Freitag, Oktober 18

Wenn die Erektion ausbleibt, hat das meist körperliche Ursachen. Doch auch die Psyche spielt mit und Stress verstärkt die Probleme. Die gute Nachricht: Es gibt Hilfe.

Der Urologe Tobias Jäger hat nach der Routineuntersuchung längst «Auf Wiedersehen» gesagt. Sein Patient hat die Hand bereits zur Türklinke geführt – doch dann dreht er sich um und spricht einen Satz aus, bei dem Tobias Jäger sofort weiss, was los ist: «Ach so, eine Sache habe ich noch.»

«Wenn das kommt, setze ich mich noch einmal mit dem Patienten hin und nehme mir Zeit für ein Gespräch», sagt der Praxisinhaber und Privatdozent für Urologie an der Universität Duisburg-Essen. Denn wenn ein Mann diese Worte sagt, dann will er gemäss Jägers Erfahrung in der Regel über ein Thema sprechen, das ihm höchst unangenehm ist: Erektionsstörungen.

Laut Befragungen traut sich nur rund ein Drittel bis die Hälfte der betroffenen Männer, das Thema beim Arzt anzusprechen. Denn viele Männer sagen, es sei ihnen peinlich, darüber zu reden – sogar mit einer Fachperson.

Dabei ist Scham unangebracht. Erektionsstörungen sind weit verbreitet. Etwa jeder fünfte Mann lebt mit einer erektilen Dysfunktion. Davon sprechen Fachleute, wenn die Erektion seit mindestens sechs Monaten regelmässig so schwach ist, dass sie nicht für den Geschlechtsverkehr ausreicht. Dreissigjährige berichten in Befragungen kaum davon, aber die Zahlen steigen mit dem Alter an. Von den über Siebzigjährigen hat mindestens jeder zweite Mann Erektionsprobleme.

Betroffene sollten einen Arzt aufsuchen. Denn in den meisten Fällen hat eine erektile Dysfunktion körperliche Ursachen. Sie kann sogar ein Warnhinweis auf einen Herzinfarkt sein. Um zu begreifen, wieso die ausbleibende Erektion auf teilweise schwere Erkrankungen hindeuten kann, muss man verstehen, wie sie überhaupt zustande kommt.

Vom Kopf bis zum Penis: wie eine Erektion entsteht

Eine Erektion ist zunächst Kopfsache: Erotische Gedanken, Berührungen oder Bilder aktivieren verschiedene Gehirnregionen. Diese wiederum leiten Impulse zu Nerven weiter, die bis zum Penis verlaufen. Entscheidend ist der Parasympathikus. Dieser Teil des autonomen Nervensystems ist immer dann am Werk, wenn sich der Körper entspannt. Stress hingegen aktiviert den Gegenspieler des Parasympathikus: den Sympathikus. Er versetzt den Körper in Alarmbereitschaft und hemmt dabei auch die Erektion, damit man in Notsituationen schnell reagieren kann – und nicht von unpassenden Gedanken abgelenkt wird.

Haben es die Hirnsignale aber bis zum Penis geschafft, lösen sie dort chemische Signale aus. Sie führen dazu, dass sich die Blutgefässe weiten. Blut strömt in die Schwellkörper des Penis. Und während die Arterien das Blut hineinpumpen, ziehen sich die Venen zusammen. Sie können nun kaum noch Blut herauslassen. Der Penis schwillt an und wird hart. Die Beckenbodenmuskulatur des Manns hilft, das Blut im Penis zu halten.

Die Suche nach den Ursachen für eine erektile Dysfunktion

Wenn ein Mann mit Erektionsstörungen in Tobias Jägers Sprechstunde kommt, dann grenzt der Urologe die Suche nach den Ursachen zunächst mithilfe eines Fragebogens ein. «Ich erkenne damit, wie ausgeprägt die Störung ist und ob sie eher psychische oder körperliche Ursachen hat», sagt er. Dabei klärt er auch, welche Medikamente der Mann nimmt. Jäger: «Betablocker oder Antidepressiva zum Beispiel können als Nebenwirkung Erektionsschwierigkeiten verursachen.»

Als Nächstes nimmt der Urologe Blut ab und betrachtet dabei zum Beispiel den Blutzuckerwert. Denn ein erhöhter Blutzuckerspiegel kann Nerven und Blutgefässe schädigen und somit das komplexe Zusammenspiel stören, das zur Erektion führt. «Es kann passieren, dass bei solch einer Untersuchung herauskommt, dass der Mann wahrscheinlich einen behandlungsbedürftigen Diabetes hat», sagt Jäger.

Auch die Blutfettwerte und den Blutdruck misst Jäger: «Denn wir wissen, dass das Risiko für einen Herzinfarkt bei Männern mit erektiler Dysfunktion erhöht ist.»

Die Blutgefässe im Penis sind so klein, dass Ablagerungen dort schon früh ihre Folgen haben: Das Blut kann nicht in ausreichender Menge hineinströmen. «Und Jahre später sind bei einigen Betroffenen die Ablagerungen in grösseren Blutgefässen so stark, dass sie einen Herzinfarkt bekommen», sagt Jäger.

Die ausbleibende Erektion kann aber auch mit einem Testosteronmangel zusammenhängen. Denn Testosteron ist zum Beispiel wichtig für die Libido. Zudem fördert Testosteronmangel zu Übergewicht und kann damit zur Entstehung von Diabetes beitragen, der wiederum Erektionsprobleme verursachen kann.

Und weil sich die Entstehung von Diabetes durch den Lebenswandel beeinflussen lässt – genau wie der Testosteronspiegel und das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, ist Tobias Jägers Rat an alle Männer: «Achten Sie auf Ihren Lebensstil. Bewegen Sie sich ausreichend und essen Sie gesund.» Aber weil das nicht sofort hilft, wenn die erektile Dysfunktion einmal da ist, unterstützt Jäger seine Patienten auch mit Medikamenten.

PDE-5-Hemmer helfen

Es gibt eine ganze Reihe von Präparaten, die in Fachkreisen auch als PDE-5-Hemmer bekannt sind. Sie führen dazu, dass die Blutgefässe länger erweitert bleiben und so mehr Blut in den Penis strömen kann. Auch Viagra mit dem Wirkstoff Sildenafil gehört dazu. Doch Tobias Jäger verschreibt lieber PDE-5-Hemmer mit dem Wirkstoff Tadalafil.

Er erklärt: «Viagra wirkt nur vier Stunden lang. Wer dieses Medikament nimmt, muss den Geschlechtsverkehr ziemlich genau planen.» Tadalafil hingegen ist laut Jäger eine optimale Wochenendpille. Wirkdauer: 24 bis 36 Stunden.

Wer nun zu Google oder in den Spam-Filter seines E-Mail-Posteingangs wechseln will, um sich die Wirkstoffe irgendwo im Internet ohne Arztbesuch zu besorgen, sollte wissen: Laut dem Schweizerischen Heilmittelinstitut Swissmedic machen Erektionsförderer über zwei Drittel der illegal eingeführten Medikamente aus. Wer sie online bei dubiosen Anbietern bestellt, gibt sein Geld für Tabletten aus, die oft keine oder falsch deklarierte Wirkstoffe enthalten.

Doch damit Männer zum Arzt gehen, müssen sie die Scham überwinden, von der sie in Befragungen berichten. Das ist gar nicht so einfach. «Ein Mann, der damit Probleme hat, fühlt sich schnell als Versager», sagt der Paar- und Sexualtherapeut Ulrich Clement, Professor für Medizinische Psychologie an der Universität Heidelberg.

Psychische Ursachen erkennen

Nicht immer sei es einfach, zu erkennen, ob das Problem psychische oder körperliche Gründe habe. «Oft ist es auch eine Kombination aus beidem», sagt Clement. «Im Alter zum Beispiel gibt es viele mögliche körperliche Ursachen für Erektionsstörungen. Womöglich hat aber auch die Angst vorm Altwerden einen Anteil daran.» Zudem verursache der Gedanke Stress, dass die Erektion auch beim nächsten Mal ausbleiben könnte. Dadurch werde die Erektionsstörung erst recht verstärkt.

Eindeutig auf die Psyche zurückzuführen sei die erektile Dysfunktion nur selten. Clement gibt ein Beispiel für solch einen Fall: «Hat der Mann nachts und morgens spontane Erektionen, bei der Selbstbefriedigung klappt es auch, aber es tut sich nichts, wenn er Geschlechtsverkehr mit seiner Partnerin haben will, muss er sich nicht urologisch untersuchen lassen.» In solch einem Fall ist es laut Clement ratsam, eine Paartherapie in Betracht zu ziehen.

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In der Therapie setzt er auch auf ungewöhnliche Perspektiven und stellt teilweise provokante Fragen. «Ich sage zum Beispiel: Mal angenommen, Ihr Penis könnte sprechen, was würde er sagen?» Womöglich komme im Gespräch heraus, dass ein junger Mann noch nicht bereit sei, Vater zu werden – «oder dass die Beziehung derart in Schieflage geraten ist, dass der Penis mit der Frau nichts zu tun haben will».

Die Gespräche mit dem Psychotherapeuten und die Behandlung beim Urologen helfen den allermeisten betroffenen Männern. Und Clement hat die Erfahrung gemacht, dass die Krise rund um die Erektion auch positive Auswirkungen haben kann. «Am Ende sind viele Männer froh, dass sie ihre Scham überwunden haben und endlich einmal über ihre Sexualität sprechen.»

Den Anfang machen sie, wenn sie in der urologischen Praxis die Türklinke schon in der Hand haben, sich noch einmal umdrehen und sagen: «Ach so, eine Sache habe ich noch.»

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