Samstag, März 15

Der Supreme Court entscheidet derzeit über Donald Trumps mögliche Immunität. Doch neue Enthüllungen stellen die Unparteilichkeit des Gerichts infrage. Vor Richter Samuel Alitos Häusern wehten Flaggen, die auch beim Capitol-Sturm zu sehen waren.

Das Vertrauen in Amerikas höchstes Gericht steht bereits auf einem historischen Tiefpunkt. Gemäss jüngsten Umfragen sind nur 35 Prozent der Bevölkerung mit der Arbeit des Supreme Court zufrieden. Unter demokratischen Wählern liegt dieser Wert lediglich bei 21 Prozent. In den Augen linker Beobachter ist die konservative Richtermehrheit längst nichts anderes als eine parteiische «Maga majority» – in Anspielung auf den Slogan «Make America Great Again» der Trump-Bewegung.

Enthüllungen der «New York Times» befeuern nun den Verdacht der Demokraten. Der erste Teil der Geschichte spielte sich vor drei Jahren in einem Vorort von Washington ab: Kurz nach dem Sturm auf das Capitol am 6. Januar 2021 wehte am Fahnenmast vor dem Wohnhaus des konservativen Richters Samuel Alito eine auf den Kopf gestellte amerikanische Flagge. Solche falsch aufgezogenen Fahnen waren damals oft an den «Stop the Steal»-Protesten der Trump-Anhänger zu sehen, die in Joe Bidens Wahlsieg einen grossen Betrug witterten. Auch beim Sturm auf das Capitol schwenkten einzelne «Aufständische» dieses Symbol.

Zwei Fahnen des 6. Januars

Der von Präsident George W. Bush 2006 für den Supreme Court nominierte Alito versuchte die pikante Episode auf seine Frau abzuschieben. Er selbst habe mit der Flagge nichts zu tun gehabt, schrieb er in einer Stellungnahme. «Sie wurde für kurze Zeit von Frau Alito aufgezogen als Antwort auf ein anstössiges und persönlich beleidigendes Schild im Garten eines Nachbarn.» Offenbar stand darauf «Fuck Trump» geschrieben. Daraus soll sich ein Streit mit dem Nachbar entzündet haben, der Frau Alito auf vulgäre Weise beschimpfte und auf einem weiteren Schild für den 6. Januar mitverantwortlich machte.

Am Mittwoch jedoch publizierte die «New York Times» einen zweiten Teil der Geschichte. Im vergangenen Sommer wehte vor dem Strandhaus des Obersten Richters in New Jersey eine Flagge mit einem grünen Tannenbaum und der Aufschrift «Appeal to Heaven» darauf. Sie wird in den USA gerne von christlichen Nationalisten geschwenkt und war beim Sturm auf das Capitol ebenfalls in den Händen der Demonstranten zu sehen.

Die Wurzeln der «Pine Tree Flag» gehen bis zum amerikanischen Unabhängigkeitskrieg zurück. Der evangelikale Aktivist Dutch Sheets propagierte die Fahne in rechtskonservativen Kreisen in den vergangenen Jahren jedoch erfolgreich als Symbol einer spirituellen Revolution. Gemäss dem Princeton-Historiker Anthony Grafton geht die Aufschrift «Appeal to Heaven» auf den englischen Aufklärungsphilosophen John Locke zurück. Dieser habe an die Verantwortung appelliert, gegen eine ungerechte Herrschaft zu rebellieren – auch mit Gewalt.

Dass Alito mit einer christlich-konservativen Bewegung sympathisiert, ist im Grunde keine Überraschung. Er verfasste 2022 das Urteil, mit dem der Supreme Court in den USA das verfassungsmässige Recht auf Abtreibung annullierte. Immer wieder kritisiert er das Urteil von 2015, mit dem das Oberste Gericht die gleichgeschlechtliche Ehe legalisierte. Ungewöhnlich scheint indes, dass ein Mitglied des Supreme Court so wenig acht darauf gibt, seine politischen Überzeugungen nicht an die grosse Glocke zu hängen. «Wir alle haben unsere Befangenheiten, aber ein guter Richter kämpft gegen sie an», erklärte der Rechtsprofessor Charles Geyh gegenüber der «New York Times». Aber wenn ein Richter seine Neigungen mit dem Hissen einer Fahne zelebriere, sei dies tief beunruhigend.

Trumps Strafverfahren in den Händen des Supreme Court

Für den Supreme Court sind die Enthüllungen zu diesem Zeitpunkt aus zwei Gründen besonders belastend. Erstens ist Alito nicht der erste konservative Richter, über dessen Unparteilichkeit ernsthafte Zweifel aufgekommen sind. Der 1991 von Präsident George Bush senior nominierte Clarence Thomas ist mit einer konservativen Aktivistin und brennenden Trump-Anhängerin verheiratet. Nach der Wahlniederlage 2020 schrieb Ginni Thomas Textnachrichten an Trumps Stabschef Mark Meadows. Der Präsident dürfe seine Niederlage nicht akzeptieren, meinte sie. «Biden und die Linke versuchen den grössten Raubüberfall unserer Geschichte.»

Zweitens befasst sich der Supreme Court derzeit gerade mit zwei wichtigen Fällen, die einen entscheidenden Einfluss auf die Strafverfahren gegen Trump haben. Zum einen geht es um die Frage, ob ein Gesetz, das «die Behinderung eines offiziellen Verfahrens» ahndet, auf den Sturm auf das Capitol anwendbar ist. Sagt das Oberste Gericht Nein, könnte ein Teil der Anklage des Sonderermittlers Jack Smith gegen Trump wegfallen. Wichtiger aber ist die Frage darüber, inwiefern Trump durch seine präsidiale Immunität vor einer Strafverfolgung geschützt ist. Bereits jetzt hat der konservativ beherrschte Supreme Court die Klärung dieser Frage derart lange verzögert, dass ein Prozess zu Trumps Rolle am 6. Januar vor dem Wahltermin im November unwahrscheinlich erscheint.

Bereits bisher forderten die Demokraten, dass Clarence Thomas bei Urteilen, die Trump betreffen, in den Ausstand treten müsse. Nun fordern fast 50 demokratische Abgeordnete dies ebenfalls in einem Brief an Alito: «Vernünftige Leute werden daran zweifeln, ob Sie unparteiisch darüber entscheiden können, ob Trump für seine Rolle in der ‹Stop the Steal›-Bewegung strafrechtlich verfolgt werden sollte.»

Vermutlich dürfte Alito – so wie auch bisher Thomas – nicht in den Ausstand treten. Aber auch republikanische Politiker kritisierten den Richter für die zeitweiligen Flaggen vor seinen Häusern. Ihr Fraktionsführer im Senat, Mitch McConnell, sprach von einer «schlechten Entscheidung». Es sei «ein Fehler» gewesen, meinte Senator Lindsey Graham. Allein diese Rügen reichen indes kaum aus, um das erschütterte Vertrauen in den Supreme Court wieder herzustellen.

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