Donnerstag, Oktober 3

Freier Journalist mit 36 Vorstrafen dringt mehrfach in Universitätsgebäude ein.

In Strafprozessen ist es oft üblich, dass Beschuldigte rein gar nichts reden und vollständig von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen. Im Saal 31 des Bezirksgerichts Zürich spielt sich allerdings für einmal das pure Gegenteil ab:

Ein 56-jähriger Deutscher redet wie ein Wasserfall, ohne Punkt und Komma. Er deckt das Gericht mit Schnellsprech-Wortschwallen ein, die akustisch derart schwer verständlich sind, dass der Gerichtsreporter trotz höchster Konzentration nicht viel versteht. Die in den Schleuderbetrieb geschaltete, sonore Stimme des Beschuldigten schickt die Hälfte der Konsonanten ins Schall-Nirwana.

Zum Glück kann sich der Reporter auf eine 48-seitige selbst verfasste Eingabe des Beschuldigten ans Gericht abstützen, in der dieser seine Argumente ausführlich schriftlich wiedergibt. Der Staatsanwalt wird später in seinem Plädoyer ausführen: Einem Verhalten, wie es der Beschuldigte gezeigt habe, sei er in seiner ganzen Karriere noch nie begegnet. Mit zahlreichen unstrukturierten Eingaben habe der Mann das Verfahren ständig verkompliziert und erschwert.

Masterarbeit auf einem Laptop gelöscht

Dem 56-jährigen Deutschen, der über keinen Wohnsitz in der Schweiz verfügt, wird vorgeworfen, zwischen Juli 2022 und Mai 2023 im Abstand von jeweils ein paar Monaten sechs Mal unberechtigt in Gebäude der Universität Zürich im Campus Irchel eingedrungen zu sein.

In Bereichen, die zum Teil nicht der Öffentlichkeit zugänglich sind, habe er zwei Laptops, eine Spiegelreflexkamera, eine Festplatte, aber auch eine Sporttasche, eine Kreditkarte und 2500 Franken aus einer Geldkassette gestohlen.

Mit einem eigens mitgebrachten USB-Stick soll er in einem besonders gesicherten Labor einen dort deponierten Laptop umformatiert und dabei sämtliche darauf befindlichen Daten gelöscht haben. Davon war eine Masterarbeit eines Studenten betroffen. Deshalb ist auch Datenbeschädigung angeklagt.

Der Beschuldigte fabuliert zwar von angeblichen Sabotageakten deutscher Behörden. An und auf zurückgelassenen USB-Sticks konnten aber die DNA und Programme des Deutschen sichergestellt werden. Seit Mai 2023 sitzt der Mann in Haft, schon über ein Jahr lang.

Der Beschuldigte gibt an, Chemie studiert zu haben und von Beruf freier Journalist zu sein. Er verfasse allerdings keine Texte, sondern recherchiere Informationen zu Hintergründen für Auftraggeber. Damit verdiene er rund 700 bis 800 Euro pro Monat. Namen seiner Auftraggeber will er aber nicht nennen. Er reise dafür durch Europa, wohne oft bei Freunden oder übernachte in Zügen.

Die Spuren, die er im deutschen Strafregister hinterlassen hat, reichen bis ins Jahr 1985 zurück. Der Staatsanwalt spricht von 36 Verurteilungen, oft wegen Diebstählen, aber auch wegen Gewalt gegen Beamte oder Beleidigungen. 2014 wurde er bereits einmal in der Schweiz, im Kanton Basel-Stadt, zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 8 Monaten bei einer Probezeit von 4 Jahren verurteilt.

Als ihm der Vorsitzende einen Alias-Namen vorhält, unter dem er auch bekannt sei, erklärt der 56-Jährige, dabei müsse es sich um einen Behördenfehler handeln. Auch dass er die Spitznamen «der Mufti» oder «der Rechtsgelehrte» trage, stimme nicht. Während der Befragung gibt sich der Beschuldigte unwissend und zuckt ständig mit den Schultern. «Ich war das nicht» und «keine Ahnung» ist zwischen den unverständlichen Sätzen immer wieder zu identifizieren.

Geklauter Laptop sei eine «Fundsache» gewesen

Er bestreitet fast alle Vorwürfe und gibt nur zu, dass er in der Universität im Juli 2022 ein MacBook Pro mitgenommen habe. Dies kann ihm nachgewiesen werden, weil er das Gerät später in Wien verkaufte. Er behauptet aber, gemeint zu haben, der Laptop sei liegengelassen worden. Der Computer sei verschmutzt und gebraucht gewesen. Es habe sich um eine Fundsache gehandelt.

Der Beschuldigte verstrickt sich in schwer nachvollziehbare Erklärungen: Im September 2022 habe er an einem «offenbar zum Inventar der Universität gehörenden», allgemein zugänglichen und passwortfreien Laptop gearbeitet. Er habe weder Daten auf Laptops gelöscht noch Festplatten entwendet. Im Juli 2022 sei er nur in die Universität gegangen, um dort einen Automatenkaffee zu trinken, weil der Kaffee dort am günstigsten sei.

Vom Gerichtspräsidenten wird er darauf angesprochen, dass in seinem Portemonnaie eine aufgebogene Büroklammer sichergestellt worden sei. Zudem wurde eine Anleitung gefunden, wie man mit einer Büroklammer einen passwortgeschützten Laptop hacken und zurücksetzen kann. – Auch dazu will der Beschuldigte kein Wissen haben. Die Büroklammer habe er für sein Handy gebraucht.

Landesverweis für den Unverbesserlichen

Der Staatsanwalt beantragt eine voll vollziehbare Freiheitsstrafe von 22 Monaten und 1000 Franken Busse für mehrfachen Diebstahl, mehrfachen Hausfriedensbruch, betrügerischen Missbrauch einer Datenverarbeitungsanlage und weitere Straftatbestände. Zudem will er einen Landesverweis von 12 Jahren. Die Schweizer Öffentlichkeit müsse vor dem Beschuldigten geschützt werden.

Die Verteidigerin plädiert auf einen vollumfänglichen Freispruch und 200 Franken Genugtuung für jeden Hafttag, also über 76 000 Franken, sowie eine Entschädigung für entgangenes Erwerbseinkommen. Die Vorwürfe träfen den Beschuldigten auch in seiner Berufsehre als Journalist. Beim in Wien verkauften Laptop habe es sich um einen Sachverhaltsirrtum und höchstens um eine ungerechtfertigte Aneignung gehandelt.

Auch während der Urteilseröffnung kann der Beschuldigte den Erguss aus seinem Mund nicht stoppen. Er redet mehrmals laut und unbeeindruckt drauflos und schreit sogar den Richter an, als dieser interveniert. Der 56-Jährige brüllt: «Ich muss mir Ihren Quatsch nicht anhören, guter Mann!» Er wird mehrfach verwarnt und schliesslich des Saales verwiesen. Zuvor entgegnet er aber noch auf die Verurteilung zu 9 Jahren Landesverweis: «Sie können auch 15 Jahre draus machen!»

In allen sechs Vorfällen, welche die Universität Zürich betreffen, wird der Mann schuldig gesprochen. Bei seinen Ausführungen handle es sich um lebensfremde Schutzbehauptungen. Für einen Diebstahl in Luzern gibt es einen Freispruch mangels Beweisen. Der Mann erhält – aufgrund seiner vielen Vorstrafen – eine voll vollziehbare Freiheitsstrafe von 23 Monaten und 350 Franken Busse. Er verfüge über eine erhebliche kriminelle Energie und sei weder einsichtig noch reuig, hält der Gerichtsvorsitzende fest. 385 Tage hat er bereits abgesessen. Die Sicherheitshaft wird verlängert.

Urteil DG240007 vom 5. 6. 2024, noch nicht rechtskräftig.

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