Samstag, November 23

Welches Auto würde sich für einen Marathon quer durch die Alpen besser eignen als eine Alpine? Erst recht in der GT-Version. Schade nur, wenn das Wetter nicht will.

Es ist Sonntagabend 19 Uhr. In Sestriere nahe der italienischen Grenze zu Frankreich zieht sich das Leben aus den Strassen zurück. Im Ort neunzig Minuten nordwestlich von Turin kehrt die Abendruhe ein, und selbst die letzten Biker steigen so langsam vom Sattel. Nur ein paar Wohnmobile ringen kurz vor der Durchfahrt der Tour de France um die besten Plätze. Aber auch da sitzen die Insassen längst auf ihren Klappstühlen, löffeln ihren Eintopf und halten vor allem die Strasse frei.

Nur hier bei uns im Auto denkt keiner an Feierabend, für uns fängt das Abenteuer jetzt erst an. Denn hier auf der Passhöhe in Sestriere beim Schild mit den 2035 Höhenmetern beginnt gleich eine anspruchsvolle Ausfahrt. 24 Alpenpässe in 24 Stunden haben wir uns vorgenommen und uns dafür ein Auto ausgesucht, das besser passt als jedes andere: die Alpine A110. Und das liegt nicht allein am Namen der sportlichen Renault-Tochter, die Jean Rédélé vor fast siebzig Jahren gründete, nachdem er 1954 den Alpenpokal gewonnen hatte. Seine Automarke etablierte er danach just hier in den Bergen als ernsthaften Herausforderer für die sportliche Konkurrenz.

Auch der Zuschnitt des Zweisitzers, mit dem Renault 2017 an Rédélés Erbe anknüpfte, passt perfekt: kurze Karosserie, knackige Abstimmung, Leichtbau und das Herz am rechten Fleck – also ein Mittelmotor direkt hinter den beiden Sitzen. Und dass der nur vier Zylinder und 1,8 Liter Hubraum hat, das hat man in den Alpen schnell vergessen. Denn für die allfälligen Zwischensprints am Ende der vielen Kehren sind auch 300 PS Leistung und 340 Nm Drehmoment mehr als ausreichend, erst recht bei einem Leergewicht unter 1200 Kilogramm. Mehr als einmal pro Pass kann man so den Sprintwert von 4,2 Sekunden nachempfinden, während wir die Höchstgeschwindigkeit von 260 km/h nie und nirgends erreichen werden, wenn wir keinen vorzeitigen Abbruch unserer Alpenrunde durch die Gebirgsgendarmerie riskieren wollen.

Und es gibt noch ein gutes Argument für die Alpine: Bei aller Power sieht das blau lackierte Coupé nicht so sehr nach Poser-Auto aus, dass es überall anecken oder die Polizei auf den Plan rufen würde. Im Gegenteil: Die Tour-de-France-Fans jubeln dem französischen Flitzer fast genauso lautstark nach wie ihren Helden auf den Rennrädern. In den Orten bleibt der Vierzylinder so leise, dass die Anwohner höflich nicken, statt grimmig zu schauen, und bei den Ordnungshütern fährt der Blaumann unter dem Radar, ganz egal, ob Carabinieri, Gendarmerie oder Kantonspolizei. Und ganz nebenbei bietet zumindest die GT-Version so viel Restkomfort, dass man es darin auch einmal 24 Stunden am Stück aushalten kann – mit sinnvollen Verschnaufpausen.

Erste Pässe mit viel Schwung

Noch ist von Ermüdung aber keine Spur, sondern freudige Erregung ist das vorherrschende Gefühl, als die Alpine aus Sestriere heraus in den Alpenabend fährt. Col de Montgenèvre (1850 Meter) und Col du Lautaret (2058 Meter) – in schneller Folge haken wir das erste Pässe-Paar ab. Und schon treiben wir den Gipfelstürmer auf den 2646 Meter hohen Col du Galibier hinauf, an dem sich bei der Tour de France die Spreu vom Weizen trennt. Die Alpine allerdings wird da erst so richtig warm, umso mehr, als jede Stunde später am Abend auch weniger Verkehr den Fahrfluss stört und obendrein das Alpenglühen das Panorama perfektioniert.

Col du Télégraphe (1570 Meter), Col de la Madeleine (1933 Meter), Col du Petit-Saint-Bernard (2188 Meter) – im letzten Licht des Tages stürmt der flache Zweisitzer die nächsten Serpentinen hinauf, bevor die Dunkelheit und die bisweilen tiefhängende Wolkendecke zur Mässigung zwingen und sich so ganz langsam auch der erste Anflug von Müdigkeit meldet.

Doch die verfliegt, spätestens wenn man am Lenkrad die Gänge des Doppelkupplungsgetriebes von Hand durchschaltet und so noch engagierter durch die Kehren schneidet. Ausserdem warten schliesslich noch der 1971 Meter hohe Colle San Carlo und vor allem der Grosse Sankt Bernhard (2469 Meter) mit vielen belebenden Biegungen, bevor es hinunter ins Wallis geht und zumindest der Beifahrer und dessen Magen kurz ein wenig Ruhe finden.

Doch was eigentlich als Transferetappe und Erholung gedacht war, erweist sich als grosse Ernüchterung. Denn kurz vor der Halbzeit tauchen hinter Visp die ersten Schilder auf, die vom Unheil künden. Starkregen hat in den vergangenen Tagen zahlreiche Erdrutsche ausgelöst, und Bäche sind zu reissenden Strömen geworden, die gefährlich an den Brückenpfeilern nagen. Auch wenn die Wintersperren längst aufgehoben sind in diesen Sommertagen, zeigen die Pass-Tafeln deshalb durchweg Rot, und die Route ist plötzlich dicht.

Das Wetter zwingt zum Routenwechsel

Anstatt den neuen Tag mit einem Kurvenkarussell sondergleichen zu geniessen, in kurzer Zeit vier Pässe einzusammeln, das legendäre Foto vor dem Hotel Belvedere am Furka zu schiessen und endlich wieder über die alte Tremola im Morgengrauen auf den Gotthard zu jagen, zwingen uns die Unwetterschäden zum Umkehren. In unserem persönlichen 24-Stunden-Rennen beginnt so etwas wie eine Safety-Car-Phase mit Planungsumstellung, die man spätestens auf dem Autozug zurück nach Italien wörtlich nehmen kann. Immerhin gibt es zum Frühstück im Hinterland des Lago Maggiore einen ordentlichen Cappuccino samt Spremuta und Cornetto statt draussen nur Café crème und ein trockenes Gipfeli.

Das 24er-Ziel ist da schon nicht mehr zu schaffen. Zumindest nicht ohne Selbstbetrug auf Sackgassen und Stichstrassen, die man im weitesten Sinn als Pässe zählen könnte. Doch die Alpine läuft zu rund, als dass wir aufgeben wollen. Jede Kurve ist ein Genuss – und ein paar Pässe haben wir ja noch vor uns. Also geht es an den oberitalienischen Seen vorbei, und der Filzstift darf noch ein paar Striche auf dem Kotflügel machen: Parallel zum Bernina-Express auf seinem Weg nach St. Moritz gleiten wir hinauf zur Forcola di Livigno auf 2315 Metern, dann hinunter in das gleichnamige Hochtal, biegen rechts ab zum Passo d’Eira (2208 Meter) und zum Passo di Foscagno (2291 Meter), bevor die Tour auf dem Gavia nicht nur geografisch ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht.

In den Alpenführern analog den schwersten Skipisten als «schwarzer Pass» markiert, schlängelt sich hier kaum mehr als ein asphaltierter Feldweg auf 2652 Meter Höhe, die Leitplanken sind allenfalls optische Barrieren, und die Ausblicke sind dafür umso atemberaubender.

Aber die Uhr läuft unerbittlich weiter. Ein paar Pässe sollten in den letzten zwei Stunden schon noch drin sein. Erst recht weil es am Ende auf jeden Fall bis zum bei motorisierten Gipfelstürmern vielleicht berühmtesten Pass reichen soll. Den vergleichsweise langweiligen Tonale mit seinen 1884 Metern nehmen wir deshalb im Vorbeifahren und sind schneller wieder unten, als dass wir eine Antwort auf die Frage fänden, warum Alfa Romeo sein kleines SUV ausgerechnet nach diesem öden Rücken benannt hat.

Das Stilfser Joch als krönender Abschluss

Auch den Gampenpass mit seinen 1518 Metern nimmt man kaum als solchen wahr, so flach sind die Übergänge und so dicht ist der Wald am Scheitelpunkt. Doch dann sind wir plötzlich auf der Rampe, die hinauf zum Stelvio führt. 48 Kehren auf kaum zehn Kilometern nimmt die Alpine noch einmal bis auf 2757 Meter hinauf, und der krönende Abschluss schmeckt wie der Kräuterschnaps, in dem sich alle Aromen dieser Alpenrunde vereinen: spektakuläre Strassen, Kurven zum Niederknien, Längs- und Querbeschleunigung bis hart an den Schwindel und Ausblicke, bei denen einem die Augen überlaufen.

24 Stunden: Selten hat sich das so kurz angefühlt. Und wenn da zwischendrin einmal ein Anflug von Anstrengung oder gar Müdigkeit gewesen sein sollte, dann sind die beim letzten Gipfelschluck in der urigen Tibet-Hütte oberhalb der Südrampe endgültig verflogen.

Nach 24 Stunden sind 16 Striche auf dem Kotflügel, der Bordcomputer zeigt 1082 Kilometer Fahrstrecke, die Tracking-App weist 20 053 Höhenmeter aus. Und wie viele Kurven wir seit Sestriere gefahren sind, wissen nur die Götter der Querdynamik. 16 Pässe in 24 Stunden – das selbstgesteckte Ziel haben wir damit zwar verfehlt, aber wir sind ihm unter den widrigen Unwetterbedingungen näher gekommen als erwartet.

Die Alpenfahrt wurde durch Alpine unterstützt.

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