Freitag, Oktober 25

Tübingen hat sich für 16 Millionen Euro eine neue Radbrücke geleistet, die sich im Winter selbst heizt. Bund und Land unterstützen das Projekt – es hilft ihren Klimazielen. Doch wie nachhaltig ist das Bauwerk?

Glätte, Schnee, Kälte und Matsch: Für Radfahrer birgt der Winter viele Nachteile. Die Bedingungen auf den Strassen werden gefährlicher, schneebedeckte und vereiste Fahrbahnen erhöhen das Risiko von Stürzen und Verletzungen. Die deutsche Stadt Tübingen will ihren Einwohnern das winterliche Radfahren erleichtern – mit Brücken, deren Fahrbahnen im Winter beheizt werden.

Oberbürgermeister Boris Palmer eröffnete vergangene Woche die dritte von vier Brücken. Sie führt vom Europaplatz über die Bahngleise, verbindet den Stadtteil Derendingen mit dem Bahnhof. Ihre blaue Fahrbahn bleibt im Winter eisfrei. Sie wird auf drei Grad erhitzt. Salz streuen ist nicht nötig. Auch die anderen beiden bereits gebauten Radbrücken werden im Winter beheizt. Mit seinem Projekt der beheizbaren Brücken schuf Tübingen ein Novum. Doch so revolutionär das Projekt ist, so teuer war es.

16 Millionen Euro für 365 Meter

Tübingen, bekannt als Universitätsstadt, wird in den Medien seit vergangener Woche auch als die Stadt mit der teuersten Radbrücke Deutschlands bezeichnet. Die 4 Meter breite, rund 365 Meter lange und am höchsten Punkt rund 10 Meter hohe Brücke kostete 16 Millionen Euro. In den sozialen Netzwerken kritisierten viele die Ausgaben als «Verschwendung von Steuergeldern» oder bezeichneten die Brücke als «dekadentes Bauwerk». Davon wollen sie in Tübingen nichts wissen.

Oberbürgermeister Palmer hebt den wirtschaftlichen Sinn für die Stadt hervor. Die Nähe des Neckars und die Tallage machen die Brücken in Tübingen besonders anfällig für gefrierende Nässe. Mit der Investition spare die Stadt Geld und Personal. Die Lebensdauer der Brücke werde verlängert, da der Stahl nicht durch Streusalz angegriffen werde. So könne die Brücke hundert Jahre lang stehen, sagte Palmer der «Bild»-Zeitung.

Tübingen fördert seit Jahren den Radverkehr. Die Stadt hat sich die dänische Hauptstadt Kopenhagen als Vorbild genommen. «Es beginnt eine neue Ära des Radverkehrs in Tübingen. Wir haben von Kopenhagen gelernt, wie man das Rad zum Hauptverkehrsmittel machen kann», sagte Palmer bei der Eröffnung der ersten beheizbaren Brücke im Juli 2021.

Der Tübinger Gemeinderat hatte die Brückenprojekte 2019 beschlossen. Sie sind Teil des Konzepts «Mobilität 2030 Tübingen» und sollen dazu beitragen, die Klimaschutzziele der Bundesregierung zu erreichen. Die Gesamtkosten für die vier Brücken liegen bei rund 30 Millionen Euro. Rund 70 Prozent davon werden durch Bundes- und Landesmittel gefördert. Laut der «Tagesschau» betragen die Kosten für die Stadt Tübingen somit 4,5 Millionen Euro.

Doch sind beheizbare Brücken, die mit Strom versorgt werden, wirklich nachhaltiger als der traditionelle Winterdienst?

Heizung geht nur bei tiefen Temperaturen in Betrieb

Nicole Romey von der Stadt Tübingen beantwortet diese Frage mit einem klaren Ja. Die Stadt habe 2021 eine allgemeine CO2-Bilanz erstellt, die den Wetterdienst mit der Stromheizung vergleiche. Je nach verwendetem Strom schneide die CO2-Bilanz der Stromheizung besser oder schlechter ab als die des Streumitteleinsatzes. Die Ergebnisse zeigten jedoch: «Eine Beheizung mit Ökostrom ist klimafreundlicher als der Einsatz des Winterdienstes», schreibt Romey.

Die Heizung an der Radbrücke verfügt über mehrere Temperatur- und Feuchtigkeitssensoren. «Sie läuft nicht dauerhaft und geht nur in Betrieb, wenn die Temperaturen unter vier Grad Celsius liegen und die Feuchte auf der Brücke über 95 Prozent beträgt.» Das bedeute, dass die Heizung bei Kälte und trockener Luft nicht zwingend aktiviert werde. Die Heizung sei wegen der Länge der Brücke zudem in mehrere Einzelfelder unterteilt. So könne gezielt an den Stellen erwärmt werden, an denen die Sensoren die entsprechenden Werte melden. «Nach einer Schätzung des Elektroplaners sind das in Tübingen durchschnittlich 30 Tage pro Jahr», schreibt Romey.

Die Stadt rechnet bei der Brücke im ersten Jahr mit einem Verbrauch von 27 kWh/m2. Es entstünden zudem keine CO2-Emissionen, da die Stadt für alle ihre Anlagen 100 Prozent Öko-Strom verwende.

Blaue und rosa Rauchbomben zur Eröffnung

In Tübingen ist die Eröffnung des teuren Bauwerks vergangene Woche mit einer grossen Show gefeiert worden. Oberbürgermeister Palmer liess blaue und rosa Rauchbomben zünden, während er über die Brücke radelte. Die Brücke erleichtert Radfahrern vor allem das Überqueren der Bahnschienen. Für Fussgänger ist sie hingegen nicht gedacht. Wer jedoch den schönen Blick über die Stadt geniessen möchte, darf laut Palmer trotzdem hinauf.

Bereits im kommenden Mai soll die vierte und letzte Brücke des Tübinger Projekts in Betrieb gehen. Damit wäre das Stadtzentrum aus allen Himmelsrichtungen per Rad erreichbar. Ganz nach dem dänischen Vorbild.

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