Freitag, August 22

Die Performance-Künstlerin Miet Warlop hat 2023 am Zürcher Theaterspektakel begeistert. Jetzt zeigt sie ihre neue Produktion «Inhale Delirium Exhale». Die Erwartungen werden nicht erfüllt.

Theater ist stets eine Auseinandersetzung mit Stoffen. In «Inhale Delirium Exhale» von Miet Warlop ist das aber für einmal wörtlich zu verstehen. In der neuen Produktion, die die belgische Regisseurin zusammen mit ihrer Künstlertruppe am Zürcher Theaterspektakel zeigt, spielen Tücher und gigantische Stoffbahnen tatsächlich die Hauptrolle.

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Vor zwei Jahren begeisterte die Belgierin am Theaterspektakel mit «One Song». Im Rhythmus eines Pop-Songs demonstrierte das zeitgeistig pointierte Stück Parallelen von Leistungsdruck und Sportlichkeit. Solche Aktualität und Prägnanz erwartet man auch jetzt wieder in der Werfthalle. Allein, man wartet vergeblich, Warlop hat sich in ihrem neuen Stoff verwickelt und verrannt.

Zwang zur Originalität

Wie kommt man dazu, ein Stück aus Textilien zu schneidern? Ist es die metaphorische Doppeldeutigkeit, die einen verführt? Ist es ein unbedingter Zwang zur Originalität? Oder sind es der Blick in den Fundus und eine Art Gerechtigkeitsgefühl, das einem sagt: Immer handelt das Theater von Menschen, trotzdem werden die nicht besser. Vielleicht muss man mal den Dingen, den Stoffen die Bühne überlassen.

In «Inhale Delirium Exhale» schaut man anfangs einem Paar bei einem Handspiel zu. Weil die kleinen, dünnen Ärmchen der beiden aus Ton sind, brechen allmählich Finger, Hände, Gelenke ab, bis Mann und Frau nicht mehr interagieren können.

Dieses symbolische dystopische Ende menschlicher Kommunikation bezeichnet den Moment, in dem nun riesige Tücher donnernd von der Decke stürzen wie ein Vorhang oder ein Verhängnis, um die letzten Menschen unter sich zu begraben. Nur mit Mühe können sich die sechs schwarz gekleideten Akteure wieder aus den wallenden Stoffen herauswinden.

Erinnerung an die Textilindustrie

Die Stoffbahnen in verschiedensten Farben und mit unterschiedlichem Glanz, die bald von der Decke fallen, bald wie gigantische Fahnen oder Standarten über die Bühne getragen werden, erweisen sich nun einerseits als Arbeit. Man denkt an die Industrialisierung, die ihren Anfang in Textilfabriken nahm, wenn die endlos langen Stoffe abgewickelt, aufgespannt und auf riesigen Spulen wieder aufgerollt werden müssen.

Unglaublich der Aufwand, der in diesem Stück mit allerlei Rädern, Rollen und Ventilatoren betrieben wird. Er zwingt die engagierten und fitten jungen Frauen und Männer auf der Bühne zwar zu quasi proletarischen Verrichtungen, wenn sie Tücher herumtragen, binden, verschnüren, aufrollen, versorgen. Aber daraus ergibt sich noch keine Handlung. Ihre Bewegungen sind genau aufeinander abgestimmt wie durch eine Choreografie, aber daraus wächst kein poetischer Sinn.

Das Stück lebt immerhin von Effekten: Die Tücher, die im Theater sonst Himmel, wogendes Meer oder tote Wüste spielen müssen, dürfen als wallende Fahnen triumphieren oder als Riesen-Kleins und Riesen-Rothkos prangen. Und wenn sich einmal eine Frau unter einem Tuch aufzulösen scheint, so ist es, als würde einem ein grossräumiger Hokuspokus vorgeführt.

Nur Zauber statt Magie

Es gibt in «Inhale Delirium Exhale» Momente des Zaubers. Hingegen lässt das Stück die physische Geschlossenheit und die poetische Überhöhung vermissen, die der Titel heraufbeschwört. Zur rhythmischen Einheit wird der Pastiche allenfalls durch die überlaute, zwischen Techno und Ambient changierende Musik, die Action und Dramatik suggeriert, wo auf der Bühne jedoch lediglich die Banalität grosser, flatternder Textilien vorherrscht.

Nach dreissig Minuten breitet sich Ratlosigkeit aus; einige verlassen die Werfthalle bereits wieder. Nach sechzig Minuten würde es einem einfach langweilig. Doch die Produktion dauert bloss eine Dreiviertelstunde. Das Publikum scheint am Ende allerdings gespalten: Die einen erheben sich zur Standing Ovation, die anderen eilen rasch hinaus in den Regen.

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