Ist ein zwei Kilometer langer Schulweg für einen übergewichtigen Knaben zumutbar? Ein Fall für das Gericht.

Als die Eltern eines zwölfjährigen Buben im Bezirk Winterthur im Mai 2024 ein Schreiben von der Schulleitung erhalten, werden sie hellhörig. Der Lehrer des Sohns verlasse die Schule, heisst es darin. Deshalb würden alle Kinder seiner Klasse nach den Sommerferien einem anderen Schulhaus zugeteilt.

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Das wollen die Eltern nicht akzeptieren, denn der Schulweg des Fünftklässlers würde sich auf rund zwei Kilometer verlängern – eine viel zu grosse Distanz, finden die Eltern. Sie verlangen deshalb, den Buben in eine Schule am bisherigen Standort umzuteilen oder einen Gratistransport für ihn zu organisieren. Dafür gehen die Eltern bis vor das Verwaltungsgericht.

Die Justiz muss sich immer wieder mit Schulhauszuteilungen befassen. Mal gehen die Eltern vor Gericht, weil ein Mädchen seine Freundinnen aus der Primarschule nicht mehr sehen kann. Mal dürfen Zwillinge nicht mehr gemeinsam die Klasse besuchen und fehlen schliesslich im Unterricht. Der Klassiker, warum Eltern vor Gericht ziehen, ist aber die Länge des Schulwegs.

Im vorliegenden Fall wollen die Eltern ihrem Sohn den längeren Schulweg nicht zumuten, weil er 35 bis 40 Minuten unterwegs wäre. Sie haben sogar ausgerechnet, mit welcher Geschwindigkeit: mit 3 bis 3,5 Kilometern pro Stunde.

Auf der langen Strecke müsste der Schüler «erhebliche Beschwerden in den Füssen, den Knien, der Hüfte und im Nacken» in Kauf nehmen, argumentieren die Eltern. So ist es im jüngst publizierten Urteil des Verwaltungsgerichts festgehalten. Der Bub leide ausserdem an einer Pollenallergie.

Schmerzen beim «Pedalentreten»

Die Eltern legen als Beleg einen Bericht des Kinderarztes vor, wonach der Bub «einige orthopädische Probleme» habe und «aus gesundheitlichen Gründen» einen zwei Kilometer langen Schulweg nicht meistern könne.

Velofahren will der Bub wegen «mangelhafter Fahrradkünste» und Schmerzen beim «Pedalentreten» nicht, zudem habe er Angst vor Stürzen.

Der Leiter der Kinderorthopädie des Kantonsspitals Winterthur hält in zwei weiteren Berichten fest, dass beim Zwölfjährigen Nackenschmerzen und eine leichte Adipositas diagnostiziert worden seien. Zudem bestünden «eine gewisse grobmotorische Entwicklungsverzögerung» und eine «Kraftminderung sowie allenfalls eine leichte Kopfschiefhaltung».

Die Nackenschmerzen seien wohl erklärbar durch die «sehr schlechte Schulterkraft» und das lange Tragen eines Rucksacks. Sowohl der Mutter als auch ihrem Sohn sei klar, dass mehr Bewegung wichtig wäre, um Gewicht zu verlieren, doch der Schulweg sei eine grosse Belastung.

Die Schule selbst hatte die Zuteilung des Schülers insbesondere damit begründet, dass die Kinder der betroffenen Klasse – es sind insgesamt sechs – mit der gewählten Lösung weiterhin gemeinsam eine Klasse besuchen könnten und nicht auseinandergerissen würden. Darum hätten die Eltern dreier betroffener Kinder explizit gebeten.

Das Verwaltungsgericht kommt zum Schluss, dass der längere Schulweg durchaus machbar ist für den Zwölfjährigen. Eine fachärztliche Diagnose, die dagegenspreche, liege nicht vor, den Bericht des Kinderarztes hält das Gericht für «nicht aussagekräftig». Aus den jüngeren Berichten gehe lediglich hervor, dass das lange Tragen des Rucksacks die Nackenschmerzen verschlimmert habe.

Von den «erheblichen Beschwerden» in den Füssen, den Knien und der Hüfte, die die Eltern vor Gericht schilderten, sei in den Berichten keine Rede. Auch nicht davon, dass dem Buben das Fahrradfahren aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich sei oder Schmerzen bereite.

Darüber, ob die Nackenschmerzen auf den längeren Schulweg zurückzuführen seien, habe der Facharzt nur spekulieren können. Denn der Bub hat den neuen Schulweg nur am ersten und zweiten Schultag zu Fuss zurückgelegt und wird seither von der Mutter gefahren.

Zweifel an der Angst vor dem Velofahren

Das Argument, der Bub habe grosse Angst vor dem Velofahren, lässt das Gericht nicht gelten. Es bezweifelt gar, ob dem überhaupt so ist, denn der Schüler hatte vor drei Jahren an einem Velo-Geschicklichkeitsparcours teilgenommen. Der Schulweg des Buben weise ausserdem «keinerlei Schwierigkeiten» auf. Und die Klassenlehrerin habe sich bereit erklärt, ihn bei seinen «Velokompetenzen» zu unterstützen.

Zu Recht habe die Schule darauf hingewiesen, dass es für die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes von grosser Bedeutung sei, den Schulweg gemeinsam mit den Kameraden zurückzulegen. Die Primarschule biete ausserdem einen Mittagstisch an, so dass der Bub den Schulweg nicht zwingend viermal täglich auf sich nehmen müsse.

Das Verwaltungsgericht lehnt die Beschwerde der Eltern ab. Die vorgebrachten Gründe reichten nicht, um den Schulweg als unzumutbar einzustufen, heisst es im Urteil. Blosse «Wünsche und Ängste» seien nicht massgebend.

Die Eltern müssen nun die Gerichtsgebühren von total 2170 Franken zahlen. Der Entscheid ist rechtskräftig, das heisst, die Eltern haben ihn akzeptiert.

Ob der Bub nun zu Fuss in die Schule geht oder weiterhin mit dem Auto gefahren wird, geht aus dem Urteil nicht hervor.

Urteil VB.2024.00474 vom 21. 11. 2024, rechtskräftig

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