Montag, Oktober 7

Während der Hizbullah trotz dem erfolgreichen israelischen Präventivschlag in Südlibanon und nur wenigen Opfern in Israel einen Sieg feiert, steht eine Vergeltung Irans noch aus. Droht jetzt immer noch ein regionaler Flächenbrand?

In Mohammeds Café im südlibanesischen Städtchen Marjayoun, unweit der Grenze zu Israel, sitzen ein paar Männer und rauchen. Die Sonne scheint, am Himmel kleben weisse Wölkchen. Alles ist friedlich – nur das Plärren eines auf laut gestellten Fernsehers dringt aus dem Fenster eines Nachbarhauses nach draussen. Dort laufen offenbar die Nachrichten in Dauerschleife.

Ein paar Stunden zuvor hatten unzählige laute Detonationen in den Hügeln und Tälern rund um Marjayoun die Stille der Nacht zerrissen. Mit angeblich über hundert Flugzeugen hatte Israels Armee am frühen Sonntagmorgen offenbar Jagd auf Stellungen des Hizbullah gemacht. «So schlimm wie in der Nacht auf Sonntag war es hier noch nie», sagt Mohammed. «Mein ganzes Haus hat gezittert, die Bilder fielen von den Wänden.»

Nasrallah scheint zufrieden

Tatsächlich lieferten sich Israel und die von Iran unterstütze Hizbullah-Miliz in der Nacht von Samstag auf Sonntag den bisher heftigsten Schlagabtausch seit Beginn des Grenzkrieges im Oktober. Kurz nach den israelischen Luftangriffen schoss dann die Schiitenmiliz unzählige Drohnen und Raketen hinüber ins Nachbarland, von denen manche – so behauptet die Truppe stolz – bis nach Tel Aviv gelangt seien.

Auch wenn Tel Aviv nicht getroffen wurde – schnell bestätigte sich, was viele vermuteten: Bei der Hizbullah-Aktion hatte es sich offenbar um die lange erwartete Vergeltung für den Tod des Hizbullah-Führers Fuad Shukr gehandelt. Am späten Sonntagnachmittag meldete sich dann der Hizbullah-Chef Hassan Nasrallah zu Wort und stellte klar: Die Rache ist offenbar erst einmal vollzogen worden.

Nasrallah, der immer wieder lächelte, schien zufrieden. Man habe eine Zentrale des israelischen Militärgeheimdienstes bei Tel Aviv angegriffen, sagte er – und den Feind damit schwer getroffen. Die heftigen israelischen Angriffe erwähnte er nur nebenbei. Dabei seien bloss ein paar Abschussrampen zerstört worden. Man solle sie nicht überbewerten, die Israeli würden sowieso lügen – und damit einmal mehr ihre Schwäche zeigen.

«Eine Eskalation ist unwahrscheinlicher geworden»

Der Hizbullah-Chef ist aber nicht der Einzige, der mit dem Ausgang des Gefechts offenbar zufrieden ist. Auch in Israel wird es als Erfolg gesehen. Man habe dem Hizbullah einen massiven Schlag versetzt und sei mit einer präventiven Aktion einem geplanten Grossangriff zuvorgekommen, hiess es von dort. Dass eine Geheimdienstzentrale getroffen worden sei, dementierten die Israeli. Anzeichen von schweren Schäden gibt es auch sonst kaum.

Dass beide Seiten jetzt einen Erfolg feiern, könnte sich möglicherweise beruhigend auf die jüngst extrem angespannte Lage in Nahost auswirken. «Weil Israel den Hizbullah-Angriff erfolgreich abwehren konnte, ist eine Eskalation unwahrscheinlicher geworden», erklärt der israelische Sicherheitsexperte Danny Citrinowicz. Nun sei Israel nicht gezwungen, in einem grossen Ausmass auf den Angriff zu antworten.

Gleichzeitig könne aber auch der Hizbullah den Angriff als einen Sieg für sich reklamieren – da er eine sehr viel grössere Operation als in der Vergangenheit durchgeführt habe, die auch Ziele im Zentrum Israels ins Visier genommen habe. Dass die Raketen dabei offenbar so gut wie nicht durchkamen, scheint für die Miliz vordergründig keine Rolle zu spielen. Nasrallah schien beinahe glücklich darüber, den Vergeltungsschlag endlich hinter sich gebracht zu haben.

Iran hat kein Interesse an einem Krieg

Neben dem Hizbullah schwor allerdings auch Iran Rache, nachdem Israel fast zeitgleich mit Shukr in Beirut ebenfalls den Hamas-Politbürochef Ismail Haniya in Teheran getötet hatte. Lange wurde daher spekuliert, ob Iran und die von Teheran unterstützte libanesische Schiitenmiliz gemeinsam angreifen würden.

«Ein gemeinsamer Angriff Irans und des Hizbullah war das gefährlichste Szenario für Israel», sagt der israelische Iran-Experte Danny Citrinowicz. Ein gleichzeitiger Grossangriff wäre schwieriger abzuwehren gewesen und hätte die Wahrscheinlichkeit für einen grossen Krieg in der Region erhöht.

«Dass Iran nicht gemeinsam mit dem Hizbullah angegriffen hat, ist ein wichtiger Hinweis darauf, dass Teheran kein Interesse an einem ausgeweiteten Krieg hat», so Citrinowicz. Der ehemalige Leiter der Iran-Abteilung im israelischen Militärgeheimdienst geht nun von einer begrenzten iranischen Vergeltungsaktion aus.

Die Verhandlungen um Gaza gehen weiter

Dies deckt sich mit Äusserungen aus Teheran: Erst vor wenigen Tagen deutete ein hochrangiger iranischer General an, das Land werde seine Vergeltung wahrscheinlich weiter hinauszögern. Laut Medienberichten soll Iran möglicherweise sogar ganz auf eine Vergeltung verzichten, falls in Gaza die Waffen schweigen.

Die gleichzeitig stattfindenden Verhandlungen über einen Waffenstillstand im Gazastreifen wurden durch die kurzzeitige Eskalation an Israels Nordgrenze offenbar nicht negativ beeinflusst. Eine israelische Delegation, angeführt von dem Mossad-Chef David Barnea, brach am Sonntag wie geplant nach Kairo auf, um die Gespräche mit den internationalen Vermittlern fortzusetzen.

Der Hizbullah hat seit langem angekündigt, seine Angriffe einzustellen, sobald ein Waffenstillstand im Gazastreifen herrscht. Ein Erfolg bei den Verhandlungen sei der einzige Weg, um eine weitere Eskalation an anderen Fronten zu vermeiden, sagt auch Citrinowicz. «Ohne einen Waffenstillstand in Gaza werden wir an der Nordgrenze zu einer Situation zurückkehren, wie sie seit dem 8. Oktober existiert. Beide Seiten spielen weiterhin mit dem Feuer.»

Hassan, der Hühnerjäger

Allerdings liegen die Hamas und Israel in ihren Positionen offenbar immer noch weit auseinander. In Libanon herrscht am Sonntagabend trotzdem vorerst Erleichterung. Schliesslich hatte Nasrallah höchstpersönlich angekündigt, dass das Land jetzt wieder durchatmen könne – wohlwissend, dass auch viele Libanesen alles andere als erpicht darauf waren, ihr Land in einen Krieg stolpern zu sehen.

Seine Anhänger feierten die Operation des Hizbullah derweil als grossen Erfolg. Andere sehen sie hingegen weniger glorreich: Nachdem bekannt geworden war, dass die Miliz bei ihrem Angriff auf Israel angeblich auch eine Hühnerfarm getroffen hat, verspotteten manche Libanesen Nasrallah im Internet als «Hassan, den Hühnerjäger.»

Mohammed, der Cafébesitzer in der Grenzstadt Marjayoun, hat hingegen andere Sorgen. «Der Krieg ruiniert mein Geschäft», sagt er, während er die Kaffeebecher abräumt. «Und daran wird sich in jedem Fall erst einmal nichts ändern.»

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