Samstag, November 23

Zum ersten Mal seit zehn Monaten fährt im Ski-Weltcup ein anderer Schweizer in die Top 3 als Marco Odermatt. Daniel Yule ist heute so stark, weil er gelernt hat, nicht ins Grübeln zu verfallen.

Als Daniel Yule im Januar 2018 als Dritter zum ersten Mal auf einem Weltcup-Podest stand, sagte er, er sei der bestklassierte Mensch auf diesem Podium. Neben ihm auf den Rängen 1 und 2 standen Henrik Kristoffersen und Marcel Hirscher, die zu jener Zeit in einer anderen Liga fuhren. In Yules Worten eben «Ausserirdische», keine Menschen.

Sechs Jahre später, an diesem Sonntag, wieder in Kitzbühel. Yule steht zum 16. Mal auf dem Podest, der Deutsche Linus Strasser gewinnt, Kristoffersen rutscht mit den Ski von Hirschers neuer Skimarke auf den 21. Rang, und sowieso ist der Ausserirdische in diesem Skizirkus längst Marco Odermatt. Dieser fährt den Slalom am Sonntag nicht – wäre ja noch schöner für die Konkurrenz, wenn er auch in dieser Disziplin mitmischen wollte. Und doch ist Odermatt präsent am Ganslernhang, zumindest in manchen Köpfen und vielen Statistiken.

Denn seit zehn Monaten ist kein anderer Schweizer Skifahrer mehr im Weltcup unter die ersten drei gefahren als Odermatt. Es war Ramon Zenhäusern, der Mitte März 2023 das letzte Rennen jener Saison gewann, doch auch davor war es sieben Mal Odermatt gewesen, der auf dem Podest gestanden hatte. Seit sich Odermatt 2023 in Kitzbühel am Knie verletzt hatte und 54. wurde, bestritt er 24 Weltcup-Rennen; 22 Mal in diesen Entscheidungen wurde er entweder Erster, Zweiter oder Dritter.

Der Österreicher Johannes Strolz meinte, die Organisatoren hätten «nicht Wasser hingeleert, sondern Beton»

Bei Daniel Yule war es fast umgekehrt: Er hatte in Kitzbühel 2023 gewonnen und ist seither nur noch einmal aufs Podest gefahren, kurz danach in Chamonix. Zweimal schied er aus, an den Weltmeisterschaften war er so langsam, dass ihm nur noch Humor helfen konnte. «Jesus machte aus Wasser Wein. Ich war heute so langsam, dass aus Video Foto wurde.» Der vergangene Winter war für Yules Geschmack oft viel zu warm; der Walliser und sein Material mögen es, wenn es kalt und hart und eisig ist.

Und so hatte Yule ein «riesiges Lächeln» auf den Lippen, als er an diesem Wochenende am Morgen auf der Besichtigung sah, dass der Slalomhang in Kitzbühel einmal mehr einer Eisfläche glich. Es war so eisig, dass der FIS-Rennchef Markus Waldner am Vorabend allen Teams eingeschärft hatte, die Kanten der Skis ihres Betreuerstabs zu kontrollieren. Der Österreicher Johannes Strolz sagte, er habe das Gefühl gehabt, die Organisatoren hätten «nicht Wasser hingeleert, sondern Beton».

Es war also alles vorbereitet für ein weiteres Kapitel der Liebesgeschichte zwischen Yule und Kitzbühel. Alles ist anders, wenn er hierherkommt, das liegt einerseits am Ort: «Wenn man Skisport denkt, denkt man Kitzbühel», sagt Yule. Anderseits aber auch an den vielen Auftritten hier, die hängengeblieben sind, weil sie für ihn eine spezielle Bedeutung hatten.

2012 bestritt Yule hier sein erstes Weltcup-Rennen, nicht einmal als Zuschauer war er vorher je an einem Weltcup gewesen. Er startete mit der Nummer 81 und schied im ersten Lauf aus, war aber tief beeindruckt von der Kulisse und dem Drumherum. «Nie hätte ich damals gedacht, dass ich einmal mit vier Gams-Trophäen hier stehen würde.»

Schon zwei Jahre später wurde Kitzbühel der Ort, an dem Yule zum ersten Mal in die Top Ten fuhr, und das mit Laufbestzeit im zweiten Durchgang. Dann folgte 2018 wieder eine Premiere, das erste Weltcup-Podest. Und 2020 und 2023 schliesslich zwei Siege.

Daniel Yule - 1. Platz -  Slalom Kitzbühel 2023

Das Bewusstsein um seine Fähigkeiten auf diesem Hang und bei diesen Bedingungen gaben ihm das letzte Stück Vertrauen, das in dieser Saison bisher gefehlt hatte. Er wusste: Einfach wieder dasselbe Material anziehen wie im letzten Jahr, dann kommt es gut. «Ich fühle mich einfach wohl, wenn es so schwierig ist. Es ist nicht für eine Kamikaze-Fahrt gemacht, man muss präzise fahren, mit Kopf und Taktik, das gefällt mir.»

Er kommt viel schneller als früher aus dem Teufelskreis heraus

Sein Kopf war für Yule nicht immer ein Vorteil. Oft stand ihm das Denken früher im Weg, das ständige Hinterfragen. Realisiert hat er das zwar früh. «Skifahren hat mich gelehrt, dass ich nicht alles kontrollieren kann. Manchmal muss man einfach mit dem Flow gehen und schauen, was kommt.» Dies in der Praxis umzusetzen, ist aber nicht immer leicht. Gerade wenn es ein paar Rennen nicht nach Wunsch läuft und er weiss, es brauchte eigentlich nicht viel.

Yule musste lernen, nicht ins Grübeln zu verfallen. Das gelingt ihm mittlerweile ganz gut. Vielleicht sei es das Älterwerden, sagt der 30-Jährige in Kitzbühel, das Plus an Erfahrung. Sicher auch die unerschütterliche Ruhe, die das Trainerteam um Matteo Joris ausstrahlt; seit rund zehn Jahren reisen beinahe dieselben Fahrer und Trainer gemeinsam um die Welt, sie holten im Slalom so viele Erfolge, wie man sie ihnen nie zugetraut hätte.

Und wenns gerade nicht lief, hatten sie das Bewusstsein: Skifahren können wir, irgendwann gelingt es wieder. «Das ist ja das Schwierige am Skisport», sagt Yule, «dass es einfacher geht, wenn man entspannt ist und ruhig bleibt.» Dennoch sei in letzter Zeit immer wieder Frust dabei gewesen. «Aber ich komme viel schneller als früher aus diesem Teufelskreis heraus.»

Yule hofft, dass sein Podestplatz auch bei Teamkollegen etwas auslöst. In der Schweizer Mannschaft wird in dieser Saison alles von Marco Odermatt überstrahlt, der schon 13 Podestplätze eingeheimst hat. Mehr als ein Drittel der Punkte der Schweizer Männer hat der Nidwaldner eingefahren, die letzten 140 mit zwei Podestplätzen in den beiden Abfahrten in Kitzbühel. Dort haben auch Fahrer von der jungen Generation überzeugt; Arnaud Boisset und Alexis Monney schafften es in die Top 10. Es könnte der Anfang sein für neue Liebesgeschichten zwischen einem Skirennfahrer und Kitzbühel.

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