Mittwoch, Oktober 2

Die EU will den Wolfsschutz in der Berner Konvention herabsetzen – selbst die deutsche grüne Umweltministerin ist dafür.

In Bundesbern hat der Wind längst gedreht, nun kommt man auch in Brüssel langsam drauf. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) wollen den Schutzstatus des Wolfs in der Berner Konvention herabsetzen, von streng geschützt auf geschützt.

Demnach würde sich der Wolf in der gleichen Schutzkategorie wiederfinden wie etwa der Braunbrustigel, die Zwergfledermaus, der Feldhase oder das Alpenmurmeltier. Der ständige Ausschuss der Berner Konvention wird an seiner Sitzung von Anfang Dezember über den Antrag der EU-Länder befinden. Die Berner Konvention ist – salopp formuliert – das Flora-und-Fauna-Pendant zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Ein völkerrechtlicher Vertrag, der alles abdeckt und vieles offenlässt.

Bestand in zehn Jahren verdoppelt

Für die EU-Staaten habe eine Herabsetzung des Schutzstatus in erster Linie Signalwirkung, sagt Roland Norer. Er ist Ordinarius für öffentliches Recht und Recht des ländlichen Raums an der Universität Luzern. Der gebürtige Österreicher hat jüngst ein Buch herausgegeben zum Wolfsmanagement im Alpenraum. Gerichte in den EU-Ländern könnten bei künftigen Interessenabwägungen den Erhalt der Alp- und Weidewirtschaft höher gewichten als das öffentliche Interesse am Schutz einer «lediglich» geschützten Tierart, sagt der Rechtsprofessor.

Er vertritt den Standpunkt, wonach die Rechtsprechung bisher allzu rigide zugunsten des Raubtiers entschieden habe – «vor lauter Angst einer möglichen Verletzung des EU-Umweltrechts». Vor allem aber werde es für Politiker künftig nicht mehr möglich sein, die Tatsache, dass es in Europa immer mehr Wölfe gebe, weiter zu negieren.

Tatsächlich hält der EU-Rat in seinem Beschluss fest, dass sich der Erhaltungszustand des Wolfs seit Jahrzehnten positiv entwickle. Die Art habe sich auf dem gesamten europäischen Kontinent erfolgreich erholt, «wobei sich ihr Verbreitungsgebiet erheblich vergrössert hat».

Die Wolfspopulation habe sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt, von gut 11 000 Exemplaren auf rund 20 000 im Jahr 2023. Die starke Ausweitung auf dem gesamten Kontinent zeige, dass der Wolf keinen strengen Schutz brauche. Vielmehr warnt der EU-Rat vor den negativen Auswirkungen der positiven Bestandesentwicklung. «Sozioökonomische Herausforderungen» im Hinblick auf das Zusammenleben zwischen Mensch und Wolf würden zunehmen. «Dies ist insbesondere auf die Schädigung des Viehbestandes zurückzuführen, die ein beträchtliches Ausmass erreicht hat und immer mehr Regionen und Mitgliedstaaten sowie Drittländer betrifft.»

Damit kommt die EU zum gleichen Schluss wie die Schweiz. Bereits im Dezember 2022 hatten die eidgenössischen Räte beschlossen, den Wolf künftig auch proaktiv regulieren zu dürfen. Bei der bereits laufenden Wolfsregulierung müssen sich vor allem die Beamten im Bundesamt für Umwelt (Bafu) und in den kantonalen Jagdverwaltungen noch finden. Draussen, in den betroffenen Gebieten, braucht es den Staat eigentlich nur subsidiär. Allein im Wallis hatten sich Hunderte Jäger freiwillig gemeldet, um bei der Wolfsregulierung mitzuhelfen.

Die Schweiz dürfte im Ausschuss der Berner Konvention der Herabsetzung des Schutzstatus zustimmen. Sie hatte dies immer wieder verlangt. Gleichwohl weigerte sich der Bundesrat, den Austritt aus der Berner Konvention umzusetzen, obwohl die eidgenössischen Räte eine entsprechende Motion schon vor über zehn Jahren überwiesen hatten.

Von der Leyens Pony

Während sich an der nun eingeschlagenen Wolfspolitik in der Schweiz nichts ändern wird, dürften vor allem Nichtregierungsorganisationen (NGO) wie Pro Natura oder der WWF mit der Herabsetzung hadern. Selbst nachdem das Parlament die Wolfsregulierung längst beschlossen hatte, opponierten die NGO immer noch gegen Abschussverfügungen. Die Berner Konvention diente als letzter Strohhalm in einer theoretischen Debatte, die von der Realität längst überholt wurde.

Noch im Frühjahr jubelten Pro Natura, der WWF und die Gruppe Wolf Schweiz, weil die Schweiz wegen ihres «Umgangs mit dem Wolf» bei der Berner Konvention angeklagt worden sei. Die Schweiz müsse diverse Fragen bezüglich der Einhaltung des internationalen Artenschutzübereinkommens beantworten, schrieben die NGO. Solches Droh- und Druckgebaren wird seine Wirkung endgültig verlieren, wenn für die Berner Konvention der Wolf gleich schützenswert sein wird wie ein Siebenschläfer.

Der Paradigmenwechsel in der europäischen Wolfspolitik wird auf ein prominentes Rissopfer zurückgeführt. So habe sich die EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen für die Lockerung des Wolfsschutzes starkgemacht, nachdem das Raubtier vor zwei Jahren ihr Lieblingspony Dolly gerissen haben soll. «Die Bestandeszahlen des Wolfs haben sich in den letzten Jahren so entwickelt, dass diese Entscheidung aus Sicht des Naturschutzes verantwortbar und aus Sicht der Weidetierhalter notwendig ist», sagte auch Steffi Lemke zum Entscheid des EU-Rats. Lemke ist Bundesumweltministerin und Mitglied der Grünen.

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