Donnerstag, März 6

Mit einem «Hochschulsicherheitsgesetz» will Nordrhein-Westfalen Hochschulangehörige vor Diskriminierung schützen. Schon kritische Fragen könnten damit heikel werden.

Sicherheit und Schutz von vulnerablen Gruppen haben in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Der Begriff «vulnerabel», der früher Kranken und Hochbetagten vorbehalten war, wurde auf eine grosse Zahl von Gruppen ausgedehnt, die sich selbst in irgendeiner Hinsicht als benachteiligt oder als potenzielle Opfer von Diskriminierung verstehen. Besonders an Universitäten identifizieren sich viele Studierende mit solchen Gruppen. Ihnen wird mittlerweile auch eine verletzbare Würde zugesprochen, die nach bisherigem Verständnis nur Individuen zukommt.

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Was die Würde verletzt, ist letztlich oft subjektiv. Schon eine kritische Äusserung kann als verletzend empfunden werden. Dies führt bereits zu Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit. Immer wieder werden Wissenschafter mit kritischen Positionen von Vorträgen ausgeladen, weil Studierende gegen vermeintliche Diskriminierungen protestieren.

Offene, kritische Debatten werden schwieriger. Diese Erfahrung machte ein Philosophieprofessor, der in einem Seminar die Frage behandelte, was unter autonomer Zustimmung zu verstehen sei. Als Einleitung in die Diskussion fragte er, ob die Zustimmung zum Tragen einer Burka eine autonome oder nichtautonome Zustimmung sei.

Kurz darauf erfuhr er, dass eine Gruppe muslimischer Studierender vom Rektorat seine Entlassung wegen «antimuslimischen Rassismus» forderte. Versuche, mit den anonymen Anklägern in Kontakt zu kommen und über das Problem zu diskutieren, scheiterten. Seitdem ist der Kollege übervorsichtig, was das Ansprechen heikler Themen angeht – obwohl genau das Aufgabe der praktischen Philosophie ist.

Paralleljustiz

Bei der gegenwärtigen Rechtslage haben solche Anklagen für die Angeklagten noch keine beruflichen Nachteile zur Folge. Doch das könnte sich bald ändern. Unter dem Motto «Starke Hochschulen! Sichere Hochschulen! Hochschulstärkungsgesetz für mehr Schutz von Studierenden gegen Machtmissbrauch» hat das Wissenschaftsministerium Nordrhein-Westfalen einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der dazu dienen soll, an den Hochschulen ein «von Übergriffen, Anfeindungen und Diskriminierungen freies Umfeld» zu schaffen.

Als sich die Verfassungsrechtler durch die Paragrafen gekämpft hatten, trauten sie ihren Augen kaum: Der Entwurf sieht eine Art von Paralleljustiz vor. Hochschulen sollen künftig die Möglichkeit haben, Hochschulangehörige, denen ein Fehlverhalten vorgeworfen wird, mit Sanktionen zu belegen, noch bevor das Untersuchungsverfahren zu einem Ergebnis gekommen ist.

Man hatte offenbar sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch vor Augen. Aber die neu vorgesehenen Sanktionsmöglichkeiten reichen weiter. Das ist einzigartig in der deutschen Hochschullandschaft. Und das geltende Recht sieht bereits Möglichkeiten vor, Machtmissbrauch und Übergriffe zu ahnden. Vor Weihnachten veröffentlichten deshalb 46 Erstunterzeichner, vor allem Verfassungsrechtler, auf der Plattform Verfassungsblog.de einen Aufruf an Ministerin Ina Brandes, den Entwurf zurückzuziehen.

«Der Gesetzentwurf verlässt den Boden des verfassungsrechtlichen Schutzes der Wissenschaft und rechtsstaatlicher Verfahrensvorgaben», heisst es in dem Protestschreiben. Der Aufruf richtet sich vor allem gegen die Möglichkeit, bei erhobenen Vorwürfen sofort Sanktionen verhängen zu können. Diese sind weitreichend: Lehrverbot, Hausverbot, Kontaktverbot, Gehaltskürzung, Zurückstufung, Entzug der Prüfungsbefugnis, Exmatrikulation.

Klima der Angst

Bei der Vision der Hochschule als «Safe Space» scheint das Ministerium eines vergessen zu haben: Menschen können nicht nur Opfer von Übergriffen, sondern auch von Falschbeschuldigungen oder übertriebenen Empfindlichkeiten werden. Und Machtmissbrauch gibt es nicht nur von Autoritäten gegenüber Abhängigen. Macht kann heute über die Opferrolle sehr effektiv ausgeübt werden. Die Berliner Grünen haben das gerade vorgeführt. Die Verfassungsjuristen fürchten, dass das Gesetz im politischen Meinungskampf instrumentalisiert wird.

Viele Formulierungen im Gesetzesentwurf sind vage, missverständlich und laden geradezu zum Missbrauch ein. Garantiert werden soll nicht nur der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, sondern auch der «soziale Geltungsanspruch» und die freie «persönliche Lebensgestaltung». Das mag gut klingen. Aber wann wird eine kritische Auseinandersetzung zur «Anfeindung», zur «Infragestellung des sozialen Geltungsanspruchs» oder zur Abwertung der «persönlichen Lebensgestaltung»? Und wer entscheidet darüber?

Es kommt oft vor, dass ein Thema oder ein Gedankenexperiment Studierende irritiert. Solche Irritationen können produktive Diskussionen und Lerneffekte auslösen. Wenn man sich als Gesprächspartner gegenseitig ernst nimmt, werden solche Diskussionen vielleicht auch hitzig und führen zu Kritik an persönlichen Haltungen. Ist es in Zukunft eine «Infragestellung des sozialen Geltungsanspruchs», wenn eine Studierende einer anderen «Überempfindlichkeit» oder «Fanatismus» vorwirft? Die Gefahr besteht. Und dann wird es solche Diskussionen nicht mehr geben.

Opfer von sexuellem Fehlverhalten und Machtmissbrauch müssen geschützt werden. Doch wenn bei rechtlichen Regelungen nicht bedacht wird, dass sie anders ausgelegt werden können, als sie gemeint sind, werden sie zur Gefahr für die Streitkultur. Das neue Gesetz könnte an den Hochschulen eine Atmosphäre schaffen, wie man sie in der DDR kannte: ständige Angst vor Beschwerden. Die Folge wäre, dass sich Lehrende in Selbstzensur üben, aus Angst, ohne Absicht gegen unklare Regeln zu verstossen und Gegenstand von Untersuchungen zu werden. – Mittlerweile haben sich mehr als zweihundert Hochschullehrer dem Protest der Juristen angeschlossen.

Maria-Sibylla Lotter ist Professorin für Ethik und Ästhetik an der Ruhr-Universität Bochum.

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