Die Unionsparteien in Deutschland stellen ihr Wahlprogramm vor. Trotz sicherheitspolitischer Krisenzeiten ist es in erster Linie ein Wirtschaftsprogramm. Zur Verteidigung finden sich allenfalls vage Andeutungen.
Vor einigen Tagen war der Kanzlerkandidat der Unionsparteien zu Gast bei der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin (BAKS). Friedrich Merz hielt dort einen Vortrag über seine sicherheitspolitischen Vorstellungen für die Zeit nach einer möglichen Regierungsübernahme im nächsten Jahr. «Wir alle haben uns vor zehn Jahren über den Charakter des russischen Krieges in der Ukraine geirrt», sagte er. Er wolle nicht, dass «wir in zehn Jahren noch einmal auf einen schweren Irrtum zurückblicken» müssten.
Merz schloss daraus eine wesentliche Konsequenz. Deutschland solle sich verteidigen können, um sich nicht verteidigen zu müssen. Stärke, sagte er, schrecke Aggression ab. Schwäche lade Aggression ein. «Ich will, dass Deutschland und Europa stark sind.» Auch für die Situation der Ukraine formulierte er ein Ziel: «Die Ukraine muss den Krieg gewinnen und Russland muss ihn verlieren.» Der bisherige Kanzler Olaf Scholz von der SPD hatte immer nur davon gesprochen, dass die Ukraine den Krieg nicht verlieren dürfe.
Die verteidigungs- und sicherheitspolitischen Vorstellungen, die der Kanzlerkandidat der Union in den anderthalb Stunden bei der BAKS vorstellte, wären für Deutschland enorm folgenreich. Im der NZZ vorliegenden Wahlprogramm von Christlichdemokraten und Christlichsozialen finden sie sich allerdings kaum wieder. Es soll zwar erst am Dienstag präsentiert werden, doch bereits im Entwurf entsteht der Eindruck, dass die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik eine eher nachrangige Rolle im Wahlkampf und im Fall einer möglichen Regierungsübernahme durch die Union spielen soll.
Das Wahlprogramm ist demnach vor allem ein Wirtschaftsprogramm. Auf den knapp 80 Seiten geht es viel um Steuern- und Abgabensenkungen, um mehr Wohlstand für die Bürger, um Entlastung der Unternehmen. Deutschland, heisst es einleitend, brauche wieder «eine Politik für die hart arbeitende Bevölkerung». Die Union nennt das «eine Agenda für die Fleissigen». Leistung müsse sich wieder lohnen.
Erhöhung der Pendlerpauschale
Dazu soll die Einkommensteuer «angepasst» werden, um Menschen mit mittleren und niedrigen Einkommen «zu entlasten». Die Sozialversicherungsbeiträge sollen sich «wieder auf die 40 Prozent hinbewegen» (momentan liegen sie bei fast 44 Prozent). Ausserdem sollen Zuschläge für Überstunden bei Vollzeitarbeit steuerfrei gestellt, die Pendlerpauschale für Berufstätige erhöht und das Arbeitsrecht modernisiert werden. Letzteres heisst, dass in Firmen künftig statt der täglichen eine wöchentliche Höchstarbeitszeit gelten solle.
Wahlprogramme haben es an sich, dass sie dem Wähler vor allem Versprechungen und Ankündigungen machen. Von Zumutungen und Belastungen steht kaum etwas darin. So ist es auch beim Unionsprogramm. Bei der Wirtschaft setze sie auf «Wachstum und Investitionen», die etwa durch eine Senkung der Steuerbelastungen für Unternehmen auf maximal 25 Prozent, die Abschaffung des Solidaritätszuschlags und eine Verbesserung von Abschreibungen und Verlustrechnungen erreicht werden sollen. Zudem plant die Union ein «Entrümpelungsgesetz», um Bürokratie abzubauen. Das nationale Lieferkettengesetz soll abgeschafft werden.
Wohltaten werden auch an anderer Stelle versprochen. Am Renteneintrittsalter werde festgehalten, Rentenkürzungen seien nicht beabsichtigt. Es solle eine «Aktivrente» eingeführt werden. Das heisst, wer über das gesetzliche Rentenalter hinaus weiterarbeite, bekomme sein Gehalt bis zu 2000 Euro im Monat steuerfrei. Ausserdem plant die Union mit einer «Frühstart-Rente» und will dazu für alle sechs- bis 18-Jährigen mit 10 Euro im Monat die individuelle und kapitalgedeckte private Altersvorsorge staatlich fördern. Rentner sollen künftig im «Regelfall» keine Steuererklärung mehr machen müssen.
Auch im Restaurant soll der Bürger künftig «entlastet» werden. Zuletzt hatten Ökonomen zwar scharfe Kritik an den Überlegungen der bisherigen Regierung geübt, die Umsatzsteuer auf Speisen in der Gastronomie bei sieben Prozent zu belassen, wie es in der Corona-Pandemie der Fall war. Nun heisst es im Unionsprogramm: «Wir reduzieren die Umsatzsteuer auf Speisen in der Gastronomie auf sieben Prozent». Derzeit beträgt der Mehrwertsteuersatz dort wieder 19 Prozent.
Volle Steuervorteile für Bauern
Auch ihr über viele Jahrzehnte klassisches Wählermilieu der Bauern möchte die Union bedienen. Die Steuerbegünstigung von Agrardiesel soll wieder vollständig eingeführt werden. Die bisherige Regierung hatte sie teilweise abgeschafft. Auch bei den Energiekosten soll es Entlastungen geben – für die gesamte Bevölkerung. Dazu will die Union Stromsteuer und Netzentgelte senken sowie Netze, Speicher und «alle Erneuerbaren» ausbauen. An der Kernenergie «als Option» werde festgehalten und die Wiederaufnahme des Betriebs zuletzt abgeschalteter Kernkraftwerke geprüft.
Mehrfach hatte die Union in den zurückliegenden drei Jahren versprochen, im Fall eines Machtwechsels einige rot-grün-gelbe Gesetze rückgängig machen zu wollen. Diese Ankündigung findet sich nun auch im Wahlprogramm. So solle sowohl das Heizungsgesetz («Mit dem Reinregieren in den Heizungskeller muss Schluss sein») als auch das Selbstbestimmungsgesetz («Das Erziehungsrecht der Eltern darf nicht untergraben werden») und das Cannabis-Gesetz («Schützt Dealer und setzt Jugendliche dem Drogenkonsum aus») wieder abgeschafft werden.
Schwarz auf weiss findet sich auch die Ankündigung, das «Bürgergeld» zu streichen und durch eine «neue Grundsicherung», verknüpft mit einem «Vermittlungsvorrang», zu ersetzen. Das bedeutet: Wenn jemand arbeitsfähig ist, aber nicht bereit ist, zu arbeiten, gilt er als nicht bedürftig. Dann müsse die Grundsicherung komplett gestrichen werden, heisst es in dem Unionsprogramm.
Ob CDU und CSU alle «Entlastungen», Versprechen und Vorhaben ihres Wahlprogramms umsetzen können, hängt an mindestens zwei Faktoren: an den künftigen Koalitionspartnern und am Geld. Die künftigen Koalitionspartner könnten etwa entscheidend dabei sein, ob der Plan der Union zum Stopp der illegalen Migration gelingt. Die Vorhaben hier dürften sowohl mit Grünen als auch mit Teilen der Sozialdemokraten, zwei potenziellen Koalitionspartnern, kaum machbar sein.
Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan
So sollten etwa weitere Länder zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt und Abschiebungen auch wieder nach Syrien und Afghanistan stattfinden. Der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte solle ausgesetzt und alle freiwilligen Aufnahmeprogramme beendet werden. Jeder, der in Europa Asyl beantrage, solle in einen «sicheren Drittstaat überführt werden, dort sein Verfahren durchlaufen und dort bei Bedarf Schutz finden».
Schliesslich finden sich tief in der zweiten Hälfte des Wahlprogramms auch ein paar Punkte zu den Themen, die der Union in der Einleitung zum Wahlprogramm ganz besonders wichtig sind: Die «Sicherung des Friedens in Freiheit». Kurz und vage ist die Rede von einer «aufwachsenden Wehrpflicht», vom Zwei-Prozent-Ziel in der Nato («mindestens»), von der «Stärkung» der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie sowie von der Einführung eines Nationalen Sicherheitsrates beim Bundeskanzleramt.
Bei der Bundesakademie für Sicherheitspolitik hatte Kanzlerkandidat Friedrich Merz davon gesprochen, dass die zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts nur die Untergrenze der Ausgaben für die Bundeswehr seien. Das sind nach derzeitiger Lage etwa 80 Milliarden Euro. Der reguläre Wehretat für 2024 liegt bei etwa 52 Milliarden Euro. Diese Mehrausgaben für Verteidigung müssen künftig ebenso aus dem laufenden Bundeshaushalt kommen wie viele andere Wohltaten.
Wie die Union das bei gleichzeitiger Senkung der Steuern und Abgaben finanzieren will, dazu äussert sie sich nicht. In ihrem Wahlprogramm steht nur, was sie nicht will: keine Abwehr von der Schuldenbremse.

