Montag, November 25

Über Jahrzehnte haben die Hindu-Nationalisten mit der Forderung nach dem Bau eines Tempels in Ayodhya Politik gemacht. Der Preis war die Spaltung des Landes. Langfristig gefährdet Modi damit seinen eigenen Erfolg.

Für Indiens Premierminister Narendra Modi ist am Montag ein jahrzehntealter Traum in Erfüllung gegangen. Mit der Einweihung des Ram-Tempels in Ayodhya fand eine Kampagne ihren Abschluss, die der Hindu-Nationalist ab Anfang der neunziger Jahre persönlich angeführt hat. Es ist eine Kampagne, welche die indische Politik über Jahrzehnte geprägt und die Gesellschaft tief gespalten hat. Es ist zugleich eine Kampagne, welche die regierende Bharatiya Janata Party (BJP) gross gemacht und Modi bis an die Spitze der Regierung geführt hat.

Der Bau des Tempels an dem Ort, an dem der Legende nach der Gottkönig Ram geboren wurde, ist für Hindu-Nationalisten die Einlösung eines alten Versprechens und ein politischer Triumph. Entsprechend gross haben sie ihn gefeiert. Viele Beobachter sehen in der Einweihung des Tempels den informellen Startschuss des Wahlkampfs zur Parlamentswahl im April. Dies zeigt deutlich, wie eng in Modis Indien heute Religion und Politik verknüpft sind.

Die Hindu-Nationalisten haben über Jahrzehnte mit der Forderung nach dem Bau des Tempels in Ayodhya Politik gemacht. Die Kampagne war für sie ein ideales Mittel zur Mobilisierung der Hindus. Zugleich hat die Frage Indien tief gespalten. Denn an der Stelle, an der der Tempel gebaut werden sollte, stand eine alte Moschee. Um Platz für den Tempel zu machen, riss im Dezember 1992 eine Menge fanatischer Hindu-Aktivisten die Babri Masjid nieder.

Der Ram-Tempel in Ayodhya

Ein dunkler Tag in der Geschichte

Die Zerstörung der Moschee löste damals interreligiöse Unruhen aus, die mehr als 2000 Menschen das Leben kosteten. Zehn Jahre später kam es erneut zu Gewalt, als Dutzende Hindu-Pilger auf dem Rückweg aus Ayodhya in einem Zug verbrannten. Die Hindu-Nationalisten machten damals Muslime für das Feuer verantwortlich. Es folgten wochenlange Unruhen im Teilstaat Gujarat, in dem Modi damals die Regierung führte. Bis heute werfen Kritiker ihm vor, zu wenig getan zu haben, um die antimuslimischen Pogrome zu stoppen.

Die Kontroverse hinderte Modi nicht daran, 2014 die nationalen Wahlen zu gewinnen. Den Wählern präsentierte er sich als entschlossener Reformer, der die Wirtschaft liberalisiert und Indien zu alter Grösse führt. Vieles spricht dafür, dass er sich mit dieser Botschaft im April eine dritte Amtszeit sichern wird. Die Opposition ist schwach und hat Modi wenig entgegenzusetzen. Die lange dominierende Kongresspartei ist nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Der Preis von Modis Stärke ist jedoch die zunehmende Spaltung Indiens. Der radikale Flügel seiner Partei fordert ganz offen «Indien den Hindus». Auch Modi lässt mit seiner Politik wenig Zweifel daran, dass er sich zuerst als Vertreter der Hindus sieht. Die meisten der rund 170 Millionen Muslime sowie die Sikhs, Christen und Buddhisten fühlen sich deshalb von ihm kaum vertreten. Ausgrenzung, Hetze und Gewalt gegen Minderheiten haben unter seiner Regierung zugenommen.

Indien lebt von seiner Vielfalt

Für Indien ist das gefährlich. Das Land lebt von seiner Vielfalt. Es ist nicht nur ein Mosaik aus verschiedenen Religionsgemeinschaften, sondern auch aus unzähligen Ethnien und Sprachgruppen. Zwischen Kerala und Kaschmir, Gujarat und Nagaland werden 121 Sprachen und Hunderte Dialekte gesprochen. Dass das Land mit seinen 1,4 Milliarden Einwohnern trotz dieser Diversität zusammenhält, grenzt an ein Wunder. Doch der Zusammenhalt ist fragil.

Der Versuch, die religiöse, ethnische und sprachliche Vielfalt durch eine Einheitskultur zu ersetzen, gefährdet den Zusammenhalt. Eine wichtige Bedingung für die friedliche Koexistenz ist die religiöse Neutralität des Staates. Die Regierung darf nicht allein für die Hindus da sein, sondern muss alle Volksgruppen repräsentieren. Mit ihrem Fokus auf die Hindus gefährdet die BJP nicht nur die Entwicklung Indiens, sondern auf Dauer auch ihren eigenen Erfolg.

Auch viele Hindus lehnen die politische Instrumentalisierung ihrer Religion ab – gerade in Südindien. Das Verhältnis von Hindus und Muslimen ist dort entspannter als im Norden. Auch spricht man dort nicht Hindi – die Sprache Modis und der meisten BJP-Grössen. Modis Partei hat im Süden jüngst stark an Rückhalt eingebüsst und regiert keinen einzigen Teilstaat mehr. Will Modi im Süden punkten, sollte er eher auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und Themen wie Bildung, Infrastruktur und Digitalisierung setzen.

Alle Parteien sollten in Zukunft der Versuchung widerstehen, mit den religiösen Emotionen der Bevölkerung Politik zu machen. Schon laufen Kampagnen, auch in Städten wie Varanasi und Mathura an der Stelle von Moscheen Hindu-Tempel zu errichten. Für das Verhältnis zwischen Hindus und Muslimen ist das Gift. Die Hindu-Nationalisten sollten sich mit dem Ram-Tempel in Ayodhya zufriedengeben. Ein Zeichen der Versöhnung wäre es, wenn Modis Regierung nach der Fertigstellung des Tempels als Ersatz für die zerstörte Babri Masjid auch den Bau einer Moschee in Ayodhya unterstützen würde.

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