Samstag, Oktober 5

Wieder einmal agiert Joe Biden protektionistisch und sperrt sich gegen die Übernahme von US Steel. Kaum ein Land will auf den heiligen Stahl verzichten. Darum geht es der Branche so schlecht.

Nötigung ist kein Tatbestand im Wirtschaftsrecht, sonst könnte man Joe Biden bald anklagen. Der amerikanische Präsident wird aller Voraussicht nach die Übernahme des Stahlkonzerns US Steel durch den japanischen Konkurrenten Nippon Steel verbieten. Das pfeifen in Washington die Spatzen von den Dächern.

Das Ungewöhnliche: US Steel will sich von den Japanern kaufen lassen. Der seit 1901 existierende Riese sieht das als besten Weg, Werke und Arbeitsplätze in den USA zu sichern. Doch Biden verweist auf die «nationale Sicherheit», die bedroht sei, wenn in Tokio über amerikanische Stahlwerke entschieden wird.

Das ist lächerlich. Japan ist der grösste und wichtigste Verbündete, den die USA in diesem Teil der Welt haben. Beliebt ist die Sichtweise trotzdem: Nicht nur Biden ist gegen den Eigentümerwechsel, auch Kamala Harris lehnt ihn ab. Donald Trump ist erst recht dagegen. Geht es um Protektionismus, nehmen sich beide Lager nicht viel.

Stahl hat alles, was ein Wahlkämpfer braucht

Leider lässt sich das nicht als typisch amerikanisches Problem abtun. Die Liebe zum Stahl ist eine internationale Obsession. Stahl vereint alle Attribute, mit denen Politiker in Verbindung gebracht werden wollen: Er steht für Tradition, Geschichte und wirtschaftliches Erbe. Er ist greifbar und nahbar, anders als zum Beispiel die vermeintlich seelenlose Finanzbranche. Beim Stahl ist eine Fabrik noch eine Fabrik. Jeder weiss, oder glaubt zu wissen, was Stahl ist und warum er wichtig ist.

Tatsächlich: Ohne Stahl brechen die Volkswirtschaften zusammen. Wortwörtlich. Aber dafür ist egal, wo der Stahl herkommt. Stattdessen versuchen Länder mit politischen Einwänden, Zöllen und Subventionen, ihren heiligen Stahl zu schützen. In Europa hält sich wohl jedes Land ein unrentables Stahlwerk.

In Deutschland kämpft die seit langem serbelnde Stahlsparte von ThyssenKrupp ums Überleben. Zuletzt erhielt sie 2023 Staatshilfe. Verhindert hat das den Niedergang nicht. In der Schweiz hat Stahl Gerlafingen eine Produktionslinie stillgelegt; Swiss Steel steckt in einer Restrukturierung. Auch hierzulande wurde nach öffentlicher Unterstützung gerufen.

Die Welt braucht Stahl – aber nicht so viele Stahlwerke

Beim Stahl macht wie so oft die Menge das Problem. Zwar braucht die Welt Stahl, und das wird sich nicht ändern. Aber die Welt braucht nicht so viele Stahlwerke. Die Überkapazität erstickt die Branche. Hohe Energiekosten und schwaches Wirtschaftswachstum verschärfen die Lage. Das grösste Problem ist China: Nach Pekings industriellen Hochrüsten steht dort inzwischen rund die Hälfte der weltweiten Produktionskapazität.

Weil die chinesische Konjunktur schwächelt, wird dieser Stahl jetzt im Ausland abgeladen. Nippon Steel kommt in Japan immer stärker unter chinesischen Druck. Deshalb will der Konzern 15 Milliarden Dollar für US Steel ausgeben und so den amerikanischen Markt erschliessen. Doch Washingtons Sorge um die nationale Sicherheit verzerrt den Strukturwandel. Es nützt niemandem, wenn US Steel und Nippon Steel getrennt scheitern, obwohl sie gemeinsam eine Chance hätten.

Konsolidierung ist der richtige Weg, um die globale Überkapazität an den unrentabelsten Standorten abzubauen und den Rest der Branche effizienter zu machen. Das muss nicht das Ende der westlichen Stahlproduktion bedeuten. Die Erzeugung verschlingt Unmengen Energie und belastet das Klima. Ein mit alternativen Energiequellen oder aus Recyclingmaterial erzeugter Stahl von westlichen Herstellern, obgleich teurer, mag klimabewusste Abnehmer finden.

Der Klimaschaden muss kosten

Um hier gleich lange Spiesse zu schaffen, ist der EU-Klimazoll wohl die einzige Handelsbarriere, die sich theoretisch rechtfertigen liesse. Mit dem Grenzausgleich müssen europäische Käufer von ausländischem Stahl jene Kosten für den CO2-Ausstoss bezahlen, die bei einer Produktion in der EU durch den hiesigen Emissionshandel angefallen wären.

Ideal ist auch dieser Mechanismus nicht. Aber der Klimazoll ist hoffentlich nur ein bürokratischer Zwischenschritt auf dem Weg zu einer internationalen Bepreisung von Emissionen. Ziel muss sein, dass in die Stahlerzeugung immer alle tatsächlich anfallenden Kosten einfliessen, auch solche für die Klimabelastung. Aber ohne Verzerrung durch politischen Protektionismus. Denn der Tanz ums stählerne Kalb verschwendet nur Zeit und Geld.

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