsetzung von Sonderkommissaren ist ein beliebtes Mittel der italienischen Politik, wenn es darum geht, dringliche Situationen zu bewältigen. Offenbar sind nur solche mit direktem Durchgriff ausgestattete Funktionäre in der Lage, die bürokratischen Hindernisse zu überwinden, die das Land selbst bei Notständen lahmlegen. Derzeit sind über vierzig Sonderkommissare im Einsatz – sie helfen, Unwetterschäden zu beseitigen, Problemquartiere zu sanieren oder die Folgen der Immigration abzufedern. Oft gelingt es ihnen, die Abläufe zu beschleunigen und rasche Hilfe zu organisieren. Nicht immer aber sind sie erfolgreich – manchmal überdecken sie einfach nur das Unvermögen der Politik.

Ob Enrico Caterino die Blaukrabbe unter Kontrolle bringen kann, ist offen. Möglich, dass er von unerwarteter Seite Unterstützung erhält: Laut Meldungen sind in der Po-Mündung vor einer Woche Hunderte von Blaukrabben verendet. Sie fielen offenbar dem zähen und stinkenden Algenschleim zum Opfer, der sich infolge der hohen Wassertemperaturen gerade in der oberen Adria ausbreitet.

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