Auch kriminelle US-Bürger sollen bald ausgeschafft werden können – das wollen die Republikaner im Repräsentantenhaus nicht ausschliessen. Angesichts des willkürlichen Umgangs der Regierung mit «Beweisen» im Fall des Salvadorianers beunruhigt das viele Amerikaner.

Es war ein seltsames Interview, das Terry Moran von ABC News diese Woche mit dem amerikanischen Präsidenten Trump führte. Als die Rede auf Kilmar Ábrego García kam, schien Trump nahe daran, das Interview abzubrechen. «Nein, nein, Terry! Terry, nein», rief er, als der Journalist es wagte, ihm zu widersprechen. «Genau deshalb glauben die Leute den Nachrichten nicht mehr. Fake News!»

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García wurde am 12. März verhaftet und drei Tage später ohne Anfechtungsmöglichkeit in ein Gefängnis in El Salvador gebracht. Er sei Mitglied der salvadorianischen Gang MS-13, lautete der Vorwurf. Seither sorgt sein Fall für heftige Kontroversen, Demonstrationen und ein gerichtliches Tauziehen in den USA. Denn die Regierung räumte Anfang April ein, man habe García «aus Versehen» abgeschoben, behauptete jedoch, man könne ihn nicht mehr zurückholen. Selbst der Supreme Court bezeichnete die Ausschaffung als illegal. Aber der 29-jährige Familienvater, mit einer Amerikanerin verheiratet, ist immer noch in El Salvador in Haft.

Eine offensichtliche Manipulation

«Auf seinen Knöcheln ist MS-13 tätowiert», sagte Trump im Interview. Eine Woche vorher hatte der Präsident auf X ein Foto von Garcías Hand gepostet. Darauf waren die Tattoos auf dessen Fingern zu sehen: ein Marihuana-Blatt, ein Smiley, ein Kreuz und ein Totenschädel. Jemand hatte «MS-13» darüber geschrieben, als eine Art Legende, die die Symbole dechiffrieren sollte. Experten bezweifeln, dass diese Lesart der Tattoos stimmt. Kaum jemand weiss von MS-13-Mitgliedern, die ihre Zugehörigkeit zur Gang mit diesen Zeichen symbolisieren. Aber um diese Frage ging es gar nicht. Vielmehr glaubte oder behauptete Trump, «MS-13» sei tatsächlich auf die Knöchel tätowiert. Terry Moran machte ihn vorsichtig darauf aufmerksam, dass es sich bei «MS-13» offensichtlich um Photoshop handle, aber Trump schnitt ihm immer wieder das Wort ab.

«Warum geben Sie nicht einfach zu, dass er die Abkürzung wirklich auf seine Knöchel tätowiert hat?», fragte Trump. Und als Moran sich weigerte, entgegnete Trump wütend: «Terry, das können Sie nicht machen. Ich habe Ihnen mit diesem Interview die Chance Ihres Lebens gegeben. Ich habe Sie ausgewählt, aber ehrlich gesagt, habe ich noch nie von Ihnen gehört.» Er habe gewusst, dass das kommen würde, sagte Moran lakonisch. «Sie sind nicht nett», entgegnete Trump. «Er hatte das MS-13-Tattoo.»

Auch bei einer späteren Pressekonferenz weigerte sich Kush Desai, ein Mediensprecher des Weissen Hauses, klar einzuräumen, dass MS-13 offensichtlich nicht auf Garcías Hand tätowiert war.

García wird zum Bauernopfer im politischen Schachspiel

Offenbar will die Regierung an García ein Exempel statuieren und demonstrieren, wer am längeren Hebel sitzt. Mitte April besuchte der demokratische Senator Chris Van Hollen den Gefangenen in El Salvador. Fast scheint es, als wolle Trump umso weniger nachgeben, je grösser der Druck auf ihn wird, García zurückzuholen. García ist zu einem Spielball in einem politischen Kräftemessen geworden. Immer wieder betont Trump, die Demokraten wollten ausgerechnet einen «sehr gewalttätigen Mann», ja einen «ausländischen Terroristen» in die USA zurückholen. Um dieses Bild von García und den «naiven Demokraten» zu verbreiten, scheut er auch nicht vor offensichtlichen Verdrehungen wie jenen beim ABC-Interview zurück.

Garcías Vergehen ist, dass er 2012 illegal über die Südgrenze der USA einreiste. Aber eine Mitgliedschaft bei einer Gang konnte ihm nie nachgewiesen werden. Im Gegenteil: Im Jahr 2019 verhängte ein Gericht ein Ausschaffungsverbot für García, weil Grund zur Annahme bestehe, dass er in seiner Heimat El Salvador von Gangs verfolgt würde. Offenbar hatte die Familie García und seinen Bruder in die USA geschickt, weil MS-13 sie rekrutieren wollte und die Familie bedrohte.

Zwar hat García keine Vorstrafen, aber sein Leumund ist nicht über alle Zweifel erhaben. Nach gewaltsamen Zwischenfällen beantragte seine Frau vor vier Jahren eine Schutzverfügung gegen ihren Mann. Inzwischen seien die Probleme gelöst, sagt sie heute. Die Republikaner bringen allerdings immer wieder gerne das Stichwort vom «Frauenverprügler» ins Spiel, wenn es um García geht.

Die Angst, dass es jeden treffen könnte

Der tiefere Grund, warum sein Schicksal viele Amerikaner umtreibt, ist wohl der Aspekt von kafkaesker Willkür. Die Vorstellung, «aus Versehen» in einem Gefängnis in Südamerika zu landen und nicht mehr herauszukommen, ist ein Albtraum. Man befürchtet eine Salamitaktik: Zuerst geht es um kriminelle Ausländer, dann um Immigranten ohne gültige Papiere, schliesslich um Ansässige mit einer Green Card oder einem Visum, aber am Ende könnte es jeden treffen. Trump selbst begann die Idee schon vor Wochen in Interviews zu verbreiten. Mitte April sagte er bei einem Gespräch mit Nayib Bukele, dem Präsidenten von El Salvador, vor laufenden Kameras: «Die Einheimischen sind als Nächstes dran. Sie müssen fünf weitere Gefängnisse bauen.»

Seit dieser Woche ist es mehr als diffuse Rhetorik. Am Mittwoch beantragte die demokratische Abgeordnete Pramila Jayapal bei einer Sitzung der Justizkommission des Repräsentantenhauses, es solle festgehalten werden, dass die Einwanderungsbehörde ICE keine Befugnis habe, amerikanische Bürger festzunehmen oder auszuschaffen. Die republikanische Mehrheit der Kommission stimmte dagegen. Das heisst, dass sie dem Präsidenten Trump prinzipiell grünes Licht gab, auch waschechte Einheimische ohne Prozess in Länder wie El Salvador auszuschaffen.

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