Freitag, November 29

Geschichte eines Helfers des organisierten Verbrechens.

Samuel Okonkwo könnte ein Musterbeispiel für gelungene Integration sein. Nach seiner Flucht aus Nigeria vor 16 Jahren baut sich Okonkwo (Name geändert) in der Schweiz ein neues Leben auf. Er heiratet, lernt Deutsch, wird Vater einer Tochter und arbeitet hart, um die Familie durchzubringen. Zeitweise nimmt er zwei Jobs gleichzeitig an.

Wäre da nur nicht diese Geschichte, die 2018 ihren Anfang nahm. Denn nach einer Begegnung mit einem Unbekannten lässt er sich auf das organisierte Verbrechen ein – und kann sich nicht mehr aus den Fängen der Kriminellen befreien.

Dafür wird er einen hohen Preis bezahlen.

Ende Oktober nimmt Okonkwo – grossgewachsen, muskulös und sanfte Stimme – im Saal des Zürcher Obergerichts Platz. Zusammen mit zwei weiteren Beteiligten. Die Frage, die das Gericht zu beantworten hat, lautet: Waren die Männer willige Helfer des nigerianischen Verbrechersyndikats Black Axe?

Das unheimliche Netzwerk

Black Axe – die schwarze Axt – ist das Symbol der Neo Black Movement, einer studentischen Bruderschaft. Für Ermittler ist die Neo Black Movement aber noch etwas anderes: eine Tarnorganisation, hinter der sich ein global agierendes, gefährliches Netzwerk verbirgt. Die Black Axe ist längst nicht nur in Nigeria wegen ihrer Brutalität gefürchtet.

In den letzten Jahren ist Black Axe zu einer weltumspannenden, kriminellen Organisation aufgestiegen. Auch in der Schweiz hat sie sich ausgebreitet.

Online-Betrug wie Romance Scam gehören neben dem Menschenhandel und dem Drogenschmuggel zu den einträglichsten Finanzierungsquellen. Jürgen Stock, der scheidende Generalsekretär der internationalen Polizeibehörde Interpol, schätzt, dass das kriminelle Netzwerk jährlich Milliardenbeträge umsetzt. Gegenüber der NZZ sagte er in einem Interview: «Durch die enormen Erlöse aus den kriminellen Machenschaften hat das Netzwerk in den letzten Jahren an Macht und Einfluss gewonnen.»

International steht die Black Axe deshalb seit längerem im Fokus der Ermittler. Bei einer Interpol-Operation kam es in diesem Sommer zu 300 Festnahmen in 21 Ländern.

Zu elf Verhaftungen kam es in Deutschland. Den dortigen Ermittlern gelang es laut eigenen Angaben, die Führungsstruktur der Black Axe in Deutschland zu zerschlagen. Der bayrische Innenminister Joachim Herrmann sprach in einer Ende April verschickten Mitteilung vom bundesweit grössten Ermittlungserfolg gegen die nigerianische Mafia.

Die Ermittlungen in Deutschland zeigen, wie umfassend und gut organisiert die Kriminellen vorgehen. Und wie sie Handlanger für ihre Zwecke einspannen. Handlanger wie den 37-jährigen Samuel Okonkwo.

Eine abenteuerliche Geschichte

Okonkwo erzählt vor Gericht seine Version der Geschichte. In dieser erklärt er, weshalb er Kriminellen während zweier Jahre sein Konto zur Verfügung gestellt und für die Täter Bankverbindungen von weiteren Personen beschafft hat. Über diese Konten wurde das Geld aus dem Betrug gewaschen.

Im Mittelpunkt seiner abenteuerlichen Erzählung steht ein Mann. 2018 soll Okonkwo von dem ihm unbekannten Mann am Flughafen Zürich angesprochen worden sein. Sein Name: Kenneth. An mehr als den Vornamen könne er sich nicht erinnern. Er habe dem Fremden 1000 Franken geliehen, damit dieser nach Nigeria reisen könne. «Es ist in Afrika üblich, sich gegenseitig zu helfen.»

Kenneth habe ihm das Geld zurückgezahlt. Und ihm erzählt, dass er mit Autos handle und dafür nochmals Okonkwos Hilfe brauche – in Form seines Bankkontos. Er habe damals geglaubt, dass das Geld von Autoverkäufen stamme, sagt Okonkwo. Erst später sei er misstrauisch geworden.

In Wahrheit spielt sich laut Anklage eine ganz andere Geschichte ab. Kenneth verkauft keine Autos, er betrügt ältere, alleinstehende Frauen und Männer auf der Suche nach der grossen Liebe. Statt an einen liebevollen Partner geraten die Opfer auf den Dating-Plattformen an Betrüger, die mit gefälschten Profilen operieren. Die Täter schmeicheln sich bei den Betroffenen so lange mit Zuneigung und Liebesschwüren ein, bis diese sich ihnen anvertrauen und sich vielleicht sogar verlieben.

Die Kriminellen warten nur auf eine günstige Gelegenheit, um auf das Thema Geld zu sprechen zu kommen. Das Ziel: das Opfer so lange wie möglich ausnehmen. Einige der Opfer überweisen Tausende, manchmal Zehntausende von Franken an Personen, denen sie nicht ein einziges Mal persönlich begegnet sind.

Das Geld landet auf Okonkwos Konto in der Schweiz. Einer der Hintermänner, genannt Pamperlord, nutzt dazu seine Bankdaten. Im Sommer 2018 erfolgt die erste Einzahlung auf Okonkwos Konto. Eine Frau überweist ihm 16 400 Franken.

Zahlungen von Dutzenden Personen folgen: 8000 Franken von Roland, 10 200 Franken von Irina, 58 600 Franken von Karin und über 26 000 Franken von Laura – insgesamt sind es bis Mai 2020 fast 240 000 Franken und 20 000 Euro.

Lange bleiben die Gelder nicht auf Okonkwos Konto. Kurz nach Eingang einer Zahlung hebt er den Geldbetrag wieder ab. Er geht damit zu einem Geldtransfer-Büro oder überreicht es einem anderen Mitglied des kriminellen Netzwerks in Zürich. Dann verliert sich die Spur des Geldes.

Auch die beiden mitangeklagten Männer stellten ihre Konten für Überweisungen zur Verfügung oder organisierten Bankdaten für die Hintermänner.

Im September 2019 kommen die Ermittler Okonkwo auf die Spur. Da meldet sich einer der Betrüger bei einer Frau aus Zürich. Er gibt sich als amerikanischer Colonel aus. Doch auch die Frau, die er anbetet, ist nicht, was sie zu sein vorgibt: Sie ist eine verdeckte Fahnderin der Zürcher Kantonspolizei. Als der falsche Colonel schliesslich Geld fordert, nennt er der Ermittlerin ein Konto. Es ist jenes von Samuel Okonkwo.

Im Mai 2020 verhaftet die Polizei Okonkwo. Und alles in seinem Leben bricht zusammen.

Schlecht kaschierte Drohungen

Okonkwo will über die Männer im Hintergrund, die sich «Pamperlord», «God is great» oder «AK 4 Life» nennen, nichts wissen. Getroffen habe er einzig Kenneth.

Und Kenneth setzt Druck auf. Manchmal ruft er Okonkwo bei der Arbeit an. Er befiehlt ihm, auf seinem Konto nachzuschauen, ob Geld überwiesen worden sei. «Der Druck wurde mir zu viel. Doch wenn ich Fragen stellte, drohte mir Kenneth.» Vor dem Zürcher Obergericht beteuert er, ihm sei schon vor seiner Verhaftung klargeworden, worauf er sich da eingelassen habe. «Ich realisierte, dass es kein legales Geld war.»

Zugleich finden die Ermittler aber auch Chats, in denen Okonkwo mit Kenneth um seine Entlöhnung feilscht und in denen auch Dating erwähnt wird.

Okonkwo sagt: «Ich weiss, ich hätte zur Polizei gehen sollen, aber ich hatte Angst vor ihm.» Denn Kenneth droht, dass Okonkwos Familie in Nigeria in Gefahr sei, wenn er seinen Anordnungen nicht Folge leiste.

Es ist das alte Spiel, welches die organisierte Kriminalität beherrscht wie niemand sonst. Wer einmal in ihre Fänge geraten ist, den lassen die Verbrecherbanden nicht mehr los. Verweigern die Helfer ihre Mitarbeit, fallen schlecht kaschierte Drohungen. Wollen sie aussteigen, bringen sie sich oder ihre Familien in Gefahr.

Die Bosse wissen genau, dass Männer wie Okonkwo irgendwann verhaftet werden. Für sie sind sie nicht mehr als leicht zu ersetzende Spielfiguren im grossen kriminellen Geschäft.

Damit argumentiert auch der Verteidiger. Er sagt: «Er war leichtgläubig und geriet deshalb ins Visier der Täterschaft. Er wusste aber auch, dass er entweder mitmacht oder er und seine Familie am Leben bedroht sind. In Nigeria weiss jedes Kind, dass man sich nicht mit Black Axe anlegt.»

Er verweist auf ein grausames Video, das bei einem der beiden Mitbeschuldigten entdeckt wurde. Einem Mann wird darin in den Hals geschossen und danach mit einer Axt der Schädel zertrümmert. Aus dem Off ist ein Wort zu hören: «Axeman». So nennen sich die Mitglieder der kriminellen Bruderschaft. Es ist eine Warnung an jene, die sich gegen die Organisation stellen. Der Anwalt betont, sein Mandant sei nie Mitglied der nigerianischen Mafia gewesen.

Er habe sein Handeln zudem mehrfach bereut. Okonkwo habe aber nie genau gewusst, worum es gehe. «Er hat sein Leben lang versucht, ein ehrlicher und hart arbeitender Mann zu sein.»

«Es ist hart für Sie, aber kein Härtefall»

Das Obergericht nimmt ihm seine Ahnungslosigkeit nicht ab. Der Richter sagt bei der Urteilseröffnung: «Die Chats sprechen eine deutliche Sprache. Sie wussten, dass es um Dating ging.» Hingegen finde sich in der Kommunikation nicht der geringste Hinweis, der für die Geschichte mit dem Autohandel spreche.

Okonkwo habe bewusst mitgewirkt, befindet das Obergericht. Er habe zwar nicht im Detail gewusst, wie der Betrug abgelaufen sei. Aber, sagt der Richter: «Sie haben als Zahlstelle der Hintermänner gearbeitet. Das ist ein sehr wichtiger Tatbeitrag bei einem serienmässigen Betrug, bei dem die Vertrauensseligkeit von Menschen ausgenutzt wird.» Ohne Okonkwos Hilfe seien weder der Betrug noch die Geldwäscherei möglich gewesen.

Das Obergericht verurteilt den 37-jährigen Nigerianer zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 34 Monaten. Zehn Monate davon muss er im Gefängnis absitzen. Es spricht ihn schuldig wegen gewerbsmässigen Betrugs, bandenmässiger und gewerbsmässiger Geldwäscherei.

Auch die beiden Mitangeklagten verurteilt das Gericht: zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten und einem Landesverweis von sieben Jahren im einen Fall, zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 16 Monaten im anderen.

Auch bei Okonkwo spricht das Obergericht einen Landesverweis aus – über fünf Jahre. Für den Richter ist klar: «Es ist ein schweres Delikt, Sie haben das lange und intensiv gemacht.» Okonkwo habe sich zwar gut in der Schweiz eingelebt und sich auch beruflich integriert. «Es ist hart für Sie, ausgewiesen zu werden, aber ein persönlicher Härtefall ist es nicht. Bei solchen Delikten besteht ein grosses öffentliches Interesse an der Bekämpfung.»

Okonkwo nimmt das Urteil konsterniert hin. Er hat auf Milde gehofft. «Ich befinde mich in einer Situation zwischen Leben und Tod. Ich habe mich integriert und in den letzten sechzehn Jahren viele Freunde in der Schweiz gewonnen. Und ich habe in all dieser Zeit immer gearbeitet.»

Doch das nützt ihm nichts. Auch wenn allen im Gerichtssaal klar ist: Samuel Okonkwo ist bloss ein kleines Rädchen im Getriebe des organisierten Verbrechens. Das Geschäft läuft auch ohne ihn weiter. Seine Aufgabe im kriminellen Netzwerk haben schon die nächsten Männer und Frauen übernommen.

Urteile SB 230 189, SB 230 191 sowie SB 230 192 vom 21. 10. 24, noch nicht rechtskräftig

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