Seit zehn Jahren trägt sie die Alleinverantwortung für die Bayreuther Festspiele. Als Regisseurin war Katharina Wagner daneben fast unsichtbar. Dass sie noch immer etwas zum Werk ihres Urgrossvaters zu sagen hat, zeigt jetzt ein rabenschwarzer «Lohengrin» in Barcelona.
Katharina Wagner ist Opernregisseurin. Eigentlich. Doch 2015 übernahm sie mit 36 Jahren die alleinige Leitung der Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth. Seither hat sie nicht mehr selbst inszeniert, von ein paar Kinderopern in Japan abgesehen. Für die Abstinenz gibt es zwei handfeste Gründe. Erstens macht Wagner als Intendantin bei Deutschlands bedeutendstem Festival einen knochenharten Job. Zweitens kam immer wieder etwas dazwischen – Covid, zum Beispiel.
Musikalisch ist Bayreuth heute wieder federführend – was die Festspiele unter ihrem Vorgänger und Vater Wolfgang Wagner gegen Ende nicht mehr waren. Sie gelten als erste Adresse für junge Wagner-Sänger und neu zu entdeckende Wagner-Dirigenten. Auch musikpolitisch hat eine Öffnung stattgefunden, zugunsten des breiten Publikums, aber auch auf der Ebene kritischer Aufarbeitung der nationalsozialistisch verdunkelten Festspiel- und Familiengeschichte. Und schliesslich hat Katharina Wagner das sogenannte Regietheater dauerhaft auf dem Grünen Hügel etabliert, nicht nur versuchsweise wie ihr Vater. Sie lehrt es selbst an der Hochschule, hat diesbezüglich Mut, aber auch ein gutes Händchen.
Bürde und Privileg
So glückten in Bayreuth in den letzten Jahren immer wieder profilierte neue Lesarten, einige gewannen Kultcharakter. Der von Tobias Kratzer inszenierte «Tannhäuser» gehört dazu, ebenso Dmitri Tcherniakovs Lesart des «Fliegenden Holländers» und der von Neo Rauch farbensatt ausgestattete «Lohengrin». Bei den «Meistersingern», die heuer von dem ausgewiesenen Musical-Fachmann Matthias Davids neu inszeniert werden sollen, sind sogar zwei Produktionen im Gedächtnis geblieben: die historisierende von Barrie Kosky von 2017. Und die mit dem jungen Revoluzzer Stolzing, der als Maler Klecksel über Tisch und Bänke sprang, um die Freiheit der Kunst zu verteidigen – Katharina Wagner selbst hat damit ihr Festspieldebüt gegeben, anno 2007.
Das ist lange her. Wagner erarbeitete seinerzeit noch jährlich eine eigene Neuinszenierung, keineswegs ausschliesslich Werke ihres Urgrossvaters. Etwa Puccinis «Trittico» in Berlin und «Butterfly» in Mainz, aber auch Raritäten wie Eugen d’Alberts «Tiefland» oder Albert Lortzings «Waffenschmied». Jeder wolle ein Stück von ihr, klagte Katharina Wagner damals kokett in einem ihrer vielen Interviews.
Gewiss war es hilfreich zu Beginn ihrer Karriere, dass sie eine geborene Wagner ist. Aber sie hat zugleich draufzahlen müssen für dieses Privileg. Wie bei allen Clan-Angehörigen wurde auch bei ihr jeder Klacks öffentlich durchgehechelt. Ausgebuht, als Regisseurin, wurde sie regelmässig. Was sich, unter anderem, daraus erklärt, dass gerade in Wagner-Aufführungen stets einige Gralshüter imaginärer Werktreue sitzen, die sich zurücksehnen nach Helm und Speer, Schwan und Butzenscheibe.
Comeback als Regisseurin
So auch vergangene Woche, als Wagner in Barcelona mit einer neuen Inszenierung des «Lohengrin» am Gran Teatre del Liceu ihr Comeback als Regisseurin feierte. Auf Plakaten wurde der Name der Regisseurin sogar ausnahmsweise über dem des Chefdirigenten Josep Pons platziert. Die Produktion war bereits vor fünf Jahren geplant und bis zur Premierenreife gediehen, fiel dann aber der Pandemie zum Opfer.
Pünktlich zieht auch jetzt wieder ein kleines Buh-Gewitter auf, als Wagner und ihr Regieteam am Ende auf die Bühne kommen. Immerhin: Bravos gibt es auch. Und zuvor: lebhafte Pausendiskussionen. Katharina Wagner hat den «Lohengrin» schon einmal, 2004, in Budapest in Szene gesetzt, als Politsatire. 2017 betreute sie am Nationaltheater Prag ein Revival der Bayreuther Produktion von Wolfgang Wagner aus dem Jahr 1967. In Barcelona stellt sie das Stück jetzt grundsätzlich vom Kopf auf die Füsse.
Es wird entmystifiziert. Das Geheimnis des gottgesandten Ritters wird gelüftet, religiöse Esoterik menschlich kommensurabel geerdet. Zu Beginn geschieht ein Mord. Der Rest ist Aufklärung, wie im «Tatort». Dafür darf eigens ein lebensechter mechanischer Schwan mitspielen, in stummer Hauptrolle. Er ist rabenschwarz.
Vom Schwan ertappt
Vom ersten Ton an nickt das Tier anmutig mit dem Köpfchen, es bewegt die Flügel. Und wird, schon während des gralsfunkelnden Vorspiels, zufällig Zeuge eines Kapitalverbrechens. Lohengrin persönlich schaut nämlich am Schwanensee im schwarzen Wald vorbei. Er will Elsas kleinen Bruder umbringen, lockt das Herzogskind zum Tümpel, tunkt es unter – und wird den Schwan anschliessend nicht mehr los. Selbst ein Fusstritt, mit dem er ihn zurück in die Kulisse verbannen will, hilft nichts. Der Schwan hockt in den Munitionskisten der brabantischen Militärs. Taucht unverhofft im Brautgemach auf, im Schrank oder unterm Bett. Und er hilft den beflissenen Detektiven Ortrud und Telramund bei der Sicherung von Beweisen. So dass der Antiheld, in die Enge getrieben, den Schwan am Ende brutal massakriert, bevor er selbst mit der Gralserzählung eine Art Geständnis ablegt und sich die Pulsadern öffnet.
Klaus Florian Vogt hat die leuchtend-selige Gralserzählung gewiss schon Hunderte Male gesungen, aber vielleicht noch nie so anrührend wie dieses Mal. Sein lichtes Unschuldstimbre konterkariert faszinierend sein schauspielerisches Debüt als heimtückischer Mörder, der sich immer tiefer in Lügen verstrickt. In Miina-Liisa Värelä, der Ortrud, sitzt ihm eine phantastisch starke, stimm- und gestenintensive Gegenspielerin im Nacken. Und auch der traumverlorenen Elsa von Elisabeth Teige ist zweifellos schon lange klar, dass man einem von kriegslüsternen Männerchören als «Wunder» angepriesenen Supermann nicht über den Weg trauen sollte – zumal, wenn er seiner Frau das Fragen verbietet.
Wie wohl die Reaktionen in Bayreuth auf eine derart provokante Interpretation ausfielen? Man kann darüber munter spekulieren. In den kommenden Spielzeiten wird sich Katharina Wagner dort allerdings wieder ausschliesslich mit dem mühsamen Geschäft als Intendantin begnügen. Die Probleme sind erheblich – vom maroden Zustand des Festspielhauses bis zur ungeklärten Frage des künftigen Budgets. Die Regisseurin hat wieder Pause.