Mit Neuproduktionen von Mozarts «Don Giovanni» und Gabriel Faurés «Pénélope» feiern die Münchner Opernfestspiele ihr 150. Bestehen. Was ist die Bilanz?
Manche Legenden halten sich hartnäckig. Eine besagt, dass die Bayreuther Wagner-Festspiele das erste Opern-Festival gewesen seien. Der Startschuss fiel jedoch 1876 und damit ein Jahr nach der ersten Edition der Münchner Opernfestspiele. Während also in Bayreuth 2026 das 150-Jahr-Jubiläum ansteht, wurde an der Isar bereits in diesem Jahr gross gefeiert. Für den Start der Münchner Opernfestspiele sollte ursprünglich in München für Wagner ein Festspielhaus gebaut werden. So wollte es jedenfalls der Bayern-König und Wagner-Verehrer Ludwig II.
Als die Bevölkerung und die Regierung nicht mitmachen, zieht Wagner bereits 1866 nach Bayreuth weiter, wo er sein Festspielhaus errichten lässt. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass schon bei der ersten Ausgabe der Münchner Opernfestspiele 1875 gleich drei Wagner-Opern präsentiert wurden. Was München und Bayreuth jedoch trennt, ist der konkrete Festspiel-Gedanke. In Bayreuth möchte der einst in die Schweiz geflohene Revolutionär Wagner keine höfische Repräsentanz kultivieren, sondern eine Art «Wir-Gefühl» zelebrieren.
Wir-Gefühl im Sommerschlussverkauf
Gleichgesinnte sollen Teil eines Gemeinschaftserlebnisses werden. Dagegen möchten die Münchner Opernfestspiele der krönende Abschluss der Spielzeit an der Bayerischen Staatsoper sein, und dazu werden Höhepunkte des Repertoires geballt wiederholt. Ein «Sommerschlussverkauf zu erhöhten Preisen», wie vor rund siebzig Jahren der Musikkritiker Walter Panofsky stichelte? Nicht ganz, denn in der Regel werden auch zwei Neuproduktionen geboten, darunter bisweilen Uraufführungen oder Opern-Raritäten.
Dieser Spagat zwischen Tradition und Moderne, Vertrautem und Unbekanntem gehört genauso zur DNA der Münchner Opernfestspiele, und die beiden Neuproduktionen der diesjährigen Jubiläumsausgabe knüpften hier gewissermassen an. Zur Eröffnung gab es einen streitbaren «Don Giovanni» von Wolfgang Amadeus Mozart. Als finale Premiere folgte nun, traditionell im Prinzregententheater, mit «Pénélope» von Gabriel Fauré ein seltener Dreiakter.
Mit dieser Münchner Erstaufführung wurde zugleich der 180. Geburtstag des französischen Komponisten gewürdigt, und dieses Geburtstagsgeschenk stellte den neuen «Don Giovanni» in den Schatten – allein musikalisch. Unter der Leitung von Susanna Mälkki machte das Bayerische Staatsorchester hörbar, wie sehr diese 1913 in Monte-Carlo uraufgeführte Oper in Teilen an Wagners Leitmotivik anknüpft und gleichzeitig – im Vergleich zu Claude Debussy – ganz eigene Wege beschreitet. Fauré setzt nicht auf Kontraste und Effekte, sondern auf höchst differenzierte Schattierungen.
In diesen luzid-fragilen, unerhört farbenreichen Wunderklängen wird zugleich deutlich, warum Fauré diese Oper ein «Poème lyrique» nannte. Es sind weite, melodische Bögen, die Fauré spannt, und in diesem Lyrismus verwebt sich das Ariose ganz organisch und unmerklich mit rezitativischen Elementen. In München verlebendigte die durchwegs erstklassige Besetzung diesen besonderen Vokalstil mustergültig, allen voran die Mezzosopranistin Victoria Karkacheva als Penelope und der Tenor Brandon Jovanovich als Odysseus.
Was die beiden Stimmen eint, ist ein betörend schillerndes Piano bei gleichzeitiger Ausdruckskraft – ein perfektes Profil für das Changieren zwischen dem Lyrischen und dem Dramatischen. Für ihr Staatsopern-Debüt hat wiederum Andrea Breth ihre Stärken als Regisseurin ausgespielt. Sie vertraute der Musik Faurés und konnte mit dem Bühnenbildner Raimund Orfeo Voigt veritable Seelenräume erschaffen, die tief in die Essenz des Stoffes wirkten. Seit langer Zeit wartet Penelope vergeblich auf die Rückkehr ihres Odysseus und wird von Männern übergriffig umworben.
Sie erwarten, dass sie sich endlich für einen Mann entscheidet, doch Penelope bleibt standhaft. Dieses Warten wird bei Breth zu einer Studie von Langsamkeit und Zeit. Die Bewegungen der Protagonisten sind konsequent entschleunigt, und wenn Odysseus auf der Bühne erscheint, wird er von seinem Alter Ego als Kind gespiegelt. Die Zeitebenen verwischen, und das alles entwickelt eine Dramatik, die ganz ohne Effekte auskommt. Selbst wenn am Ende die Freier auf Befehl von Odysseus buchstäblich abgeschlachtet werden, hält sich die Regie insgesamt zurück.
Auch der finale Siegesjubel in C-Dur hinterlässt in München einen schalen Nachgeschmack, und dazu verzahnen sich Regie und Dirigat zu einer vollendeten Einheit. Um den Jubel zu unterwandern, lässt Mälkki kein «Zuviel-Dur» thronen, sondern kreiert mit dem Staatsorchester ein gedämpftes, verdüstertes Schatten-Dur: umso subversiver die Skepsis im Jubeltaumel. Mit dem neuen «Don Giovanni» hatte auch der Regisseur David Hermann sein Staatsopern-Debüt. Doch während Breth konzis in das Sein und Wollen von Faurés «Pénélope» führt, rückt Hermann einen Nebenaspekt in den Fokus.
Im finalen Quintett wird von Pluto und Proserpina gesungen. Sie darf einmal im Jahr der Hölle entfliehen, um Ferien im Diesseits zu machen. Daraus schnürt Hermann seine Geschichte. In dieser Lesart ist Don Giovanni kein Bösewicht, sondern ein vom Bösen Besessener. Das verdeutlicht auch eine stumme Proserpina, die sich zu ihm gesellt. Um das Konzept zu erklären, werden in der Ouvertüre Texte eingeblendet: ein Nachhilfeunterricht in antiker Mythologie. Zwar wird das alles konsequent durchgeführt, gewürzt mit witzigen Gender-Gags und neuen Beziehungsmustern, trägt aber nicht den fast vierstündigen Abend.
Starkes Finale
Dass dieser «Don Giovanni» derart lange dauert, war an der Premiere auch den bisweilen gedehnten Tempi des Staatsopern-Generalmusikdirektors Vladimir Jurowski geschuldet. Er hat überdies die Partitur zusätzlich um weitere Musik ergänzt, manche von ihm selbst komponiert. Unter Jurowskis Leitung changierte das Bayerische Staatsorchester indifferent zwischen historisch informiert und romantisch, an der Premiere zudem stellenweise dynamisch übersteuert, was dem Gesang auf der Bühne nicht half.
In der Titelpartie debütierte der 32-jährige Konstantin Krimmel. Sein lyrisch-heller Bariton passte stimmlich perfekt zu der Personenführung. Als Leporello konnte Kyle Ketelsen punkten, und auch Samantha Hankey vermochte als Donna Elvira einzunehmen. Sonst aber blieb die Besetzung an der Premiere insgesamt hinter den Erwartungen zurück, ganz anders die Münchner «Pénélope»: absolut hörens- und sehenswert.