Freitag, Oktober 18

Nach langem Vorgeplänkel will nun auch Deutschland auf die Abscheidung und Speicherung von klimaschädlichem CO2 setzen. Dazu sollen der Export und deutsche Offshore-Standorte genutzt werden.

Endlich, ist man versucht zu schreiben: Deutschland will sich den Technologien zur Abspaltung und Speicherung von Kohlendioxid (Carbon Capture and Storage, CCS) sowie zu dessen Abspaltung und Nutzung (Carbon Capture and Utilization, CCU) öffnen. Dies hat Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck am Montag an einer gemeinsamen Medienkonferenz mit dem Klimaökonomen Ottmar Edenhofer und dem Chef des Baustoffkonzerns Heidelberg Materials, Dominik von Achten, angekündigt. Er legte Eckpunkte für eine Carbon-Management-Strategie und einen darauf basierenden Entwurf zur Änderung des Kohlendioxidspeicherungsgesetzes von 2012 vor.

Derzeit untersagt dieses Gesetz – bis auf die inzwischen abgelaufene Möglichkeit von Versuchsanlagen – die Speicherung von Kohlendioxid (CO2) in Deutschland. Zudem ist der Export von CO2 zwecks Offshore-Speicherung verboten; lediglich die Ausfuhr per Zug, Schiff oder Lkw zur Onshore-Speicherung im Ausland wäre möglich. Wegen der fehlenden Rechtssicherheit existiert in Deutschland zudem keine CO2-Transportinfrastruktur, die aber eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung von CCS und CCU darstellt. Statt per Pipeline müssten die Unternehmen CO2 bisher «mit Kesselwagen» transportieren, sagte Habeck.

CCS ist «sicher und reif»

Hintergrund des weitreichenden Verbots waren Bedenken zur Sicherheit der Technologie. Zudem befürchteten Klimaschützer, dass CCS und CCU den Ausstieg aus den fossilen Energieträgern verzögern könnten.

Heute ist sich die Wissenschaft indessen weitgehend einig: Das Ziel, bis 2050 (EU) oder gar schon 2045 (Deutschland) Klimaneutralität zu erreichen, ist ohne diese Technologien nicht mehr zu schaffen. Denn es gibt Emissionen aus der Industrie, die nur sehr schwer oder gar nicht vermeidbar sind. Das gilt vor allem für die Herstellung von Zement und Kalk sowie für die Kehrichtverbrennung.

Dem schloss sich nun auch Habeck an. Der grüne Politiker, der CCS einst selbst abgelehnt hatte und dessen Partei sich erst im November zu einem Kurswechsel durchgerungen hatte, sprach von einer pragmatischen und verantwortungsvollen Entscheidung. Zum einen sei die Technologie inzwischen weiterentwickelt worden. Sie sei nun «reif und sicher». Zum anderen sei die Zeit für das Warten auf andere Lösungen abgelaufen, es gebe keine technischen Möglichkeiten zur Vermeidung von CO2-Emission zum Beispiel in der Zementindustrie.

Ergänzung der Klimapolitik

Der Wirtschaftsminister betonte zugleich, dass die CCS-Technologie nur eine notwendige Ergänzung in der Klimapolitik sei. Im Zentrum der Anstrengungen stehe immer, Emissionen gar nicht erst entstehen zu lassen.

Mit der CCS-Technologie werden CO2-Emissionen abgefangen, zu einem unterirdischen Speicher transportiert und dort dauerhaft gespeichert. Dabei kann das Kohlendioxid mit der Zeit auch mineralisieren. Bei der CCU-Variante wird das abgeschiedene CO2 für die Herstellung von Produkten beispielsweise in der Chemieindustrie weiterverwendet. Damit wird es im Kreislauf gehalten und muss weder durch fossile Quellen neu gewonnen noch im Boden verpresst werden. Beide Verfahren sind indessen ihrerseits energieintensiv und mit erheblichen Kosten verbunden.

Vier Kernelemente

Der angestrebte Kurswechsel umfasst im Wesentlichen vier Elemente: Erstens soll mit der Gesetzesänderung ein klarer Rechtsrahmen für den Aufbau einer CO2-Pipeline-Infrastruktur geschaffen werden. Betrieben werden sollen die Pipelines von privaten Trägerschaften. Zweitens wird die Erkundung von Offshore-Speicherstätten, also von Speichern für CO2 im Meeresboden in der deutschen ausschliesslichen Wirtschaftszone, gesetzlich ermöglicht. Das sind Gebiete ausserhalb der Küstenzone; ausgeschlossen bleiben Meeresschutzgebiete.

Die CO2-Speicherung im geologischen Untergrund auf dem deutschen Festland (Onshore) wird hingegen, drittens, weiterhin nicht ermöglicht. Sollten allerdings die Bundesländer darum bitten, will der Bund eine gesetzliche Grundlage schaffen, die einzelnen Bundesländern ein Opt-in zur Onshore-Speicherung ermöglichen würde. Derzeit sind jedoch keine solchen Pläne eines Landes bekannt. Viertes Element ist die Zulassung von CO2-Exporten zum Zwecke der Offshore-Speicherung. Hierzu will Berlin die einschlägige Änderung des London-Protokolls, eines multilateralen Übereinkommens zum Meeresschutz, ratifizieren.

Im Fokus des Kurswechsels stehen CO2-Emissionen, die schwer oder nicht vermeidbar sind. Hier ist aus Sicht von Habeck auch eine anfängliche staatliche Förderung nötig, obwohl längerfristig der steigende CO2-Preis und der Emissionshandel die CO2-Abscheidung wirtschaftlich machen dürften.

Im Sinne eines technologieoffenen Übergangs sollen CCS- und CCU-Anwendungen zudem für Kraftwerke mit gasförmigen Energieträgern oder Biomasse ermöglicht werden. Setzen diese fossile Energieträger wie Erdgas ein, sollen sie aber keine Staatshilfe für CCS-Projekte erhalten. Nicht zum Einsatz kommen sollen die beiden Technologien bei Kohlekraftwerken, da die Regierung am Kohleausstieg festhält. Deshalb bleiben diese Kraftwerke vom Zugang zu den CO2-Pipelines ausgeschlossen.

Über diese Pläne hinaus arbeitet das Wirtschaftsministerium an einer Strategie für «Negativemissionen», also für technische Verfahren, die der Atmosphäre CO2 entziehen.

Deutschland als Nachzügler

Laut Habeck ist das Paket mit den beiden Koalitionspartnern abgestimmt. Gleichwohl geht es jetzt zunächst in eine formelle Abstimmung zwischen den Ressorts, bevor es vom Kabinett beschlossen werden kann. Dann muss noch der Bundestag zustimmen. Die Bewilligung und Realisierung von Speicher- und Pipeline-Projekten wiederum wird Jahre dauern. Dennoch zeigt sich das Wirtschaftsministerium zuversichtlich, dass der CCS-Hochlauf bei einem zügigen Inkrafttreten der Gesetzesnovelle bis 2030 realistisch sei.

Deutschland ist in dieser Sache ein Nachzügler. In Europa treiben etwa Dänemark, die Niederlande, Belgien und Norwegen das Thema voran, weltweit setzen zum Beispiel auch die USA, China, Kanada und Australien darauf. In der Schweiz hat der Bundesrat im November 2023 beschlossen, die erwähnte Änderung des London-Protokolls zu ratifizieren und damit den Export von CO2 zur Speicherung im Meeresboden zu ermöglichen. Anfang Februar hat zudem die EU-Kommission eine Carbon-Management-Strategie vorgelegt.

Sie können dem Berliner Wirtschaftskorrespondenten René Höltschi auf den Plattformen X und Linkedin folgen.

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