Samstag, Januar 18

In Zürich ist jüngst ein Vier-Augen-Delikt verhandelt worden. Dabei ging es um die Frage, ob es eine versuchte Vergewaltigung war.

Am 1. Dezember 2023 traf ein heute 26-jähriger Schweizer Strassenbauer zufällig auf der Strasse im Zürcher Kreis 3 eine ihm bis dahin fremde Frau und sagte zu ihr auf Englisch, sie sei hübsch. Nach einem Gespräch gingen sie zusammen zu einem Coop in der Nähe, der Mann kaufte zwei Bier, welche die beiden draussen tranken.

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Es hatte geschneit, und die Frau wollte den Schnee fotografieren. Dazu musste sie in ihrem nahen Appartement ihr Mobiltelefon holen. Der Mann begleitete die Frau dorthin.

Nun kommt noch ein entscheidender Faktor ins Spiel: Bei der Frau handelte es sich um eine Spanierin, die in Zürich als Escort-Dame arbeitete. Dies will sie dem Strassenbauer aber nicht gesagt haben. Trotzdem gab sie ihm ihre Nummer, weil sie gedacht habe, dass der Mann ihr Kunde werden könnte.

Heftiger Kampf auf dem Bett

Die Frau gab an, sie habe den Mann eigentlich nichts ins Appartement mitnehmen wollen. Vor ihrem Studio habe er aber gesagt, dass er auf die Toilette müsse. Deshalb habe sie ihn hineingelassen.

Was von diesem Zeitpunkt an geschah, darüber erzählen die beiden Beteiligten diametral andere Geschichten: Die Frau ist allerdings wieder in Spanien und deshalb am Prozess vor Bezirksgericht Zürich nicht anwesend.

Laut Anklage, die sich auf die Aussagen der Spanierin stützt, ist der Mann nach fünf bis zehn Minuten mit heruntergelassener Hose und halb erigiertem Penis aus der Toilette gekommen. Er soll die Frau daran gehindert haben, das Studio zu verlassen, und sie gewaltsam aufs Bett geworfen haben, wo er versucht habe, sie auszuziehen, zu küssen und zu vergewaltigen. Die Frau habe sich heftig gewehrt.

Sie habe dann gemerkt, dass sie gegen den Mann keine Chance habe, und deshalb zum Schein mitgespielt. Der Mann liess sie aufstehen. Sie konnte einen Pfefferspray behändigen und gegen ihn einsetzen. Es habe einen weiteren Kampf auf dem Bett gegeben, und der Beschuldigte sei schliesslich geflüchtet.

Der Schweizer konnte am Tag darauf verhaftet werden. Er sass fünf Tage in Untersuchungshaft und ist seither wieder auf freiem Fuss. Die Staatsanwältin beantragt eine Freiheitsstrafe von 40 Monaten wegen versuchter Vergewaltigung und sexueller Nötigung.

Unerklärlicher plötzlicher Angriff?

Der 26-jährige Strassenbauer, der gemäss eigenen Angaben derzeit eine Freundin hat und noch bei den Eltern wohnt, erklärt vor Gericht, der Vorwurf stimme nicht. Er habe nie versucht, die Frau zu vergewaltigen. In der Wohnung habe sie zu ihm gesagt, man könne Spass haben. Er sei davon ausgegangen, dass sie Sex wolle. Er habe sein Oberteil ausgezogen. Sie habe gesagt, er sehe gut aus.

Plötzlich sei sie wütend geworden, habe angefangen herumzuschreien und ihn angegriffen. Sie habe ihn aufs Gesicht geschlagen und mit einem Pfefferspray besprüht. Er habe versucht, sie zu beruhigen, und habe sie an beiden Armen gehalten. «Es war auch für mich beängstigend. Ich habe so etwas noch nie erlebt», gibt er zu Protokoll. Ja, und während des Kampfes sei er auf ihr gelegen, räumt er ein.

Weshalb ihn die Frau falsch beschuldigen solle, wird er gefragt. Er habe ein Jahr lang über die Situation nachgedacht und könne sie sich bis heute nicht erklären. Er habe sich schon im Studio gefragt: «Das ist jetzt komisch, warum reagiert sie so?» Er sei angegriffen worden und dann aus dem Studio geflüchtet.

Durch den Kampf erlitt er Kratzverletzungen und Hautveränderungen im Gesicht. Der Frau brach ein Fingernagel ab.

Aussage gegen Aussage

Für die Staatsanwältin sind die Erzählungen des Beschuldigten Schutzbehauptungen. Er habe sich eine Geschichte einfallen lassen müssen, um seine Gesichtsverletzungen zu erklären. Die Aussagen der Spanierin seien hingegen glaubhaft, detailreich, sachlich und ohne Übertreibungen.

Die Anwältin der Privatklägerin, die 7000 Franken Genugtuung beantragt, ist der Meinung, die Aussagen des Beschuldigten ergäben keinen Sinn. Er könne ja selber kein Motiv nennen, weshalb die Frau plötzlich angefangen habe zu schreien.

Der Verteidiger will einen vollumfänglichen Freispruch. Nur weil die Privatklägerin keinen Grund zur Lüge habe, heisse das nicht, dass ihre Aussagen der Wahrheit entsprechen müssten. Vielleicht habe sie subjektiv etwas falsch interpretiert. Aus Sicht des Beschuldigten müsse es sich um ein Missverständnis gehandelt haben.

Weshalb es zum Gerangel gekommen sei, lasse sich objektiv nicht herleiten. An der Geschichte der Frau könne aber etwas nicht stimmen, und ihre Motivation sei nicht erklärbar. Finanzielle Motive seien nicht auszuschliessen. Der Beschuldigte sei nicht vorbestraft und kein Sexualtäter. Es müsse ein Freispruch «in dubio pro reo» erfolgen.

Das Bezirksgericht Zürich erachtet die Aussagen von beiden Beteiligten als glaubhaft. Es stehe letztlich Aussage gegen Aussage, sagt die vorsitzende Richterin bei der Urteilseröffnung. Beide Versionen seien möglich und plausibel. Es sei ein Vier-Augen-Delikt, es gebe keine Zeugen und keine Beweise.

Das Gericht könne nicht verifizieren, was stimme. Deshalb müsse ein Freispruch erfolgen. Für die fünf Tage Untersuchungshaft erhält der Beschuldigte 1000 Franken Genugtuung zugesprochen.

Urteil DG240115 vom 9. 1. 2025, noch nicht rechtskräftig.

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