Samstag, Oktober 5

Porträt eines indischen Aufsteigers

Arnab Goswami wirkt im echten Leben kleiner als auf dem Bildschirm, sanfter auch. Er hat gerade einen neuen Fernsehsender gekauft. Goswami sitzt in einem Hinterzimmerbüro in der südindischen Grossstadt Bangalore, es ist bald Mitternacht, wenige Minuten zuvor war er live auf Sendung. Live auf Sendung, das heisst bei Goswami: Er schreit, bis sich der Ton im Mikrofon überschlägt und sein Gesicht sich zur Grimasse verzieht, er droht mit dem Zeigefinger, schwingt ihn wie ein Dirigent den Taktstock, spiesst ihn zum Stakkato der eigenen Stimme in die Luft. Vielleicht muss es ganz am Anfang erwähnt sein: Arnab Goswami ist im echten Leben ein ausgesucht höflicher Mann.

Arnab Goswami, 51-jährig, ist der bekannteste Fernsehmoderator Indiens. Keiner wird inbrünstiger gehasst und geliebt. Und weil in Indien 1,4 Milliarden Menschen leben, weil Hunderte Millionen Nachrichten schauen, dürfte Arnab Goswami einer der meistgehassten und meistgeliebten Journalisten der Welt sein.

Er und seine Mediengruppe Republic TV erreichen laut eigenen Messungen über 430 Millionen Zuschauer. Goswami hat seit vielen Jahren nicht mehr mit westlichen Medien gesprochen. Jetzt hat er eine Botschaft: In Indien gibt es ein neues Selbstverständnis, und niemand verkörpert es besser als er selber. «Um Journalist zu sein, musst du Nationalist sein», davon ist Goswami fest überzeugt.

Es ist September 2023, die Medien sind voll mit Texten über Indiens boomende Wirtschaft, im Frühling titelte der «Economist»: «India’s moment», auf dem Cover hebt der Premierminister Narendra Modi in einer Rikscha ab. Im Frühling 2024 wählt das Land, im Juni tritt der Premierminister Modi zu einer dritten Amtszeit an – es ist erst das zweite Mal in der indischen Geschichte, dass ein Premierminister dreimal hintereinander gewählt wird.

Goswami in diesen Monaten zu begleiten, ist der Versuch, das heutige Indien zu verstehen. Ein Indien, das in der Welt erdrückend selbstbewusst auftritt, hier hat sich etwas verändert, und viele in Europa haben es noch nicht gemerkt. Ein Indien, das zum dritten Mal einen religiösen Nationalisten zum Premierminister wählte, ein Indien der ehrgeizigen Mittelklasse, der gefeierten Weltraummissionen und der gleichgeschalteten Medien. Das neue Indien.

I. Der Wettbewerb

Als Goswami und seine Vertrauten am 1. September 2023 ihren neuen Sender in Besitz nehmen, marschieren sie durch holzvertäfelte Gänge, durch etwas aus der Zeit gefallene Studiokulissen, vorbei an Journalisten, in deren Schnurrbärten die ersten grauen Haare spriessen. Goswami und seine Mitarbeiter tragen Slim-Fit-Anzüge, ihre Smartphones eingesteckt in Powerbanks, weil die Tage länger sind, als der Akku hält. Der lokale Sender heisst von heute an Republic Kannada. Es ist bereits der vierte Sender von Goswamis Republic-Gruppe in der vierten Landessprache: Nach Englisch kam Hindi, dann Bengali, jetzt Kannada.

«Wir wollen die Kraft des Nationalismus in jedes Heim dieses Landes tragen», sagt Goswami in einer Ansprache an die neuen Untergebenen. Goswami verhehlt seine Überzeugungen nicht, und sein liebstes Angriffsziel ist die Opposition oder Menschen, die er antinational nennt: Intellektuelle zum Beispiel, die für ein gemässigteres, weniger religiös-nationalistisches Indien eintreten. Er nennt sie woke Lobby, Gucci-Separatisten oder Soros-Gang, in Anspielung auf eine Verschwörungstheorie um den jüdischen Milliardär George Soros. Goswamis Ansichten sind heute in Indien weit verbreitet.

Und sie decken sich fast passgenau mit der Regierungslinie von Premierminister Narendra Modi und dem Hindu-Nationalismus von dessen Partei BJP. Das Wort Nationalismus hat in Indien einen anderen Klang als in Europa – auch Gandhi verstand sich als Nationalist in seinem Kampf für ein von den Briten unabhängiges Indien. Im neuen Indien ist Nationalismus allerdings zum dröhnenden Leitmotiv geworden, er vereint nicht mehr, sondern schliesst andere aus.

Ein Mitarbeiter Goswamis fragt einen der schnauzbärtigen Journalisten, wie die Zuschauerzahlen im Vergleich mit anderen lokalen Nachrichtensendern seien. Der Mann zuckt mit den Schultern, «wir sind Nummer vier, etwa». Für Goswami aber gibt es nur ein Ziel: Die Nummer eins zu sein. Man muss dafür verstehen, wo er herkommt.

Arnab Goswami wuchs auf als Offizierssohn, sein Vater war Oberst in der Armee, die Familie zog oft um. Die Mutter war Lehrerin, der Grossvater ein kommunistischer Lokalpolitiker und Autor. Eine Familie der noch kleinen indischen Mittelklasse, Goswami sollte der Erste werden, der mit dem Flugzeug ins Ausland reist. Er ging auf wechselnde Schulen, sass in riesigen Klassen, ein ständiger Wettbewerb um gute Noten, um nicht unterzugehen und einer von vielen zu werden. Seine Lebensgeschichte klingt wie ein Videospiel: «In meinem Leben ging es immer darum, etwas zu schaffen und damit das nächste Level zu erreichen», sagt Goswami.

Als Teenager brachten ihn seine guten Noten in die Hauptstadt Delhi ans prestigeträchtige Hindu College. Es waren die frühen neunziger Jahre. «Es war ein Delhi, in dem es für eine gewisse Klasse von Leuten grosse Privilegien gab», sagt er. Privilegien, ohne sich dem Wettbewerb zu stellen, ohne von ihm gehärtet zu werden auch. Diese unverdienten Privilegien der anderen, so nennt es Goswami, seien Teil des indischen Lebens gewesen, «nach gewissen Dingen konntest du nicht streben». Goswami strebte dennoch danach.

1991 liberalisierte Indien seine Wirtschaft. Vorher nannten Ökonomen Indien spöttisch das «Licence Raj», das Lizenzen-Reich. Firmen brauchten für fast alles eine staatliche Lizenz, ein Klientelismus zwischen Politikern, Bürokraten und Unternehmern, von dem am Ende immer die gleichen Familien profitierten. Erfolgreich war, wer gute Verbindungen hatte.

Auf der anderen Strassenseite des Hindu College liegt das St. Stephen’s College. Die Briten hatten es einst gegründet. Es verkörperte für Goswami damals alles, was ihm nicht von Geburt aus zustand. In den Monaten bevor Goswami im Hindu College ankam, besuchte auf der anderen Strassenseite ein gewisser Rahul Gandhi St. Stephen’s. Gandhi ist der Urenkel des ersten indischen Premierministers Jawaharlal Nehru und heute der Führer der oppositionellen Kongresspartei.

Goswamis Leben änderte sich mit einem Stipendium für die Universität Oxford. Hätte er kein Stipendium gehabt, er hätte nicht einmal das Flugticket nach England bezahlen können, sagt Goswami. Er studierte in Oxford Sozialanthropologie. Er sagt, er habe sich mit dem Fach unwohl gefühlt. Der Oxford-Blick auf seine Heimat behagte ihm nicht. «Schon im ersten Kapitel über Indien wurden wir gelehrt, dass die indische Gesellschaft nach Kasten sortiert sei. Ich sagte: ‹Nein, sie ist doch nach Leistung sortiert›, aber sie haben mir nicht geglaubt.» Goswami ist überzeugt, dass dieser Blick vom Westen aus nach Indien am Ende beeinflusst, wie Inder über sich selber denken.

Europäer haben eine Tendenz, Indien mithilfe von Vereinfachungen und Klischees zu erklären: Kasten, arm, farbig. Sie sind nicht gänzlich falsch, aber verstellen doch den Blick. Der Brite James Mill publizierte 1817 ein dreibändiges Werk über die Geschichte Indiens, es war ein grosser Erfolg und sollte das Indien-Bild in Europa jahrzehntelang prägen. Mill behauptete, dass die Zivilisation der Hindus nicht an jene der Europäer heranreiche. Er war selber nie in Indien gewesen.

1994 kehrte Goswami aus England nach Delhi zurück mit einem Abschluss, der ihm Türen öffnete. Er traf den Journalisten Swapan Dasgupta, der die Meinungsseiten des grossen «Indian Express» füllte. «Er kam gerade aus Oxford, er wollte im Journalismus Fuss fassen, ein ruhiger Typ, keiner dieser gut Verbundenen», sagt Dasgupta heute. Dasgupta war in den Neunzigern einer der wenigen offen rechtsnationalistischen Journalisten. Ein früher Unterstützer der heutigen Regierungspartei BJP und auch Parteimitglied. Er schickte Goswami nach Kalkutta, zu den Meinungsseiten der Zeitung «Telegraph».

Liest man Goswamis erste Artikel, offenbaren sie einen klugen Mittzwanziger, der seine Texte am liebsten mit Zitaten beginnt, Abraham Lincoln, Albert Camus, Hannah Arendt, und ein Faible für Musikkritik hat (Tom Jones neuste Kassette sei etwas für «verwirrte Machos in den Innenstädten»). Ein junger Konservativer, der gegen die politische Korrektheit anschreibt, aber noch mit Skepsis auf den Hindu-Nationalismus blickt – die heutige Regierungspartei BJP, damals noch nicht an der Macht, nennt er einmal «Hindu-Fanatiker».

Goswamis Fernsehkarriere begann 1996 bei Indiens wichtigstem englischsprachigem Sender NDTV. Bis in die neunziger Jahre gab es in Indien einzig das Staatsfernsehen Doordarshan. NDTV startete mit grossen Ambitionen: hintergründige Reportagen, Nachrichten mit Tiefgang, gesittete Diskussionssendungen, so wie es britische und amerikanische Sender vormachten. CNN hatte gerade die Fernsehwelt revolutioniert: Der Sender berichtete während 24 Stunden 7 Tage die Woche live vom Golfkrieg 1990 – jede Attacke, jede Entwicklung lief direkt über den Sender. Auch in Indien drängten sich die Zuschauer in die Lobbys der Fünfsternehotels, die den Sender per Satellit empfangen konnten.

Goswami mag es, sich als Aussenseiter darzustellen. Über seine damaligen NDTV-Kollegen sagt er: «Meine Einstellung zum Leben, zu meiner Arbeit, meine Ansprüche und mein Ehrgeiz waren ganz anders als ihrer.» Manche seiner damaligen Kollegen geniessen heute Legendenstatus im indischen Journalismus, über Goswami wollen sie lieber nicht sprechen.

Goswami hatte bei NDTV eine eigene Diskussionssendung, war einer der Stars des Senders und besuchte als einer der wenigen mehrmals wöchentlich das Büro, in dem die Zuschauerzahlen gemessen wurden.

Aussenseiter, das ist auch immer eine Frage der Perspektive. Sandeep Bhushan arbeitete damals ebenfalls bei NDTV. Nicht als Moderator, sondern als Reporter, der mit der Kamera draussen nach Geschichten suchte. Bhushan beschreibt Arnab als extrem schlau, extrem machtbewusst auch. «Er hat sich vielleicht als Aussenseiter gesehen, vielleicht hat ihn auch das Milieu als einen gesehen», sagt Bhushan. Aber aus der Perspektive eines Untergebenen war Goswami kein Aussenseiter. Bhushan sagt, er habe den «proper finish» gehabt, perfektes Englisch, Diplom einer Elite-Universität, das sei kein Aussenseiter.

Bhushan hat ein Buch über Indiens Medienlandschaft in den Neunzigern und frühen Zweitausendern geschrieben, «The Indian Newsroom». Er beschreibt ein Indien, das zwar vordergründig Wettbewerb predigte und in dem immer mehr neue Sender kamen. Aber im Hintergrund waren doch die alten Verbindungen entscheidend: Bhushan erzählt von seinem ersten Bewerbungsgespräch bei NDTV, er bekam die Stelle nicht, obwohl er viel Erfahrung hatte. Er bewarb sich erneut, gleiche Stelle, diesmal mit einem Brief, in dem ihm ein hoher Bürokrat seine Unterstützung zusicherte. Er wurde eingestellt.

Bei NDTV gab es eine Nähe zu den damaligen Machthabern der Kongresspartei und zur Gandhi-Familie, zu scharf über Rahul Gandhi zu berichten, soll ein Tabu gewesen sein. Journalismus ist auch immer ein Abwägen zwischen Zugang zu den Mächtigen und Kritik an ihnen – das eine kann das andere verhindern. Im indischen Fernsehen war der Zugang fast immer wichtiger.

Goswami verliess NDTV 2006. Er wollte einen eigenen Sender.

II. Der Aufstieg

Anfang Mai 2024 sitzt Goswami in einer neu gebauten Kantine an weiss polierten Tischen. Goswami hat in Greater Noida, dreiviertel Stunden ausserhalb Delhis, ein neues Hauptquartier für seine Republic-Mediengruppe gebaut. Er hat den Sender Republic TV 2017 gegründet, heute hat er fast 2000 Angestellte. Die Nachbarn sind noch Bauern, manche Strassen hören plötzlich auf, sie sind vierspurig, aber doch fährt kein Auto. Goswami wartet, bis die Grossstadt aufschliesst. Lange dürfte es nicht dauern. Die Hochhäuser, in denen Indiens Mittelschicht wohnt, wachsen bereits in der Nähe, man sieht ihre Skelette in der Ferne.

Noch ist das Hauptquartier eine Baustelle. Im Newsroom, dem Herzstück, muss regelmässig der Baustaub gesaugt werden. Aber man sieht schon, was es werden soll: ein Fernsehsender nach internationalem Standard, mit Glasfronten und modernster Technik. «Nation First» steht über dem Eingang.

«In meinen Zwanzigern und Dreissigern hat mich der Ehrgeiz angetrieben. Heute treibt mich der Glaube an, dass mein Land seinen Platz in der Welt zurückfordert. Und bereit ist, ein globaler Führer in der Produktion von Nachrichten zu sein», sagt Goswami.

Gespräche mit Goswami haben eine ungewöhnliche Intensität, er denkt schnell, springt innert Sekunden vom französischen Strukturalismus zur falschen Bescheidenheit («Ich war kein grosser Akademiker»). Er fragt zurück und gibt dann selber die Antwort; es gibt in Indien diese Freude an Rhetorik, der grossen Rede, der Debatte. Der Nobelpreisträger Amartya Sen beginnt sein Buch «The Argumentative Indian» über die indische Lust an der Diskussion und der Demokratie, mit den Worten: «Weitschweifigkeit ist uns in Indien nicht fremd.»

Im Jahr 2006, nach seinem Ausstieg bei NDTV, machte die Times-Gruppe, eines der grössten Medienunternehmen des Landes, Arnab Goswami zum Chefredaktor ihres neuen Senders. «Times Now» sollte ein englischer 24-Stunden-Nachrichtensender nach amerikanischem Vorbild werden. Laut der Firmenchronik wollte der Besitzer «eine atemlose Jetzigkeit und Unmittelbarkeit, keine ausgeruhten Reportagen und Analysen».

Nachrichtensender sind teuer, und die wenigsten bringen Geld. Nur die meistgesehenen können für viel Geld ihre Werbefenster verkaufen. Entweder man hat Quote, oder es ist ein Liebhaberprojekt der Besitzer, vielleicht sichert es etwas politischen Einfluss. «Times Now» musste Quote bringen. Die amerikanische Nachrichtenagentur Reuters hatte 20 Millionen Dollar investiert, sie schickte ihre Leute nach Mumbai, um mit Goswami zusammen den Sender aufzubauen.

Die ersten Monate liefen schlecht. «Es war stressig, es war hart, er hat nicht geschlafen», sagt ein ehemaliger Reuters-Mitarbeiter, der dabei war. Goswami war Anfang 30 und schien überfordert. Der neue Sender sah aus wie all die anderen Nachrichtensender. Goswamis Quote war nicht gut, es gab Gerüchte, dass er ersetzt werden sollte.

Dann hatte er eine Idee, die seine Karriere retten und alles verändern sollte: «Feel the news» nannte er es, so erinnert sich der Reuters-Mitarbeiter, und keiner wusste genau, was das bedeuten sollte. Für Goswami bedeutete es genau das: Nachrichten müssen Emotionen auslösen, Wut, Freude, je stärker, je besser.

Einer der ersten grossen Erfolge von Goswami war die Geschichte über einen vierjährigen Buben, der im ländlichen Indien in einen Brunnen gefallen war. 50 Stunden lang dauerte die Rettung. Goswamis Kamerateams machten daraus eine Seifenoper, verfolgten jede Bewegung der Familie, der Rettungskräfte, der lokalen Politiker. Und die Quote explodierte. «Er hatte ein unglaubliches Talent dazu, den Zeitgeist und die damals aufsteigende indische Mittelklasse einzufangen», sagt der ehemalige Reuters-Mann.

Mit der Liberalisierung der Wirtschaft wuchs die indische Mittelklasse. Die Mittelklasse genau zu definieren, ist nicht ganz einfach; laut dem «Pew Research Center» sind es jene, die von 10 bis 20 Dollar am Tag leben, zur oberen Mittelklasse gehört, wer 20 bis 50 Dollar zur Verfügung hat. Die Menschen sind der Armut entkommen und können sich kleine Annehmlichkeiten leisten, einen Roller, manchmal ein Auto, einen Fernseher. Sie lernen vielleicht Englisch. Sie sind noch immer eine Minderheit in Indien, wo der jährliche Medianlohn bei 1148 Dollar liegt. Diese Mittelklasse schaltete Arnab Goswami ein. Und der lieferte: «Times Now» fokussierte fortan auf Aufregerthemen wie Korruption, jede kleinste Entwicklung wurde als «Breaking News» über den Sender gejagt, Goswami erfand die Kakofonie aus Kacheln, Bannern, Grafiken und dramatischer Musik, die heute jede indische Nachrichtensendung begleitet.

Goswamis endgültiger Durchbruch kam an einem der schwärzesten Tage der jüngeren indischen Geschichte. Als am 26. November 2008 Terroristen in Mumbai in Hotels, Kinos und Spitälern 166 Menschen ermordeten, sendete Goswami fast drei Tage durch. Er schlief zwischendurch eine halbe Stunde, dann ging er zurück auf Sendung. Er schrie an gegen den feindlichen Nachbarn Pakistan, der die Terroristen finanzierte. Er schrie an gegen Politiker, die die Grenzen nicht sicherten. Er schrie für eine Bevölkerung, welche die Attentate nicht fassen konnte.

Es gibt eine Kopiervorlage für Goswamis Erfolg, sie ist in «Crazy Like a Fox» beschrieben, einem Buch über den Aufstieg von Fox News in den USA. Die Geschichte des Buben, der in den Brunnen fällt? Einer der ersten grossen Erfolge von CNN waren die Live-Berichte über Baby Jessica, ein Baby, das in ein Bohrloch gefallen war. Der Erweckungsmoment von Fox News waren die Anschläge am 11. September 2001 in New York. Amerikas Fernsehzuschauer waren wütend, sie wollten nicht einfach Nachrichten sehen, sondern jemanden, der ihre Wut teilt. Fox News öffnete das Ventil.

Goswami hat «Crazy Like a Fox» auch gelesen. Er sagt, seine Berichterstattung über die Mumbai-Anschläge sei nicht kalkuliert gewesen, sondern aus echter Empörung entstanden. Eine Parallele zu Fox aber gebe es, sagt Goswami: Er mag es, einen sogenannten Take zu haben, eine starke These zu einem Ereignis, er werde es dann nur aus diesem Blickwinkel betrachten. «Ich hatte diese Idee von Neutralität schon lange aufgegeben. Aber erst 2008 traute ich mich mehr, diese Meinung öffentlich auszusprechen.»

Für Goswami gibt es kein Grau, «Journalismus ist ein Kampf zwischen Schwarz und Weiss, zwischen Richtig und Falsch», sagt Goswami. Und: «Subtilität ist nur mangelndes Selbstvertrauen, Position zu beziehen.» Goswami wird beschützt von zwei Bodyguards mit freundlichen Gesichtern und Kurzarmhemden, die über den melonengrossen Oberarmen spannen. Er wurde für seine Berichterstattung bereits mehrmals angezeigt, wird regelmässig beschuldigt, Lügen zu verbreiten, und war kurz im Gefängnis – das Verfahren wurde später fallengelassen.

Goswamis Mission ist, Indien gross zu machen, auch in der Welt. «Du kannst es ideologisch getriebenen Journalismus nennen. Linientreuer Journalismus, aber wir sind auf Linie mit einem Anliegen, nicht mit einer Partei oder einer Person. Wir sind auf Linie mit dem andauernden Kreuzzug, aus Indien ein besseres Land zu machen, ein grossartigeres Land.»

Goswami verfolgt sie mit einem nervösen Eifer, er hat allein und innert weniger Jahre ein Medienimperium mit mehreren Sendern und Online-Auftritten errichtet. Er hält wenn nötig Sitzungen mitten in der Nacht. Er managt die kleinsten Kleinigkeiten. Als er sein neues Hauptquartier zeigt, hat die Damentoilette kein Wasser – «kümmere dich darum», sagt er dem Bauleiter. Er hinkt etwas, er hat sich kürzlich beim Joggen das Kreuzband gerissen, auf Sendung war er trotzdem. Es gibt zwei Arten Angestellte von Goswami: Jene, die ihm schon lange die Treue halten, und jene, die im Streit gingen. Jene, die im Streit gingen, beschreiben ihn als einen Diktator. Jene, die blieben, als ein Genie. Eine ehemalige langjährige Mitarbeiterin sagt, für Goswami zu arbeiten, sei «wie in der Mafia» zu sein – man fühlt sich als Teil von etwas Grösserem, einer verschworenen Gemeinschaft, erst nach dem Ausstieg sieht man klarer.

2016 verliess Goswami «Times Now», ein Jahr später gründete er Republic TV. Bereits 2019 kam der Hindi-Sender Republic Bharat dazu. Wer die indischen Massen erreichen will, muss nicht auf Englisch, sondern in Hindi senden, über 60 Prozent von Goswamis Zuschauern schauen das Hindi-Programm. Indische Nachrichten auf Englisch sind bereits chaotisch, indische Nachrichten auf Hindi sind ganz und gar atemlos. 2022 schickte Republic mehrere Reporter in die Ukraine – auf beide Seiten der Front. Einmal stand eine Hindi-Reporterin vor der Kamera in einem leeren Stadtpark in der Ukraine. Weil zwar Krieg herrschte, aber nichts passierte, schwang die Reporterin wild die Arme, sie brüllte ihren Aufsager ins Mikrofon, die Kamera machte aufgeregte Schwenke, und die Grafikabteilung liess einen animierten Helikopter durchs Bild fliegen.

Die Ukraine war auch ein Test für Goswamis neustes Projekt: Republic Global, eine Art indisches Al-Jazeera. Das Studio hat er schon gebaut. Sein LED-Bildschirm sei einen Fuss länger als bei der BBC, sagt Goswami. Der neue Sender soll anders daherkommen, aufgeräumter, auf ein internationales Publikum ausgerichtet. Eine Produzentin im Studio sagt: «Wir hatten schon Selenski im Interview. Wieso sollten wir nicht Putin haben? Oder Biden? Irgendwann arbeitest du vielleicht hier.»

Goswami will in Indien globale Nachrichten produzieren, und die Bedingungen sind gut: Sein Team ist jung, fast alle sprechen Englisch, die meisten haben das Handwerk von ihm gelernt. Goswami stört sich an der «Hegemonie der westlichen Medien», an BBC, CNN, die Länder in Asien und Afrika manchmal eher stiefmütterlich behandeln. «Es ist nicht deren Perspektive, die zählen sollte!», hier wird Goswami laut.

Die indische Regierung liess vergangenes Jahr die Büros der BBC in Delhi durchsuchen, der Sender hatte zuvor eine kritische Dokumentation über Modi gesendet. Allein in diesem Jahr mussten zwei französische Journalisten und eine australische Journalistin das Land verlassen, mehrere Auslandskorrespondenten warten seit Monaten auf eine Arbeitserlaubnis. Das neue Indien reagiert empfindlich auf Kritik.

Die Idee von Republic Global trägt Goswami schon länger mit sich herum. Er hat vor einigen Jahren der «Financial Times» davon erzählt, der Journalist scheint ihn damals nicht ernst genommen zu haben, und Goswami ist bis heute gekränkt. Jetzt gibt es ein Studio, ein eigener globaler Newsroom befindet sich im Bau. Zwar gibt es noch keinen Starttermin, aber Goswami lässt keinen Zweifel daran, dass er bald in die Welt senden will. «Natürlich wird ein Sender aus Indien das korrekte Bild von Indien in der Welt vermitteln. Wir sind kein Land von Schlangenbeschwörern, sondern ein Land mit grossen Ambitionen», sagt Goswami.

Republic Global ist auch ein politisches Projekt. Goswami will Teil sein des indischen Aufstiegs. Und diese Aufstiegserzählung ist stark mit einem Mann verknüpft: Narendra Modi.

III. Die Macht

Modi und Goswami haben beide früh das Potenzial der indischen Mittelklasse erkannt. Vor ihrem ersten grossen Wahlsieg sprach Modis Partei BJP von der «Neo-Mittelklasse», in der sie Wählerstimmen holen wolle. Diese neue Mittelklasse wählte ihn, weil er ihnen ein neues Indien versprach, in dem Aufstieg möglich ist. Und sie störte sich nicht an seiner aggressiv-religiösen Agenda, die das Land in Hindus und Eindringlinge (sprich Muslime) teilte, nicht wenige übernahmen sie. 2014 wurde Modi Premierminister. Goswami interviewte ihn kurz vor dem Wahltag – es war ein Interview, in dem sich Goswami bemühte, kritische Fragen zu stellen, so kritisch, dass Modi ihm einmal antwortete: «Ihr Job ist nicht, mich hier in die Falle zu locken. Das ist nicht der Grund, wieso ich Ihnen dieses Interview gebe.»

Als Goswami 2017 Republic TV gründete, kam ein Teil der Finanzierung von einem prominenten BJP-Politiker, der später auch Minister wurde. Goswami sagt, er habe die Anteile zurückgekauft, sein Sender sei heute komplett unabhängig und er finanziere alles selbst. Es lässt sich nicht prüfen, wer Republic Geld gibt, kontrolliert ist die Firma heute allerdings einzig von Goswami und seiner Frau.

Mit Modi veränderte sich die Medienlandschaft in Indien. Jemand, der das aus der Nähe erlebt hat, ist Ravish Kumar. «2014 hat sich alles geändert», sagt er, «plötzlich sangen alle Sender mit derselben Stimme, alle feierten Modi, alle attackierten die Opposition.» Kumar war ein prominenter Hindi-Moderator bei NDTV, vergangenes Jahr erschien die Dokumentation «While We Watched», sie begleitet Kumar in seinen letzten Monaten auf dem Sender. Sie zeigt einen Mann, der verzweifelt versucht, relevante Nachrichten zu machen und unabhängig zu bleiben von politischen Einflüssen. Kumar verliess NDTV, als der regierungsnahe Milliardär Gautam Adani den Sender 2022 kaufte.

Früher hätten ihn Politiker angerufen, um ihn um Nachsicht zu bitten, zu sagen, er solle doch nicht zu hart sein mit ihnen, erzählt Kumar. Nach Modis Wahl veränderten sich die Anrufe. Es ging nicht mehr um ein exklusives Interview oder einen kritischen Bericht: «Sie verfolgten ein grösseres Ziel. Sie wollten, dass ich mich ihrem Narrativ anschliesse.» Später hätten sie es Dekolonialisierung genannt – der liberalen, säkularen, elitären Medienlandschaft. «Aber das ist Bullshit», sagt Kumar, «diese Dekolonialisierung ist eine Rekolonialisierung von unabhängigen Gedanken und Menschen.»

Vor Modis Wahl habe jeder Journalist Quellen in den verschiedenen Ministerien gehabt, sagt Kumar, die hätten auch einmal etwas durchgesteckt oder erzählt. Ab 2014 erzählte niemand mehr etwas. Es gab nur noch die Erzählung der Regierung. Heute senden die grossen Nachrichtensender Indiens fast alle das Gleiche.

Es gibt strukturelle Gründe, weshalb es für die Regierung Modi einfach war, die meisten Nachrichtensender schnell unter Kontrolle zu bringen: Viele Moderatoren priorisierten Zugang zu den Mächtigen über Kritik an ihnen, Erfolg war wichtiger als Ideale, sie mussten ihre Sendungen mit schnellen, scheinbar exklusiven Nachrichten füllen, denn sie hatten damals bereits fast alle Goswami kopiert.

Hinzu kommt, dass die Nachrichtensender seit der Finanzkrise 2008 in Nöten waren. Sie verkauften Anteile an Unternehmer, welche die Nähe zu Modi suchten. Der Mangel an Mitteln führte zum Personalabbau, einen Grossteil der Fernsehbilder übernehmen die Kanäle heute von der Agentur ANI, diese ist so nahe an die Regierung gerückt, dass zwischen Journalismus und Propaganda manchmal nur noch schwer zu unterscheiden ist.

Eine langjährige Journalistin wollte erst mit mir über Indiens Medien sprechen, sagt dann aber in einer E-Mail ab, sie schreibt: «Falls Sie es noch nicht gemerkt haben, wir leben in Nordkorea.»

Ravish Kumar sagt über Arnab Goswami: «Er war der Game-Changer. Der Erste, der schamlos geworden ist. Der allen Journalismus fahrenliess.» Kumar sagt, es gebe kein Zurück mehr für die Nachrichtensender in Indien. Aber die Leute vermissten echten Journalismus. Er hat seine eigene Show auf Youtube, dorthin sind viele indische Journalisten abgewandert, vor den Wahlen schauen ihnen Millionen Menschen zu.

Anfang Mai 2024, als Goswami sein neues Hauptquartier zeigt, gibt es Zweifel an der indischen Wachstumserzählung. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über 43 Prozent, die Inflation ist hoch, das Ersparte der Mittelklasse schwindet, die Verschuldung und die Ungleichheit steigen. Die Regierung präsentiert tolle Wachstumszahlen, neue Flughäfen, neue Freihandelsabkommen, aber dahinter scheint das Versprechen des indischen Aufstiegs hohl geworden zu sein.

Goswami sitzt in seiner Baustelle, im Indien, das gerade entsteht, und sagt, was er und andere seiner Generation gerade erlebten, sei ein magischer Moment für Indien. «Dass wir 70 Jahre lang unser Potenzial nicht ausgeschöpft haben, ändert nichts an der Tatsache, dass die nächsten 50 oder 100 Jahre unsere sind.»

IV. Die Wahlen

Am 4. Juni um 8 Uhr morgens beginnt Arnab Goswamis Wahlsendung. Sieben Wochen haben die indischen Wahlen gedauert, über 600 Millionen Inder und Inderinnen gingen an die Urne, und jetzt wird ausgezählt. Goswamis Team ist seit dem frühen Morgen im Büro, es wird sich mit Kaffee und Energydrinks durch den Tag putschen. In den Wochen zuvor hat Goswami in fast jeder seiner Sendungen einen Wahlsieg für Modi herbeigeredet und die Opposition attackiert.

Goswami sitzt an seinem übergrossen Studiopult, die Kulissen um ihn herum sind turnhallengross, von seinem Pult führen zwei Arme nach links und rechts. Dort dürfen sich Experten und Parteimitglieder aufreihen. Mit einer Fingerbewegung der rechten Hand kann er sie verstummen lassen, sie aufwiegeln, aufeinander loslassen. Goswami, der Dirigent, aber sein Orchester ist nur Staffage.

Am frühen Nachmittag ist klar, dass Modi zwar gewonnen hat, er wird eine dritte Amtszeit anhängen; allerdings verlor seine Partei die absolute Mehrheit, es reicht nur für eine Koalitionsregierung. Ein Rückschlag. Die von Goswami prognostizierte Modi-Welle traf nicht ein, die BJP ist weit unter den Erwartungen geblieben. Nicht alle Inder scheinen Modis Vision von Indien zu teilen, nicht alle spüren den magischen Moment, den Goswami spürt.

Am späten Nachmittag verlässt Goswami das Studio kurz und tigert durch den Newsroom. Er lächelt, Goswami hat ein bubenhaftes Grinsen, das ihn jünger wirken lässt, als er ist. Aber diesmal wirkt es flüchtig, der Slim-Fit-Anzug sitzt nicht mehr. Er sagt, die Wahlprognosen der beauftragten Institute seien falsch gewesen, da könne man nichts machen. Nein, Werbung für die BJP habe er sicher nicht gemacht.

Goswami und Modi kennen sich, seit Modi noch ein einfacher Parteiarbeiter war. Goswami betont, dass ihre Beziehung eine rein journalistische sei. An einer Veranstaltung seines Senders, an der Modi kürzlich eine Rede hielt, sagte Goswami zu ihm: «Ich habe keine Hemmungen zu sagen: Sie inspirieren mich.» In öffentlich gewordenen Whatsapp-Nachrichten prahlte Goswami gegenüber einem Vertrauten einst, dass Modi seinen Sender in seinem Zimmer empfange.

Zurück im Studio, greift Goswami wieder die Opposition um Rahul Gandhi an, was sie eigentlich zu feiern habe, schliesslich habe sie zwar Sitze gewonnen, aber die Wahl verloren. «Wir sind stabil», die Modi-Regierung sei stabil, versichert Goswami seinen Zuschauern und vielleicht auch sich selbst.

Why Has Sedition Law Not Been Implemented Against Arundhati Roy? | Debate With Arnab

Die Gäste debattieren im Studio über die Ergebnisse, schwanken zwischen ernsthafter Analyse und viel zu steiler These. Goswami hat dieses Fernsehformat geprägt, jeden Abend von acht bis zehn Uhr wird in Republic TV debattiert, die «Super Primetime Max with Arnab». Das Format war schon in seinem alten Sender «Times Now» so erfolgreich, dass es fast alle anderen kopierten. Die Gäste sind daheim oder im Studio, sie werden als Kacheln auf den Bildschirm geworfen, manchmal zehn gleichzeitig. Es gibt keine Regeln bei der Debatte, «go with the flow», sagt Goswami. «Die Leute glauben, Konflikt im Studio führe zu Dissonanz, aber ich glaube, dass Konflikt zu Erhellung führt», sagt Goswami. Manchmal schreit er, manchmal spricht er ganz leise und eindringlich, dann kreischen wieder die Gäste, es ist grosses Theater, aber erhellt wird eigentlich gar nichts.

Es ist Abend geworden an diesem Wahltag, Goswami sitzt im Regieraum. Eine junge Frau brüllt Anweisungen nach vorne, Goswami lächelt, «kann irgendjemand auf der Welt mit dieser Aggressivität mithalten?», fragt er. Er lehnt sich im Bürostuhl zurück.

Er spricht über die neue Regierung, «es gibt keine Alternative», sagt Goswami. Er sagt, viele Leute hier würden nicht die BJP wählen, sein Sender sei weniger nahe an der Partei, als die Leute glaubten. Er muss zurück auf Sendung, um halb neun hält Modi eine Rede. «Live News, das ist, wofür wir leben», sagt Goswami. Einer der Experten im Studio dämmert während der Modi-Rede weg. In der Werbepause, kurz vor zehn, gähnt auch Goswami in seinem Studiosessel.

Live News – das ist alles, was indische Nachrichtensender zeigen. Und wer ständig mit News bombardiert wird, versteht am Ende doch nichts, es gibt keine Einordnung, keine Entwicklung und am Ende kein Gedächtnis.

Kurz nach 23 Uhr ist die Wahlsendung vorbei. Die Experten, die sich gerade noch stritten, marschieren im Gänsemarsch hinter Goswami aus dem Studio. Sie machen Selfies. Für Goswami sind sie Namen auf einer Liste, die er vor der Sendung gereicht bekommt. Wenn sie an diesem Wahltag nicht mehr gebraucht werden, sitzen sie in der Kantine, im Hintergrund läuft Fahrstuhlmusik.

Eine Frage noch an Goswami vor dem Aufbruch in die Nacht: Glaube er, dass Modi der richtige Premierminister sei für Indien? «Kein Zweifel. Er ist ziemlich entschlossen.»

V. Die Zukunft

Ein letztes Treffen Mitte Juni, Goswami will nicht mehr ständig über die Wahlen reden, er hat einen Skandal gefunden: Die nationalen Aufnahmeprüfungen fürs Medizinstudium waren manipuliert, ein paar Aspiranten hatten Geld bezahlt, um die Fragen vorab zu erhalten oder andere die Prüfung für sie schreiben zu lassen. Das Medizinstudium an öffentlichen Universitäten in Indien ist hochkompetitiv: 2,4 Millionen junge Menschen schreiben die Aufnahmeprüfung, nur die besten 5 Prozent erhalten einen Platz, und unter ihnen sind jetzt Betrüger. Es gibt Studentenproteste im ganzen Land.

Goswami hat gescheiterte Aspiranten heute Abend in die Sendung eingeladen, es ist eine typische Goswami-Story, Kinder der Mittelklasse, die live im Fernsehen anklagen, man kann daraus eine tagelange Kampagne basteln.

Wie konnte das passieren, dass ein staatlich kontrolliertes Examen im aufstrebenden Indien manipuliert ist? Goswami antwortet: «Jedes System hat Fehler», man müsse sich nur mal die Universitätsprüfungen in den USA anschauen.

Goswami sagte einmal, in Europa und Amerika gebe es diese Unsicherheit über das, was kommt. «In Indien gibt es das nicht, da herrscht Klarheit über die Zukunft.» Das neue Indien ist eines der absoluten Gewissheiten, eines der einen Richtung, Nation first, und wenn es nach Goswami geht, werden Modis Verluste bei der Wahl daran auch nichts ändern.

Zielte er mit seiner Wahlberichterstattung vielleicht an den Realitäten im Land vorbei? Goswami antwortet: «Ich glaube eher, die westlichen Medien sollten selbstkritisch sein, die denken immer noch, Rahul Gandhi hat gewonnen.» Im neuen Indien sind fast immer die anderen schuld.

Die Wahlergebnisse hatten bisher wenig Einfluss auf die Linie der indischen Nachrichtensender. Für ein paar Tage schienen die regierungsfreundlichen Moderatoren schockiert. Aber Modi verkauft den knappen Sieg als grossen Sieg, und nicht nur Goswami scheint dieser Erzählung zu folgen. Ein Verleger, der Goswami kennt, zitiert, darauf angesprochen, ein Sprichwort: «Wer auf dem Tiger reitet, hat Angst abzusteigen.» Er wird dann gefressen.

An diesem Abend sind vier Studentinnen und Studenten ins Studio gekommen, sie haben monate-, teilweise jahrelang für die Medizin-Aufnahmeprüfung gelernt, sie sehen sich um ihren Studienplatz betrogen und sehen ihre Zukunft davongleiten. Betroffene Eltern sind da, Anrufer versichern ihre Solidarität. Es ist Chaos, genau nach Goswamis Geschmack, er trinkt Grüntee aus seiner Moderatoren-Tasse.

Es gibt einige Momente in dieser Sendung, in denen Goswami still ist, in denen er den Studenten aufmerksam zuhört und Betroffenheit zeigt. Alle, die hier sitzen, können sich das Medizinstudium an einer privaten Universität nicht leisten. Goswami sitzt gerade seinem jungen Ich gegenüber. Vor 30 Jahren wollte er selber mehr werden, als für ihn vorgesehen war. Die Studenten in seinem Studio haben sich wie er dem Wettbewerb gestellt und wurden betrogen, weil sie nicht genug Geld hatten oder die richtigen Verbindungen. Vielleicht unterscheidet sich das neue Indien gar nicht so sehr vom alten.

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