Noa-Lynn van Leuven wurde als Mann geboren, heute ist sie eine der besten Darts-Spielerinnen der Welt. Nicht alle gönnen ihr den Erfolg.

Noa-Lynn van Leuven ist es gewohnt, scharf zu schiessen. Die 27-jährige Niederländerin ist eine der besten Darts-Spielerinnen der Welt, sie weiss, wie sie die Segmente der Scheibe zentimetergenau trifft. Vor einigen Wochen ist van Leuven jedoch selbst zur Zielscheibe geworden.

Zwei Mitspielerinnen im niederländischen Nationalteam sind im März zurückgetreten, sie weigerten sich, mit van Leuven in der gleichen Equipe zu spielen. Anfang Mai boykottierte eine britische Konkurrentin ausserdem einen Match gegen van Leuven. Was ist hier los?

Van Leuven ist Transathletin; die beste in der Geschichte des Darts. Sie wuchs als Knabe auf, doch ihre männlichen Geschlechtsmerkmale stimmten nicht mit ihrer gefühlten Geschlechtsidentität überein. Van Leuven fühlte sich gefangen im eigenen Körper. In einem Interview sagte sie einmal, sie sei so verzweifelt gewesen, dass sie daran gedacht habe, sich umzubringen. Im Alter von 17 Jahren hat sie sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen.

«Ich weigere mich, gegen einen Mann anzutreten»

Das neue Leben als Frau und der Darts-Sport gaben van Leuven eine Perspektive. 2022 nahm sie zum ersten Mal an einem internationalen Wettkampf teil, sie kämpfte sich in den folgenden Jahren nach oben. Vor einem Jahr belegte sie Platz 15 in der Weltrangliste der Frauen, diesen Frühling verbesserte sie sich auf Rang 5.

Van Leuvens Erfolg versetzte die Darts-Szene allerdings in Auffuhr; einige Konkurrentinnen werfen ihr vor, sie habe einen Vorteil bei Wettkämpfen. Aileen de Graaf und Anca Zijlstra spielten mit van Leuven im Nationalteam der Niederlande. Beide sind gestandene Darts-Spielerinnen, de Graaf ist derzeit die Weltnummer zwei.

Die Stimmung kippte, als van Leuven im März ein Spiel der Women’s Series in England gewann; de Graaf und Zijlstra traten daraufhin aus dem Nationalteam zurück. Zijlstra schrieb auf Facebook: «In dem Moment, in dem man sich schämt, für die niederländische Equipe zu spielen, weil ein biologischer Mann im Frauenteam spielt, ist es Zeit, zu gehen.»

Darts, in der Schweiz eine Randsportart, in Grossbritannien aber sehr populär, rückte plötzlich ins Zentrum des Medieninteresses. Sogar australische Medien berichteten über den Eklat in den Niederlanden, auch die Tennislegende und 18-fache Grand-Slam-Siegerin Martina Navratilova meldete sich aus den USA zu Wort. Navratilova schrieb auf der Plattform X: «Bitte keine männlichen Körper im Frauensport– nicht einmal im Darts.»

Die Debatte, ob Transathletinnen im Sport in der Frauenkategorie antreten dürfen, hat nun also auch die Darts-Szene erreicht. Die Kritik an van Leuven mutet bisweilen absurd an. Während in Sportarten wie Schwimmen, Radfahren oder der Leichtathletik Männer körperlich im Vorteil sind, geht es beim Darts um Präzision, Konzentration, Taktik, mentale Stärke – also Fähigkeiten, die vom Geschlecht unabhängig sind.

Die Debatte schaukelte sich auf, Anfang Mai kam es zu einer weiteren Eskalation. Van Leuven hätte am Viertelfinal des Denmark Open gegen die Engländerin Deta Hedman antreten sollen. Hedman ist 64 Jahre alt, war jahrelang die beste Spielerin der Welt, heute ist sie im Ranking die Nummer sechs. Doch Hedman verzichtete auf den Match. Sie sei krank, hiess es zunächst. Auf der Plattform X widersprach Hedman dann. Sie schrieb: «Ich weigere mich, gegen einen Mann anzutreten.»

Hedman lancierte eine Kampagne in den sozialen Netzwerken, die sich gegen Transpersonen im Frauensport richtet, veröffentlichte Dutzende Posts, in denen sie den «Schutz des Frauensports» forderte. Tausende Frauen stimmten ihr zu.

Haben Männer eine bessere Wurftechnik?

Am Wochenende sagte Hedman in einem Interview mit dem Sender GB News: «Der Sport kann nicht fair und zugleich inklusiv sein. Das eine geht zulasten des anderen.» Lange habe sie für die Rechte der Frauen im Darts-Sport gekämpft, nun gefährdeten Transpersonen wie van Leuven diese Errungenschaften.

Der Darts-Weltverband betonte in einem Statement, dass im Darts Chancengleichheit zentral sei, bei vielen Turnieren träten Frauen und Männer sogar gegeneinander an. Solange keine signifikanten Beweise vorliegen, dass Transpersonen im Vorteil sind, will der Weltverband keine dritte Kategorie einführen.

Die Darts-Regulierungsbehörde schreibt vor, dass Transgender-Spielerinnen mindestens zwölf Monate vor dem Wettkampf einen Testosteronspiegel von unter 10 Nanomol pro Liter Blut aufweisen müssen und dass die Geschlechtsidentität mindestens vier Jahre lang nicht geändert werden darf. Die Transathletin van Leuven erfüllt diese Voraussetzungen.

Trotzdem gibt es in der Szene Stimmen, die van Leuven im Vorteil sehen. Die Punktedurchschnitte bei Frauen sind tiefer als jene bei Männern. Einige behaupten auch, Männer hätten ein ausgeprägteres Vorstellungsvermögen, eine bessere Wurftechnik, seien selbstbewusster – und spielten deshalb besser Darts.

Die beste Schweizer Spielerin sagt: «Darts ist reine Kopfsache»

Angela Heinrich sieht das anders; die Baselbieterin ist die beste Darts-Spielerin der Schweiz und Captain des HDC Gelterkinden. Sie sagt von sich selbst, sie sei stärker als die Männer in ihrem Team. Und fügt hinzu: «Darts ist reine Kopfsache. Frauen fehlt manchmal das Selbstbewusstsein, das ist der einzige Unterschied zwischen den Geschlechtern.»

Ein weiterer Grund für die tieferen Punktedurchschnitte bei den Frauen: Lange fehlten die finanziellen Mittel, um Frauen im Darts-Sport zu fördern. Die Liste der Darts-Spieler ist lang, jene der Darts-Spielerinnen kurz. Doch langsam wandelt sich das, es gibt Weltmeisterschaften und Turniere ausschliesslich für Frauen, der Frauenanteil wächst.

Van Leuven hat sich bisher nur knapp zu der Diskussion um ihre Teilnahme bei den Frauen geäussert. Sie sagte dem Portal Dart News, sie wolle sich nicht weiter damit befassen: «Das Einzige, was ich an diesem Thema bedaure, ist, dass viele Leute vergessen, dass ich auch ein Mensch bin.»

Im Dezember 2023 jedoch hatte van Leuven dem britischen Onlineportal «The Independent» gesagt, einige ihrer Konkurrentinnen versuchten offenbar, sie loszuwerden. Van Leuven sagte: «Und was ist der einfachste Weg dazu? Mich verbieten zu lassen.»

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