Dienstag, Oktober 1

Der Zürcher Stadtrat hat einen «Mister Wohnen» gefunden. Er soll künftig private und gemeinnützige Bauträger an einen Tisch bringen.

Als Drogen, Gewalt und Abfall um die Jahrtausendwende den Kreis 4 dominierten und die Probleme sich zusehends verschlimmerten, stellte die Stadt einen «Mister Langstrasse» ein. Analog soll sich nun ein «Mister Wohnen» um die Schwierigkeiten auf dem hiesigen Wohnungsmarkt kümmern. Philippe Koch wird Zürichs erster sogenannter Wohndelegierter. Das hat der Stadtrat am Mittwoch mitgeteilt.

Der 47-Jährige doziert derzeit an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften im Departement für Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen zu den Themen «Stadtpolitik und urbane Prozesse». Im Fokus seiner Forschung stünden die Wechselwirkungen zwischen Politik und «städteräumlichen Veränderungen sowie die Rolle und Bedeutung von Genossenschaften bei Wohnungskrisen», schreibt der Stadtrat.

Als Zürichs erster «Mister Wohnen» werde Koch das Thema «Wohnen strategisch bündeln, den Diskurs auf allen politischen Ebenen aktiv führen und prägen und die Wohnpolitik des Stadtrats weiterentwickeln», heisst es in perfekt poliertem Personalwesen-Deutsch.

Doch was genau bedeutet das?

«Wohnen ist ein Querschnittsthema, umfasst viele verschiedene Themenbereiche und ist deshalb in verschiedenen Abteilungen angesiedelt», erklärt Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) auf Nachfrage. Ganz oben auf Kochs Aufgabenzettel werde aber stehen, das städtische Programm Wohnen aus dem Jahr 2017 zu aktualisieren. Dieses hat im Wesentlichen zum Ziel, Zürich als attraktive Wohnstadt für alle Bevölkerungsschichten zu erhalten und die sozialpolitische Stabilität zu gewährleisten. Zudem soll das Programm die Kooperation zwischen den verschiedenen Akteuren auf dem Wohnungsmarkt fördern.

Strategische Koordination an einem Ort

Koch hat sich gegen 24 Bewerberinnen und Bewerber durchgesetzt.

Er habe fachlich, methodisch und kommunikativ überzeugt und sei eine interessierte, überlegte und strategisch denkende Persönlichkeit, schreibt der Stadtrat. Zudem habe er gezeigt, «dass er die verschiedenen Perspektiven im Bereich Wohnen ernst nimmt und unterschiedliche Sichtweisen gut integrieren kann».

Weiter verfüge Koch über ein weitverzweigtes Netzwerk und sei bereits für zahlreiche Begleitgremien oder für Referate eingeladen worden.

So sprach Koch beispielsweise letzten Herbst an einem Anlass der Plattform «Tsüri». Thema der Veranstaltung war die Wohnungskrise. Kochs Lösungsansatz: Bau- und Bodenrecht sollen entkoppelt werden. Das heisst, Bodeneigentümer könnten weiterhin bauen, aber nicht mehr «mit dem Boden als ökonomischem Fundament». Als Vergleich nannte Koch das Wasser. Dieses gehöre grundsätzlich dem Staat, werde aber von Privaten genutzt.

Sympathisiert Zürichs künftiger «Mister Wohnen» also mit der Idee, den Boden zu verstaatlichen und Grundeigentümer zu enteignen?

Eine kurze Google-Recherche lässt Kochs Sichtweise zumindest ansatzweise erahnen; er selbst äussert sich noch nicht gegenüber den Medien. Das könne er erst nach seinem Stellenantritt tun, teilt der Stadtrat mit. So ist er beispielsweise langjähriges Mitglied des Vereins Umverkehr, seit 2016 amtet er als Kassier. Zu den Zielen der aktivistischen Umweltorganisation gehört unter anderem, den motorisierten Individualverkehr zu reduzieren. Am 22. September stimmen die Stadtzürcher zudem über die von Umverkehr lancierte Stadtklima-Initiative ab.

Stadtpräsidentin Mauch betont, im Bewerbungsgespräch sei durchaus thematisiert worden, ob Koch mit dem Wechsel von der wissenschaftlich-analytischen Arbeit in die Lebensrealität des Zürcher Wohnungsmarkts mit all seinen Interessengruppen umgehen könne. Dazu gehörten schliesslich nicht nur gemeinnützige Bauträger wie die Stadt, städtische Stiftungen und private Wohnbaugenossenschaften, sondern auch institutionelle Anleger, Private und renditeorientierte Immobilienkonzerne.

«Philippe Koch hat uns überzeugt, dass er den Perspektivenwechsel weg von der Forschung hin zu den handfesten Realitäten einer Stelle in der Verwaltung bewältigen kann», sagt Mauch. Er habe sich als «offen, interessiert und umsetzungsorientiert» gezeigt.

Reaktion auf die sich zuspitzende Wohnproblematik

Die Pläne der Stadt, eine Stelle zu schaffen, die sich ausschliesslich mit dem Thema Wohnen in all seinen Facetten befassen soll, wurden im Dezember bekannt, anlässlich der Präsentation der Resultate der jüngsten Bevölkerungsbefragung. Diese hatte ergeben, dass das Wohnen – zusammen mit dem Verkehr – den ersten Platz auf dem Sorgenbarometer der Bevölkerung einnimmt.

Der Wohndelegierte wird also gewissermassen auch das Gesicht für sämtliche Bemühungen der Stadt, das 2011 gefasste Drittelsziel doch noch zu erreichen. Dieses sieht vor, dass in Zürich bis 2050 ein Drittel aller Wohnungen gemeinnützig sein soll.

Der Anteil stagniert seit Jahren. 2023 lag er bei knapp einem Viertel. 17,7 Prozent der Wohnungen gehörten Baugenossenschaften und 7 Prozent der öffentlichen Hand.

Bei den Stadtzürcher Parteien ist die neue Stelle umstritten. Das zeigte sich unlängst an der Debatte zu den Nachtragskrediten im Stadtparlament. Bei einem davon handelte es sich nämlich um den Budgetkredit für den künftigen Wohndelegierten und seine «administrative Führungsunterstützung».

Über den Lohn des Wohndelegierten gibt die Stadt keine präzise Auskunft. Bei der Stelle handle es sich um eine spezialisierte Stabs- und Führungsfunktion, sagt der Mediensprecher Lukas Wigger. Gemäss dem städtischen Lohnsystem verdienen Mitarbeitende auf diesen Stufen zwischen rund 125 000 und 250 000 Franken.

Bürgerliche erhalten ungewohnte Schützenhilfe

Die FDP wollte den Antrag streichen. Die Stelle zeige einzig, dass die Stadtpräsidentin dem Stadtrat Daniel Leupi (Grüne) nicht zutraue, das Drittelsziel zu erreichen, sagte der Parteipräsident Përparim Avdili. Die Stelle des Wohndelegierten werde «null Mehrwert schaffen», insbesondere nicht für diejenigen Menschen, die unter der momentanen Situation auf dem Wohnungsmarkt litten.

Die SVP schloss sich der FDP an. Johann Widmer resümierte, Nachtragskredite seien grundsätzlich eine Unsitte. Weil sich aber die GLP- und die Mitte/EVP-Fraktion auf die Seite der SP und der Grünen schlugen, blieb das Ansinnen der Freisinnigen chancenlos. Sven Sobernheim begründete den Standpunkt der Grünliberalen damit, dass der Wohndelegierte der bisher «kostengünstigste Lösungsansatz» des Stadtrats in der Wohnthematik sei.

Dafür erhielt die FDP ungewohnte Schützenhilfe von der linken Alternativen Liste. Die neue Stelle lindere einzig das schlechte Gefühl, dass es nicht vorwärtsgehe, sagte Tanja Maag. Statt die Verwaltung zu erweitern, täte der Stadtrat besser daran, diese zu reorganisieren und so die Effizienz zu steigern.

Stadtpräsidentin Mauch nimmt die «saloppe Äusserung» der Alternativen gelassen. Bei einem solch ausgesprochenen Querschnittsthema wie dem Wohnen sei die Verwaltungsorganisation anspruchsvoller. Diese Organisation obliege zudem dem Stadtrat, und dieser habe bereits ausführlich begründet, warum er einer grossangelegten Reorganisation kritisch gegenüberstehe. Eine solche würde sehr viele Ressourcen binden. Deshalb setze der Stadtrat weiterhin darauf, die inneren Prozesse gezielt und pragmatisch anzupassen.

Ob Zürichs «Mister Wohnen» sich als Vorzeigebeispiel für die Auffassung der AL entpuppt oder die Strategie des Stadtrats bestätigt, wird sich zeigen. Philippe Koch tritt seine Stelle Anfang 2025 an.

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