Donnerstag, Januar 9

Das Landihaus in Illnau darf nicht abgebrochen werden, obwohl die Stimmberechtigten dies befürworteten.

Gemeinden, Kantone, Bund: Jede der drei Staatsebenen hat ihre Zuständigkeiten und Regeln. Dazu gehört, dass im Zweifels- oder Konfliktfall die höhere Ebene die jeweils untere übersteuert. Sonst wäre das Chaos rasch perfekt.

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Es liegt ebenso in der Natur der Sache, dass die Kommunen als Letzte in der Hackordnung ihren Handlungsspielraum ausloten und immer wieder die Grenzen ihrer Kompetenzen testen. So haben letztes Jahr mehrere Zürcher Gemeinden Einzelinitiativen zu Abstandsvorschriften für Windkraftanlagen angenommen. Dies trotz der Warnung seitens des Kantons, dass ihnen dafür die Rechtsgrundlage fehle.

Ein beliebtes Gebiet für mehr oder weniger bewusste Regelverstösse ist die Denkmalpflege. Dazu steht im kantonalen Planungs- und Baugesetz, dass Gebäude, Ortskerne, Strassen oder Plätze schützenswert seien, die «als wichtige Zeugen einer politischen, wirtschaftlichen, sozialen oder baukünstlerischen Epoche Landschaften und Siedlungen wesentlich mitprägen».

Kanton und Gemeinden müssen dafür sorgen, dass solche Objekte geschont werden und, falls das öffentliche Interesse überwiegt, «ungeschmälert erhalten bleiben».

Das kann Entwicklungen hemmen. Das Bundesgericht hat nun in einem aktuellen Urteil festgehalten, wo der Spielraum der Gemeinden Grenzen hat. Und zwar explizit auch dann, wenn dadurch die Umsetzung eines Volksentscheids verunmöglicht wird. In der Sache geht es darum, ob der fast hundertjährige «alte Konsum» in Illnau, besser bekannt als Landihaus, abgebrochen werden kann.

Hochwertiges Baudenkmal

Die Angelegenheit beschäftigt Illnau-Effretikon seit fast zwanzig Jahren. 2005 erwarb die Stadt das Haus. Ursprünglich wollte sie es sanieren, denn seine Schutzwürdigkeit ist an sich unbestritten.

Die Landwirtschaftliche Genossenschaft Illnau baute 1928 das markante Gebäude mit einem mächtigen, über drei Geschosse reichenden Dach. Es gilt laut einem vor mehr als zehn Jahren eingeholten Gutachten als qualitativ hochwertiges Baudenkmal mit sozial- und wirtschaftsgeschichtlicher Bedeutung.

Das schliesst einen Abbruch indes nicht per se aus, sofern andere öffentliche Interessen überwiegen. Für die Mehrheit des Stadtparlaments gab es solche Interessen: Sie forderte 2014 mit einer überwiesenen Motion, anstelle des Landihauses einen Dorfplatz zu realisieren.

Der Stadtrat erfüllte den Auftrag und entliess die Liegenschaft aus dem Schutzinventar. Dagegen erhob der Zürcher Heimatschutz 2015 Rekurs und erhielt vom Baurekursgericht sowie in zweiter Instanz auch vom kantonalen Verwaltungsgericht recht. Das Haus blieb im Inventar.

2017 reichten die Ortsparteien von SVP und FDP eine Volksinitiative für ein «attraktives Dorfzentrum Illnau» ein. Sie sah explizit einen 950 Quadratmeter grossen Platz anstelle des Landihauses vor. Das Parlament unterstützte die Initiative, verlangte vom Stadtrat aber einen Gegenvorschlag. Dieser sah einen um 200 Quadratmeter kleineren Dorfplatz hinter dem Gebäude vor, das erhalten bleiben sollte.

Das Parlament befürwortete beide Varianten. Deshalb wurden Ende November 2020 auch beide dem Volk vorgelegt. Der Stadtrat wies in der Abstimmungszeitung ausdrücklich auf die hohe Wahrscheinlichkeit hin, dass gegen einen Abbruch des Schutzobjekts Rechtsmittel ergriffen würden.

Kurz vor der Abstimmung ermahnte Martin Killias, der Präsident des Zürcher Heimatschutzes, die Stimmberechtigten via die Presse: «Die Demokratie darf nicht alles – es gilt auch die Gewaltenteilung zu respektieren.» Das Stimmvolk nahm die Initiative jedoch bei einer hohen Beteiligung von 48 Prozent mit 55,3 Prozent Ja an. Der vom Stadtrat bevorzugte Gegenvorschlag wurde knapp abgelehnt.

Abwägen keine Sache des Volkes

Es kam, was zu erwarten war. Die Exekutive von Illnau-Effretikon entliess wohl oder übel das Landihaus erneut aus dem Schutzinventar und verteidigte den Entscheid tapfer, nachdem der Heimatschutz wiederum durch zwei Instanzen hindurch erfolgreich geblieben war. Das Verwaltungsgericht äusserte Ende 2023 Zweifel daran, dass eine befriedigende Dorfplatzgestaltung nur bei einem Abbruch möglich sei.

Nun hat das Bundesgericht das abschliessende Verdikt gefällt – für den Erhalt des Schutzobjekts. Zwar hätten Gemeinden in Fragen, deren Regelung ihnen überlassen sei, eine erhebliche Entscheidungsfreiheit, schreiben die Richter. Sie anerkennen auch, dass der Umsetzung einer angenommenen Volksinitiative ein gewisses öffentliches Interesse beizumessen sei.

Entscheidend ist für das Bundesgericht aber, dass auch ein demokratisch legitimierter Entscheid die gesetzlich geforderte Interessenabwägung nicht vorwegnehmen könne: «Es kann nicht darauf ankommen, was die Stimmbevölkerung als verhältnismässig erachtet», heisst es in der am Mittwoch publizierten Urteilsbegründung. Die Frage der Unterschutzstellung sei vielmehr durch die zuständige Behörde und die Gerichte in freier Gewichtung und Abwägung der Interessen zu prüfen.

In diesem Fall fiel ins Gewicht, dass bereits im ersten Verfahren 2016 das Verwaltungsgericht rechtskräftig die Schutzwürdigkeit des Landihauses festgestellt hatte. Auch für das Bundesgericht konnte der Stadtrat nicht aufzeigen, weshalb sein Abbruch für eine befriedigende Gestaltung des Dorfplatzes in Illnau zwingend notwendig sei.

Der Fall Illnau-Effretikon dürfte im Kantonsrat den Kritikern der heutigen Denkmalpflege Argumente liefern. Das Parlament überwies im Oktober 2022 eine Motion für eine schlankere Gesetzgebung in dieser Frage. Die Regierung muss dazu in den nächsten Monaten den Vorschlag für eine Anpassung vorlegen.

Urteil 1C_24 vom 18. 11. 2024.

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