Dienstag, Oktober 1

Für das Statthalteramt Winterthur war klar: Die Eltern wollten die von der Schulpflege abgelehnte Dispensation ihrer Tochter aushebeln. Das Bezirksgericht beurteilt den Fall nun völlig anders.

Es kommt eher selten vor, dass Eltern wegen Missachtung ihrer Pflichten bezüglich des Schulunterrichts ihrer Kinder vor Gericht stehen. Meistens geht es darum, dass Familien länger ins Ausland verreisen, als es die Dauer der Schulferien erlaubt. Dieser Wunsch besteht häufig bei Menschen, die in die Schweiz gezogen sind und den Kontakt zu Verwandten in der Heimat pflegen wollen.

Doch das muss keineswegs so sein, und ob die Eltern pflichtwidrig handeln, kommt stark auf die Umstände im Einzelfall an. Das zeigt sich am Dienstag an einer Verhandlung vor dem Bezirksgericht Winterthur.

Laut dem Zürcher Volksschulgesetz gehört es zu den Pflichten der Eltern, dass sie für den regelmässigen Schulbesuch ihrer Kinder verantwortlich sind. Wenn sie vorsätzlich dagegen verstossen, können sie mit einer Busse bis 5000 Franken bestraft werden. Das Statthalteramt wollte die Eltern aus dem Raum Winterthur mit je 2000 Franken büssen. Weil sie die Strafbefehle anfochten, wurde eine Beurteilung durch das Gericht nötig.

Gesuch nur für ein Kind bewilligt

Aus den Strafbefehlen geht hervor, dass die Mutter und Lebenspartnerin des ebenso beschuldigten Vaters im September 2022 für die beiden gemeinsamen, damals 11- und 9-jährigen Töchter bei der Primarschulpflege ihrer Wohngemeinde um eine Dispensation vom Unterricht ersucht hatte. Als Grund gab sie an, die Familie wolle mehr als lediglich während zwei Wochen Schulferien ins Ausland verreisen. Zweck sei, den Bruder der Mutter und Patenonkel der einen Tochter in der Dominikanischen Republik zu besuchen.

Die Schulpflege lehnte das Gesuch für die ältere Tochter ab. Dies mit der Begründung, dass bereits 2017 ein Gesuch für sie bewilligt worden sei. Praxis sei aber, während der gesamten Schulzeit nur ein solches Ersuchen zu genehmigen. Der Antrag für die 9-jährige Tochter wurde hingegen bewilligt. Im November 2022 wiederholte die Mutter ihr Anliegen, das im folgenden Monat erneut auf gleiche Weise beantwortet wurde.

In der Folge zogen die Eltern das bewilligte Gesuch zurück und meldeten beide Töchter per 20. März 2023 wegen eines längeren Auslandaufenthalts vollständig von der Schule ab. Die Schulpflege informierte daraufhin die Mutter, dass eine Abmeldung erst ab einer Abwesenheit von mindestens 12 Wochen möglich sei. So steht es in der Verordnung zum Volksschulgesetz.

Anfang Juni 2023, also vor Ablauf dieser Frist, meldete die Mutter die beiden Töchter wieder bei der Schulleitung für den Unterricht an. Als Grund gab sie an, sie seien aus familiären Gründen vorzeitig aus dem Ausland zurückgekehrt. Die Schulpflege schaltete das Statthalteramt Winterthur ein.

Vor der Behörde gab der Vater im Februar an, seine Lebenspartnerin habe im Verlauf der Ferien einen Kreislaufzusammenbruch erlitten. Er verweigerte, immer gemäss Strafbefehl, weitere Aussagen zum gesundheitlichen Vorfall und konnte dazu auch keine Belege vorweisen. Ausserdem führte er an, die jüngere Tochter habe starkes Heimweh verspürt, weshalb die Familie vorzeitig die Heimreise angetreten habe.

Das Statthalteramt beurteilte diese Aussagen als Schutzbehauptung, mit der die Eltern das abgewiesene Dispensationsgesuch hätten umgehen wollen. Es sei davon auszugehen, dass niemals ein Auslandaufenthalt von mehr als 12 Wochen geplant gewesen war. Die Kinder seien damit insgesamt 10 Wochen unentschuldigt dem Unterricht ferngeblieben, da für diese Dauer eine Dispensation erforderlich gewesen wäre und eine Abmeldung nicht mehr zur Anwendung kommen konnte.

Pläne geändert

Die Verteidigerin ergänzt diese Version der Geschichte am Dienstag vor dem Bezirksgericht in einigen Punkten. So habe das Elternpaar zunächst um drei Wochen Dispensation ersucht, damit die Familie zusammen mit den Schulferien im Frühling 2023 während fünf Wochen verreisen konnte. Die Ferien seien für die Zeit nach der Aufnahmeprüfung der älteren Tochter ins Gymnasium geplant gewesen.

Nach der Ablehnung des einen Gesuchs änderten die Eltern laut ihrer Anwältin die Pläne grundlegend und meldeten die Töchter vom Unterricht ab, was grundsätzlich möglich ist. Von der Möglichkeit einer Planänderung ist im Strafbefehl nicht die Rede. Unklar bleibt, ob die Gründe für die vorzeitige Rückkehr zutreffen. Die Eltern machen vor Gericht keine Aussage. Die Mutter sagt lediglich im Schlusswort, sie habe einen spontanen Ohnmachtsanfall erlitten, und die jüngere Tochter habe Heimweh gehabt.

Unvorhersehbare Ereignisse könnten eintreffen, stellt die Verteidigerin fest. Indem die Eltern ihre Kinder nach der vorzeitigen Rückkehr sofort wieder zum Unterricht anmeldeten, hätten sie sich sogar mustergültig verhalten. Sie forderte die Einzelrichterin auf, dieser «kafkaesken Justiz-Odyssee» ein Ende zu bereiten.

Formeller Strafantrag unnötig

Die Richterin folgte der Verteidigung auf der ganzen Linie und sprach die Eltern vollumfänglich von den Vorwürfen des Statthalteramts frei. Sie erhalten eine ungekürzte Entschädigung für die Anwaltskosten. Entscheidend sei, ob sie mit der Absicht gehandelt hätten, den Entscheid der Schulpflege zu umgehen und von Anfang an eher heimkehren wollten, sagt die Richterin. Für sie bestehen aber gute Gründe, dass das Paar nach der Ablehnung des einen Gesuchs seine Pläne änderte und später ungeplant früher zurückkehrte.

In einem Punkt widerspricht das Gericht der Verteidigung. Diese stellte zunächst den Antrag, das Verfahren einzustellen, denn es liege gar kein rechtsgültiger Strafantrag der zuständigen Schulpflege vor. Auch sei unklar, ob diese Kollegialbehörde einen entsprechenden Beschluss gefasst habe.

Im Volksschulgesetz steht zwar, wer gegen die Elternpflichten verstosse, könne «auf Antrag der Schulpflege» bestraft werden. Die Richterin stellt sich jedoch auf den Standpunkt, da es im vorliegenden Fall um Verwaltungsstrafrecht gehe, lasse sich daraus nicht ableiten, es handle sich um ein Antragsdelikt wie im Strafrecht. Die Schulpflege hat demnach ausreichend gehandelt, als sie die Unterlagen relativ formlos an das Statthalteramt weiterreichte.

Die Beantwortung der Frage, ob das Dispensationsgesuch für die ältere Tochter zu Recht abgewiesen wurde, ist nicht Sache des Gerichts. Die Richterin meint versöhnlich, die von der Verteidigung eingereichten Zeugnisse der Töchter zeigten, dass die zehnwöchige Reise zu keinen schulischen Einschränkungen geführt habe. Im Übrigen hoffe sie, dass sich die Geschichte nun erledigt habe.

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