Dienstag, November 19

Zuerst ist die Leitung zwischen Finnland und Deutschland tot, dann bricht die Verbindung zwischen Litauen und Schweden ab. Experten und Politiker sind sich einig: Ein Zufall ist das nicht.

Am frühen Sonntagmorgen geht beim finnischen Netzwerkanbieter Cinia eine Störungsmeldung ein. Der Datenverkehr über das Unterwasserkabel C-Lion1, das Helsinki mit Rostock verbindet, ist komplett unterbrochen. Nur wenige Stunden später schlagen die Systeme beim litauischen Telekomanbieter Telia in Vilnius Alarm. Die Verbindung zwischen Litauen und Schweden ist abrupt getrennt worden. Die Leitungen sind tot.

Beide Datenkabel verlaufen in den Tiefen der Ostsee, beide wurden auf mysteriöse Art vor der schwedischen Küste beschädigt. Sie verbinden Nato-Staaten an der Grenze zu Russland mit der restlichen Allianz. Als die Fälle am Montag publik werden, ist die Aufregung entsprechend gross.

Noch am gleichen Abend geben die Aussenministerinnen von Finnland und Deutschland eine gemeinsame Erklärung ab. Darin schreiben sie vom «Verdacht einer vorsätzlichen Beschädigung». Die europäische Sicherheit sei nicht nur durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine bedroht, sondern auch «durch hybride Kriegsführung böswilliger Akteure».

Die Schäden werden derzeit untersucht. Wer oder was die Kabel beschädigt hat, ist noch unklar. Die finnische Aussenministerin Elina Valtonen wollte gegenüber den Medien nicht über die Täterschaft spekulieren. Doch ein Verdacht, wer der böswillige Akteur sein könnte, steht im Raum. Er richtet sich gegen Russland.

Hinweise auf Sabotage verdichten sich

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine mehren sich in Nordeuropa seltsame Zwischenfälle. Im letzten Herbst wurde die Gasleitung Balticconnector durch den Anker eines chinesischen Frachtschiffs beschädigt. Im Winter schickte der Kreml Hunderte Migranten an die finnische Grenze, und auf einer der wichtigsten Bahnlinien in Schweden entgleisten Güterzüge.

Neben den grösseren Ereignissen, die für Schlagzeilen sorgten, geschehen regelmässig kleinere Sabotageakte, deren Täterschaft oft unbekannt bleibt. Im Juli häuften sich in Finnland Einbrüche in kritische Wasserversorgungsanlagen. Im August durchtrennte jemand ein wichtiges Kommunikationskabel zum norwegischen Luftwaffenstützpunkt Evenes. Und regelmässig kommt es zu GPS-Störungen über der Ostsee.

Auch wenn die Ereignisse auf den ersten Blick nicht zusammenhängen, ist für viele Experten klar: Es handelt sich um gezielte Angriffe des Kremls gegen den Westen. Sie sprechen von hybrider Kriegsführung.

Ob die Datenkabel in der Ostsee sabotiert wurden, ist unklar, doch die Hinweise verdichten sich. Ari-Jussi Knaapila, der CEO des finnischen Netzwerkanbieters Cinia, sagte gegenüber der finnischen Zeitung «Helsingin Sanomat»: «In diesen Gewässern geschieht so etwas nicht ohne einen äusseren Einfluss. Es gibt hier keine seismischen Ereignisse und keine unterseeischen Bergstürze, die so etwas verursachen könnten.» Neben Sabotage komme etwa eine Beschädigung durch einen Anker oder die Fischerei mit Grundschleppnetzen infrage.

Andrius Semeskevicius vom litauischen Telekomanbieter Telia zweifelt daran, dass die beiden Leitungen zufällig zur gleichen Zeit beschädigt wurden. Zum litauischen Sender LRT sagte er: «Da beide Kabel beschädigt sind, ist klar, dass es sich nicht um einen versehentlichen Verlust eines Schiffsankers handelt. Etwas Schlimmeres könnte im Gang sein.»

Noch deutlicher wurde Deutschlands Verteidigungsminister Boris Pistorius. Am Rande eines EU-Treffens in Brüssel sagte er: «Niemand glaubt, dass diese Kabel aus Versehen durchtrennt worden sind.» Auch wenn die Täterschaft noch unbekannt sei, müsse man davon ausgehen, dass es sich um einen hybriden Angriff handle.

Schweden leitet Untersuchung

Der Fall weckt Erinnerungen an die im September 2022 gesprengten Nord-Stream-Pipelines. Wer für die Attacke verantwortlich ist, ist bis heute nicht geklärt. Während neuste Recherchen verschiedener Medien in Richtung Ukraine deuten, könnte es sich genauso gut um eine False-Flag-Operation des Kremls handeln. Moskau würde davon profitieren, die Ukraine als Schuldigen hinzustellen. Mit der Sprengung der Leitungen hätte Russland zudem die Schadenersatzforderungen Deutschlands wegen ausgebliebener Gaslieferungen umgehen können.

Die Auswirkungen des Schadens an den Datenkabeln halten sich derweil in Grenzen. Weder in Finnland noch in Litauen ist es zu spürbaren Störungen des Datenverkehrs gekommen. Die Versorgungssicherheit ist gewährleistet, weil die Länder über verschiedene Kabel mit der restlichen Welt verbunden sind. Cinia rechnet damit, dass die beschädigte Leitung in fünf bis fünfzehn Tagen repariert ist. Dafür muss das Kabel vom Meeresgrund auf ein Schiff gehoben werden. Die Arbeiten haben bereits begonnen.

Cinia hat bei der finnischen Polizei Anzeige erstattet. Weil der Schaden in der schwedischen Sonderwirtschaftszone entstanden ist, wird die Untersuchung von den schwedischen Behörden geleitet. Die schwedischen Streitkräfte und das Zivilschutzministerium haben angekündigt, die Ereignisse zu beobachten.

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