Mittwoch, März 19

Für junge Familien bleibt in den kalten Monaten das Leben stehen. Im Zweiwochentakt wechseln sich Magen-Darm-Grippe, Schnupfen und Mittelohrentzündung ab. Essay eines verzweifelten Vaters.

Der Geruch des Winters ist der von gehackten Zwiebeln. Wochenweise beisst er sich in unserer Wohnung fest. Er sitzt in den Vorhängen, in der Bettwäsche, dem Schlaf-Shirt – ja in meinen Haaren.

Geschnittene Zwiebeln setzen Stoffe frei, die den Nasenschleim lösen und Entzündungen lindern können. Bei uns daheim dürfen Zwiebeln nie fehlen. Wir kaufen sie wie Brot und Milch. Beim ersten Hüsteln oder Niesen unserer Kinder schnippeln wir sie und stellen sie neben das Familienbett. Die ätherischen Öle breiten sich im Raum aus. Sie steigen hoch wie Gebete zum Himmel.

Oh, Zwiebel, bitte erlöse uns von den Viren.

Mein Glaube an das Hausmittel ist allerdings begrenzt. Die Zwiebel ist vielmehr Ausdruck von Hilflosigkeit. Sie stinkt mir, wie jede einzelne Erkältung, die in unser Haus dringt. Wer mit Kleinkindern lebt, der weiss es: In den kalten Monaten sind sie oft, regelmässig und zuverlässig krank. Und selten bleibt es bei nur einer Schnudernase in der Familie. Die Infekte rauben den Kindern kurzzeitig die Kraft und den Eltern die Nerven.

Wie der Sohn, so der Vater

Der Februar ist für unseren Planeten beunruhigend warm. Für mich ist er ein Hoffnungsschimmer nach Monaten, die mich als Versehrten zurücklassen. Mein aktuelles Leid: ein taubes Ohr nach zweiwöchiger Grippe mit Komplikationen, Antibiotika und Schmerzmitteln in rauen Mengen. Eine Woche davor hatte unser Vierjähriger den gleichen Verlauf. Ein erkältetes Kind ist potenziell ein kranker Elternteil. Wie der Sohn, so der Vater.

Gefühlt im Zweiwochentakt drehen wir uns seit September im Kreis. Munter von der Magen-Darm-Grippe zur Bronchitis, über den Schnupfen zur Mittelohrentzündung – reihum von Gross zu Klein und umgekehrt. Die Nonna meint, wir zögen die Kinder zu wenig warm an. Ein Nachbar sagte einst beiläufig und ungefragt, unser Bub sei so sehr einpackt, dass er wohl schwitze und sich erkälte.

Die Wissenschaft kennt so etwas wie Erreger. Sie weiss: Kleinkinder machen pro Jahr im Schnitt an die zwölf Erkrankungen mit Fieber durch. Dauert jeder Infekt eine Woche, geht ein Viertel des Jahres im Bett vorbei. Kranksein ist in einer jungen Familie im Winter nicht die Ausnahme, sondern eher die Norm.

Eltern: Experten für Aerosole

Unsere Konstellation ist risikobehaftet. Vierpersonenhaushalt. «Fast die ganze Klasse hustet», sagte unsere Viertklässlerin mehrmals in diesem Winter. Im Sommer ist unser Jüngster ohne Kita-Immunisierung in den Kindergarten eingestiegen. Dort tauscht er nicht nur Znüni und Legosteine, sondern auch regelmässig Viren mit seinen Gspänli aus. Jede Woche, die er ohne eine Absenz durchkommt, ist ein Erfolg. Meine Frau arbeitet mit Teenies, deren Körperhygiene manchmal fragwürdige Züge annimmt. Und wenn auf meiner Pendlerstrecke jemand niest, würde ich am liebsten aus dem Sitz schnellen und mit Pantasept um mich sprühen.

Bevor die Corona-Krise die breite Öffentlichkeit über Aerosole und Händehygiene aufklärte, waren wir als Eltern bereits Experten darin gewesen. Das machte mich während der Pandemie zum pedantischen Maskenträger. Und die Covid-Nachholeffekte lassen mich nun überzeugt auf jeglichen Schutz verzichten.

Aber das brauchte einen Lernprozess. Als ich vor mehr als zehn Jahren freudig auf die Geburt unserer Tochter wartete, machte ich mir vor allem über die Erziehung Gedanken. Diese Sorge ist geblieben. Und sie wird umso grösser, weil das Teenageralter die Verlockungen der Telekommunikationsgeräte und der bauchfreien Mode mit sich bringt. Aber etwas ahnte ich nicht: dass wir uns so sehr mit der körperlichen Gesundheit unserer Kinder auseinandersetzen würden. Kranksein ist Teil der Entwicklung.

Sand und dreckigen Schnee essen

Kinder saugen in ihrem Wissensdrang die Welt auf, sie gehen mit blossen Händen auf sie los, verschlingen sie – und lecken sich danach die Finger. Buchstäblich. Der bräunliche Schnee am Strassenrand muss geschmeckt werden, der Sand auf dem Spielplatz gekaut. So lassen sie auch alles Schädliche ungefiltert in sich hinein. Und mit Durchfall und Fieberschüben wieder hinaus.

Ihr Körper gleicht sich diesem unwirtlichen Planeten an. Mit jedem Infekt wird er etwas stärker. Und ich frage mich, ob ich die entgegengesetzte Entwicklung nehme. Wenn ein Kind krank ist, bedeutet das auch miserable Nächte für die Eltern. Mehrmals aufstehen, die kleinen Patienten zum Naseputzen und zum Sprayen auffordern, zur nächsten Medizindosis motivieren (notfalls zwingen), in der Dusche heisses Wasser laufen lassen, um den Husten zu lindern, verkotzte Bettlaken wechseln, das Fieber überwachen. Während unsere Kinder ihr Immunsystem trainieren, fühle ich mich anfällig und verwundbar.

Der schlimmste Moment: auch mein Hals kratzt

Ich hinterfrage unseren Speiseplan, was den Vitamingehalt angeht, würge Echinacea-Pillen zur Prävention herunter und presse morgens Orangen aus. Und dann kommt der Moment: Auch mein Hals kratzt, die Glieder schmerzen.

Es überkommt mich eine Tristesse, die auch depressive Züge annehmen kann. Nicht schon wieder. Es fühlt sich an wie das Ende der Welt. Erneut ins Home-Office ausweichen, womöglich ganz auf der Arbeit ausfallen und um Ersatz fragen müssen. Einen weiteren Apéro verpassen und einmal mehr am Weihnachtsessen fehlen.

Im Winter scheint alles stehenzubleiben. Der Haushalt, das Lauftraining, die Ideen, die Karriere. Von einer Work-Life-Balance zu träumen, wirkt verwegen. Bin ich ein guter Mitarbeiter, ein guter Vater und Ehemann? Der Winter crasht den Lebensentwurf gleichberechtigter Paare. Wenn ich mit letzter Energie ein Süppchen koche und mich dann eine halbe Stunde hinlege, meldet sich das schlechte Gewissen.

Wenigstens bleibt die grosse Tochter gesund. Aber sie langweilt sich. Einmal mehr bekommt das kränkelnde Geschwisterchen mehr Aufmerksamkeit. Für Spannungen ist gesorgt. Soziale Kontakte verkümmern. Wir haben mindestens vier Besuche beim neugeborenen Gotti-Mädchen meiner Frau abgesagt – und mindestens so oft die lieben Nachbarn vom Raclette-Essen ausladen müssen.

Zeitweise kam es mir in diesem Winter vor, als würde ich mich nur noch zwischen Schüttstein, Kochherd und Waschmaschine bewegen. In jeder Ecke unserer Wohnung lief ich an Fläschchen mit Nasensprays und an Päckchen mit Papiertaschentüchern heran. Sie standen auf der Kochinsel, auf dem Wohnzimmertisch, auf dem Bücherregal, auf dem Fenstersims. Unser Bub schaute in den Innenhof. Er drängte hinaus. Ich auch. An manchen Tagen war das Highlight ein Besuch in der Apotheke.

Immunisierung nach halbem Seuchenjahr

Eltern geben viel und bekommen noch mehr in Form von Viren und Bakterien zurück. Natürlich nicht nur. Vor den letzten Ferien fragte mich unser Vierjähriger: «Habe ich in der Skischule auch Mathe?» Ein junges Leben in die Welt zu begleiten, bleibt trotz Kopfschmerzen und schlaflosen Nächten meine grösste Freude.

Mehrere Studien belegen, dass Erwachsene nur etwa 20 Mal pro Tag lachen, Kinder hingegen an die 400 Mal. Davon lasse ich mich gern anstecken.

Ich will es nicht zu laut sagen, aber derzeit geniessen wir einige Wochen Ruhe. Die fast halbjährige Virenkur scheint eine Immunisierung mit sich zu bringen. Die Tage werden länger, die Temperaturen milder. Auf den Spielplätzen treffen wir wieder andere Kinder und Eltern an. Und hören ähnliche Schreckensgeschichten. Läuse, Ringelröteln, Hand-Fuss-Mund-Krankheit, Scharlach, Windpocken.

Oje, hatten wir noch nicht.

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