Mittwoch, November 27

In den sozialen Netzwerken begegnet man immer mehr «Talahons». So bezeichnen sich junge Männer gegenseitig. Warum?

Jugendliche sprechen eine eigene Sprache. Und diese entwickelt sich immer weiter – einst zogen griechische Wörter in den deutschen Sprachgebrauch ein, später waren es Anglizismen, zuletzt übernahmen Jugendliche vermehrt Worte aus dem Arabischen. Wörter wie «yallah», «inshallah» oder «habibi» sind längst umgangssprachlich.

Nun drängt ein neuer Begriff ins Deutsche: «Talahon». Wer auf Tiktok aktiv ist, kommt kaum daran vorbei. Der Ausdruck wird in unzähligen Videos aufgegriffen, hat Einzug in den Jugend-Wortschatz gefunden. Und in etliche Medien, die darüber berichten und die fragen: Wer oder was ist ein «Talahon»?

Ein «Talahon» muss boxen können

Wer eine Antwort auf diese Frage sucht, findet schnell millionenfach aufgerufene Videos, die allesamt das Gleiche zeigen: Junge Männer, meistens mit Migrationshintergrund, erklären, was einen «Talahon» ausmacht.

Der Nutzer «BachelorBBY» zum Beispiel postet auf Tiktok «Talahon Tutorials» und erklärt, wie man zum «Talahon» wird: rausgehen, gefälschte Gucci-Kappe und breite Jogginghose anziehen, in der Innenstadt auf den Boden spucken. Der Nutzer «araberseitenscheitel47» sagt: Ein «Talahon» müsse boxen und Liegestütze machen, er müsse gefährlich dreinblicken und tanzen. Ein anderer sagt, als «Talahon» brauche man viele Cousins, weil ohne diese sei man alleine und werde nicht ernst genommen.

Mit diesen Erläuterungen nehmen die Produzenten und Protagonisten der Videos die ursprüngliche Bedeutung des Wortes nicht ernst. Es wird gebildet aus dem arabischen «Ta’ Lahon», übersetzt bedeutet es soviel wie «komm her!». Eine Aufforderung, die im Arabischen aber eher freundlich als aggressiv verstanden wird. Man bittet Leute, näher zu kommen.

«Talahon» hielt Einzug in der Parallelwelt der sozialen Netzwerke

Der bis heute wenig erfolgreiche Rapper Hassan deutete sie um. In seinem Lied «TA3AL LAHON» rappt Hassan: «Ta’ Lahon, ich geb dir einen Stich, bin der Patron.» Im zugehörigen Musikvideo fuchteln er und seine Cousins mit etlichen Waffen herum. Das Ganze diene «rein der Unterhaltung» und sei «darstellende Kunst», heisst es in einem eingeblendeten Text. Das Video von «TA3AL LAHON» hätte wohl wenig unterhaltend und unbeachtet bleiben können, hätte es nicht der Düsseldorfer Rapper Farid Bang aufgegriffen. Ungeachtet dessen, dass ihm schon mehrfach Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit und Homophobie vorgeworfen wurde, geniesst er bei Jugendlichen grosse Popularität.

Vor zwei Jahren benutzte Farid Bang das Lied «TA3AL LAHON» in einem 14-sekündigen Tiktok-Video:

Im Video forderte Farid Bang seine Kritiker dazu auf, zu ihm zu kommen. Im Sinne von: Wer etwas zu klären hat, sollte das auch tun, von Angesicht zu Angesicht, von Mann zu Mann. Dank Farid Bangs Mimik klang der Ausdruck nun weniger freundlich, eher aggressiv.

Nach Farid Bangs Verwendung übernahmen digitale Produzenten den Ausdruck.

Videos wie jene von «BachelorBBY» oder «araberseitenscheitel47» trugen in der Folge ihren Teil dazu bei, dass grimmige Jugendliche tatsächlich ihren Speichel in deutschen Grossstädten verteilen und dort schattenboxen. Das mögen sie früher genau so getan haben, sie hatten aber keine Bezeichnung für sich. Nun wandelte sich der Imperativ «Ta’ Lahon» auf Tiktok, Twitch und Instagram zum Synonym «Talahon», das wiederum seinen Weg aus den sozialen Netzwerken in die reale Welt schaffte.

Es bedeutet nun nicht mehr, dass jemand näher kommen soll. Das Synonym prägt einen Kleidungsstil, eine Verhaltensweise, eine Jugendgeneration. Es bezeichnet einen jungen Mann, in der Regel mit migrantischem Hintergrund, der sich an öffentlichen Plätzen von Grossstädten aufhält, in der Regel gefälschte Luxusmode trägt und aggressiv wirkt. Man könnte sagen: So jemanden rief man früher einen «Gangster». Das liess und lässt sich ernst wie ironisch verstehen.

Gefälschte Luxusmode und gefährlich wirken

All das gab es in der Geschichte mehrfach. Punks zogen sich auffällig an und rebellierten gegen jede Norm. Emos trugen schwarz und schminkten sich blass, sie trugen ihre meist negativen Gefühle nach aussen. Jugendkulturen entstehen und verfliegen wieder. Ein Schicksal, das auch der «Talahon» erleiden dürfte.

Doch Jugendsprache wandelt sich stetig. Die Bezeichnung als «Talahon» könnte auch rassistisch verstanden und missbraucht werden. Rechts gesinnte Nutzer posteten schon Videos, um gegen Jugendliche mit «Talahon»-Erscheinungsbild zu hetzen. Der Rapper Animus warnte im «Spiegel» davor, dass «Talahon» als ein «neues Synonym für ‹Kanake›» verwendet und zu einem «verbalen Freifahrtschein» für Rassismus werden könnte.

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