Dienstag, Oktober 1

Neben der Rechtsform ändert die linke Gruppe auch ihren Namen. Treiber der Reorganisation war nicht zuletzt ein Finanzinstitut.

Die AL im Kanton Zürich ist eine originelle politische Gruppierung. Weniger wegen ihres Programms, das ist stramm links und antikapitalistisch, sondern wegen ihrer Organisationsform. Die AL sitzt zwar in Fraktionsstärke im Kantonsparlament, hat aber nicht einmal eine Kantonalpartei. Es gibt auch keine Sektionen, wie sie die grossen Parteien kennen.

Besonders unkonventionell war bis jetzt die Winterthurer AL unterwegs. Die Gruppe war, obwohl im Stadtparlament vertreten, nur eine lose Zusammenkunft Gleichgesinnter. Es gab weder einen Vorstand noch Mitglieder. Jeder, der wollte, konnte an Versammlungen das Wort ergreifen und mitbestimmen.

Doch mit diesem Jekami ist es nun vorbei. Die AL Winterthur wird offiziell zur Partei. Und Parteien sind in der Schweiz Vereine.

Die Winterthurer AL, diese anarchistische Avantgarde, arbeitet künftig also mit Präsidium, Paragrafen und Protokollen. Sie ist nicht anders organisiert als die Damenriege und der Rotary-Club.

Jene, welche diese Änderung angestossen haben, sind sich der Ironie durchaus bewusst. «Wir verstehen das Wort ‹Alternative› ja nicht nur als Abgrenzung zur SP, sondern auch als Identifikationsmerkmal», sagt Roman Hugentobler.

Er sitzt für die AL im Winterthurer Stadtparlament und ist Co-Präsident des neuen Vereins. «Wir kommen aus der alternativen Szene, wir sind staats- und hierarchiekritisch, egalitär und im Grundsatz anarchistisch.»

Also sehr vieles, was ein Verein nach Art. 60 ff. ZGB genau nicht ist.

Doch die lockeren Strukturen der AL seien seit Covid noch lockerer geworden, sagt Hugentobler. «Wir haben die Kontakte zu Aktivistinnen und Aktivisten, die Teil der AL sein wollen und auch für die AL arbeiten wollen, etwas verloren», sagt er. «Wir hoffen, dass wir mit mehr Struktur auch wieder mehr politisch Interessierte dazu bringen, mit uns in Winterthur etwas zu verändern.»

Und sowieso: Strukturen habe es trotz aller Anarchie auch in der Winterthurer AL immer gegeben. Diese seien einfach inoffiziell gewesen, sagt Hugentobler. «Medienanfragen etwa gelangten einfach an die Parlamentsmitglieder, weil diese von Amtes wegen eine Funktion innehatten.»

Die Umorganisation hatte neben dem personellen noch einen regulatorischen Grund, der überhaupt nichts mit Politik zu tun hat: Die Postfinance verlangt von Gruppierungen, die bei ihr ein Konto haben, die Statuten sowie ein Wahlprotokoll, aus dem die Verantwortlichen ersichtlich sind. Und das kann nur liefern, wer ein Verein ist.

An der Spitze stehen gleich vier Co-Präsidien

Eine Organisation, in der von oben diktiert wird, wohin die Partei geht, soll aber auch die neue AL nie werden. Man wolle möglichst egalitär bleiben, das sei ein Teil der DNA der Alternativen, sagt Hugentobler. Nach wie vor sollen alle, die an eine Versammlung kommen, mitreden und bis auf wenige Ausnahmen auch mitbestimmen können, auch wenn sie kein Mitglied sind.

Aussergewöhnlich egalitär aufgestellt ist auch der Parteivorstand: Gleich vier Personen teilen sich das Präsidium. Üblich sind in der Zürcher Parteienlandschaft sonst entweder ein Einzelpräsidium oder in jüngerer Zeit vermehrt Doppelspitzen. «Wir vier treffen uns sowieso jeden Monat, und das sind dann auch gleich unsere Präsidiumssitzungen», sagt Hugentobler. «Wir nehmen das sehr locker.»

Die grosse Frage ist, wie viele Sympathisanten von der alten zur neuen AL wechseln werden. «Wir haben in unserem Mail-Verteiler Hunderte von Kontakten, und wir hoffen natürlich, dass möglichst viele beitreten werden», sagt der Co-Präsident.

Aus «st» wird «nk»

Verändern wird sich nicht nur die Struktur, sondern auch der Name. Rein technisch geht es nur um zwei Buchstaben, diese sind aber entscheidend: Die Alternative Liste Winterthur heisst neu Alternative Linke.

Die Partei verspricht sich davon mehr Profil. «Ausserdem sprachen schon früher sehr viele Leute von der ‹Alternativen Linken›», sagt Hugentobler. Auch die AL in Bern heisse so, und ein früherer nationaler Überbau sei so genannt worden. Der Name ist also nicht ganz neu.

Und doch: In anderen politischen Organisationen wäre es undenkbar, dass eine Lokalgruppe einfach so den Namen wechselte, auch wenn es nur zwei Buchstaben wären. Eine Sektion der Grünen, die sich plötzlich «die Grauen» nennt? Das wäre Hochverrat.

Nicht so bei der AL. Judith Stofer aus Zürich ist die Chefin der AL-Fraktion im Kantonsrat und somit eine der wichtigsten Vertreterinnen der AL im Kanton. Dass die Winterthurer sich von «Liste» auf «Linke» umbenennen, ist aus ihrer Sicht kein Problem. «Unsere Marke ist ‹AL›, und die bleibt ja», sagt sie. Die Anpassung der Struktur ist aus ihrer Sicht sowieso nicht bemerkenswert; ihre AL Zürich ist schon 2007 ein Verein.

Roman Hugentobler betont, dass sich das Re-Branding keineswegs gegen die grosse Schwester aus Zürich richte. Die Namensänderung sei keine Distanzierung. «Im Gegenteil. Wir haben in den letzten zwei Jahren den Kontakt zur AL Zürich intensiviert», sagt er. Zudem sitze er im Vorstand der Stadtzürcher AL.

In Schaffhausen wurde die AL aufgelöst

Dass die vergleichsweise kleine Winterthurer AL überhaupt weiterbesteht, ist keine Selbstverständlichkeit. In Schaffhausen, einst eine Bastion der anarchistischen Antikapitalisten, wurde die AL vor gut zwei Jahren aufgelöst.

Ihre Exponenten sind fast geschlossen jener Partei beigetreten, zu der sie doch eine Alternative sein wollten. Denn bei den Sozialdemokraten öffneten sich viele Türen, etwa in Bundesbern. Der Schaffhauser SP-Ständerat Simon Stocker war einst ebenfalls bei der AL aktiv – und wäre mit diesem Kürzel garantiert nie ins Stöckli entsandt worden.

In Winterthur steht die AL vor allem den Grünen nah; die beiden Parteien bilden im Stadtparlament eine Fraktion. Eine Auflösung der AL sei im Rahmen der Neustrukturierung andiskutiert, aber deutlich verworfen worden, sagt Hugentobler.

«Natürlich haben wir uns gefragt, ob es uns noch braucht. Unsere Antwort ist klar: Wir wollen eine kritische linke Stimme von ausserhalb bleiben und die Regierung kritisieren können. Das ginge in einer grossen Partei wie der SP oder den Grünen nicht.»

Offiziell aus der Taufe gehoben wird die neue Alternative Linke Winterthur am 24. August. Es gibt, für einen Verein ganz passend, ein Grillfest. Und dazu eine Stunde Punk. Das dann schon.

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