Pasqualina Perrig-Chiello erforscht Langzeitbeziehungen. Sie erklärt, wie eine lebenslange Liebe gelingt, und warum sexuelle Treue eher unrealistisch ist. Teil 1 unserer Serie «Alte Lieben».

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Pasqualina Perrig-Chiello hatte nie geplant, alte Menschen zu erforschen. Als Entwicklungspsychologin hatte sie sich anfänglich vorwiegend mit Kindern und Jugendlichen befasst. Doch ausgerechnet die Arbeit mit älteren Menschen sollte sie zu einer der bekanntesten Beziehungsforscherinnen der Schweiz machen.

Perrig-Chiello arbeitete vor ihrer Emeritierung als Professorin an der Universität Bern. 2011 liess sie sich auf ein Forschungsprojekt mit Personen im mittleren und höheren Alter ein. Schon bald merkte sie: Wenn man etwas über das Geheimnis erfolgreicher Beziehungen erfahren will, sollte man nicht nur jene Paare befragen, die schon seit Jahrzehnten zusammen sind, sondern auch jene, die es nach jahrzehntelanger Ehe nicht mehr sind.

Die Forscherinnen und Forscher befragten 1100 Menschen zwischen vierzig und neunzig Jahren, die sich nach über zwanzig Jahren scheiden liessen. Zum Vergleich befragte das Team über 1000 Personen, die langjährig und in erster Ehe verheiratet sind.

Pasqualina Perrig-Chiello erhielt damit erstmals einen tiefen Einblick in die Psyche von Schweizer Paaren. Ein Gespräch über das Geheimnis einer langen Ehe, die Angst vor dem Alleinsein und Intimität im Alter.

Frau Perrig-Chiello, wir sind umgeben von romantischen Filmen, von Lovesongs und schnulzigen Romanen. Die Idee der ewigen Liebe ist omnipräsent. Sie aber stören sich an dem Begriff. Warum?

Ewige Liebe, das baut einen enormen Druck auf. Der Begriff gibt vor, dass die Liebe ewig so bleiben müsse wie am Anfang. Häufig höre ich, wie sich Leute über ihre Beziehung beklagen und sagen: «Es ist halt nicht mehr gleich wie früher.» Und ich denke mir: Natürlich nicht, was für eine naive Vorstellung.

Sie sind seit fünfzig Jahren mit Ihrem Mann verheiratet. Damit kommen Sie der «ewigen Liebe» doch ziemlich nahe.

Ja, aber auch bei uns ist es nicht mehr so wie am Anfang. Liebe ist ein dynamischer Prozess, sie verändert sich immer wieder. Als Paar ist man gefordert, sich immer wieder neu zu definieren. Und Krisen gehören dazu.

Krisen?

Ja, sie sind wichtig, da sie uns zwingen, das Bisherige zu hinterfragen und etwas zu ändern. Eine überwundene Krise schweisst meistens zusammen. Ich werde immer hellhörig, wenn jemand sagt: «Wir haben uns immer super verstanden», oder: «Wir hatten nie Streit.» Das glaube ich nicht. Es gibt so viele mögliche Interessenkonflikte in einer Beziehung: Beruf, Partnerschaft, Kinder, Familie. Deshalb sage ich: Streitet euch, tragt es aus. Das ist wichtig.

Die ewige Liebe aber zelebriert das Gegenteil von Krisen. Die gute, schöne, nie zu Ende gehende Lovestory. Warum ist das ein Problem?

Die Sehnsucht nach ewiger Liebe, die sich in Filmen, Songs oder Romanen spiegelt, ist in der heutigen Realität weniger denn je möglich. Die Ansprüche an eine Partnerschaft und an die Ehe sind gestiegen. Heute ist die Ehe nicht mehr bloss eine Zweckgemeinschaft, wir heiraten aus Liebe. Wir sind so frei, unser Leben zu gestalten, wie keine Generation zuvor. Und zumeist gilt der Primat des persönlichen Glücks. Oft höre ich die Phrase: Es muss für mich stimmen. Ich mag diesen Satz nicht.

Was ist daran falsch?

Darin steckt der Keim des Scheiterns. Denn: Es muss auch für den anderen stimmen. Eine Beziehung ist immer ein Kompromiss.

Expertin für Alters- und Beziehungsfragen

PD

Pasqualina Perrig-Chiello zählt mit 72 Jahren mittlerweile zu jenen Menschen, die sie selbst erforscht. Die emeritierte Professorin der Universität Bern gilt als Schweizer Expertin für Alters-, Generationen- und Beziehungsfragen. Als Autorin hat sie mehrere Bücher zum Thema publiziert. So etwa «Wenn die Liebe nicht mehr jung ist. Warum viele langjährige Partnerschaften zerbrechen und andere nicht» (2017) oder «Own your Age. Stark und selbstbestimmt in der zweiten Lebenshälfte», das im August letzten Jahres in der dritten Auflage erschienen ist.

Haben wir zu hohe Ansprüche an eine Beziehung, die Ehe, die Liebe?

Ja. Die Liebesheirat war zwar ein grosser Gewinn. Endlich durfte man selbstbestimmt aufgrund von Zuneigung zusammen sein. Aber genau das ist der wunde Punkt: Was, wenn diese romantische Liebe sich wandelt – oder, noch schlimmer, wenn sie weg ist? Gefühle verändern sich nun mal. Wer eine lebenslange Beziehung anstrebt, muss die Liebe immer wieder den Umständen anpassen.

Ist es denn überhaupt erstrebenswert, sich bis ans Lebensende zu lieben?

Forschungsdaten zeigen: Menschen in festen Beziehungen sind gesünder, und sie haben eine längere Lebenserwartung als solche ohne feste Partnerschaft. Intuitiv spürt jeder, dass in der Zweisamkeit und im Eingebettetsein das Wohlbefinden liegt. Dieses Grundbedürfnis ist universell und zeitübergreifend: Der Mensch braucht verbindliche, intime Nähe, gegenseitige Unterstützung und Vertrauen, um sich entfalten und wohlfühlen zu können.

Es heisst, Männer profitierten generell mehr von einer Beziehung als Frauen. Stimmt das?

Ja. Verheiratete Männer sind nachweislich gesünder und leben länger. Der Effekt lässt sich bei den Frauen so nicht nachweisen. Bei ihnen spielt es diesbezüglich kaum eine Rolle, ob sie verheiratet sind oder nicht.

Wie lässt sich das erklären?

Frauen sind fürsorglicher, was auch mit dem immer noch vorherrschenden Rollenverständnis zusammenhängt. Frauen unterstützen, sie haben ein grösseres gesundheitliches Wissen und achten mehr auf die Gesundheit – auch auf die des Partners.

Es gibt aber Menschen, die sagen: Ich brauche keine dauerhafte Beziehung, ich will das auch nicht, und mich nervt es, dass das überall propagiert wird.

Ja, manche mögen diese Einstellung haben. Doch die Mehrheit sieht das erwiesenermassen anders. Und auch die Tatsache, dass Menschen nach gescheiterten Beziehungen trotzdem wieder Partnerschaften eingehen, bestätigt das. In unserer Langzeitstudie haben viele frisch Geschiedene gesagt, sie wollten auf keinen Fall wieder eine Beziehung eingehen. Nach vier bis sechs Jahren waren die meisten wieder liiert.

Heute gibt es ja auch andere Möglichkeiten, zusammen zu sein: polyamouröse oder offene Partnerschaften zum Beispiel oder «Friends with Benefits», also Freunde, die Sex haben. Hat die klassische monogame Beziehung bald ausgedient?

Nein, ich bin überzeugt, dass die monogame Beziehung weiterhin existieren wird, wenn auch mit Ausrutschern, mit Affären. Eben weil sie vielen Paaren als unendliche Kraftressource dient.

Aber auch gute monogame Beziehungen können einschlafen, wenn das Aufregende und das Neue fehlen. Manche Paare entschliessen sich dann, ihre Beziehung zu öffnen. Ist das denn schlimm?

Es muss für beide stimmen, und beide müssen gleichermassen einverstanden sein. Die Beziehung zu öffnen, bedeutet, dem anderen zu vertrauen. Es heisst: Wir bleiben zusammen, aber loten neue Formen aus. Wenn das für beide stimmt, ist es gut.

Und funktioniert das auch?

Nicht nur die klinische Praxis zeigt, dass eine offene Beziehung meistens für jemanden in der Beziehung nicht aufgeht. Die Toleranz ist oftmals doch nicht so gross, wenn es gegen einen selbst geht. Interessant ist: Obwohl wir alle immer offener werden und die persönliche Freiheit propagieren, war der Exklusivitätsanspruch noch nie so hoch. Im Grunde möchten die meisten eben doch der oder die Einzige für jemanden sein.

Auf Dating-Apps boomen Polyamorie und Casual Dating, und Sie sagen, dass wir alle am liebsten nur einen Einzigen hätten. Stimmt das wirklich?

Umfragen wie die Shell-Jugendstudie aus Deutschland zeigen einerseits, wie wichtig Treue für junge Menschen ist. Wir sehen, dass emotionale und sexuelle Treue für sie untrennbar verknüpft sind. Andererseits haben wir durch die Liberalisierung der Werte und durch die digitalen Medien so viele Möglichkeiten wie nie zuvor. Das erschwert die Treue im Laufe der Jahre offensichtlich: Untreue ist ein Hauptgrund für Trennungen und Scheidungen.

Sie unterscheiden zwischen sexueller und emotionaler Treue. Wie geht man emotional fremd?

Wenn man sich in jemand anderes verliebt und den neuen Partner emotional höher bewertet als den bisherigen. In vielen längeren Beziehungen wiegt die emotionale Treue mehr als die sexuelle. Eine sexuelle Beziehung mit jemand anderem ist für viele noch kein Grund, etwas zu verändern.

Gleichzeitig hört man immer wieder, dass Treue unnatürlich sei – gerne mit Vergleichen aus dem Tierreich. Warum glauben wir trotzdem, jemandem ein Leben lang treu sein zu können?

Auch hier muss man sexuelle und emotionale Treue unterscheiden: Die sexuelle Treue scheint auf Dauer tatsächlich nicht sehr realistisch – obwohl auch da viele Menschen widersprechen würden. Emotionale Treue hingegen ist durchaus erreichbar. Bei beidem aber gilt: Treue muss man wollen. Sie ist ein Wert, auf den man sich einigen muss.

Ist uns Exklusivität also deshalb so wichtig, weil sie uns Halt gibt?

Ja. Eine dauerhafte Beziehung beruht auf Vertrauen. Untreue ist ein Angriff auf das Vertrauen und das Selbstvertrauen. Wenn man kein Vertrauen in den eigenen Partner mehr hat, wird eine Beziehung unberechenbar.

Spielt die Art und Weise, wie wir aufgewachsen sind, eine Rolle, ob wir uns eine Beziehung wünschen, die bis ans Lebensende hält?

Sehr stark sogar. Menschen, die als Kind sichere Bindungen zu engen Bezugspersonen aufbauen konnten, die also von ihnen Wärme und Zuwendung erhielten, haben mehr Vertrauen. Mehr Vertrauen in Beziehungen, aber auch mehr Selbstvertrauen. Sie streben sehr früh eine stabile Beziehungsform an. Und sie haben auch die besseren Chancen, dass sie gelingt.

Und die anderen?

Unsicher Gebundene vermeiden später oft feste Beziehungen – aus Angst, zurückgewiesen zu werden. Sie lassen sich alle Optionen offen und haben Mühe, sich festzulegen. Und dann gibt es ambivalent-unsicher Gebundene. Sie leiden an Verlustängsten, klammern sich stark an den Partner oder die Partnerin. Beide Bindungstypen haben etwas gemeinsam: dass sie als Kind keine sichere Bindung zu engen, vertrauensvoll umsorgenden Bezugspersonen haben aufbauen können.

Was sagt dieses frühkindliche Beziehungsmuster über unsere Persönlichkeit aus?

Menschen mit sicherer Bindung sind in der Regel emotional stabiler. Sie sind offener für Neues, sind extrovertierter und gehen eher auf Menschen zu. Im Gegenzug sind unsicher Gebundene emotional weniger stabil, haben wechselnde Stimmungen und eine stärkere Selbstzentrierung. Wer eher psychisch labil ist, hat es schwerer in Beziehungen. Die Stimmung verändert sich oft, man kann nicht gleichermassen auf sie zählen, und sie sind sehr stark mit sich selbst beschäftigt. Solche Menschen haben zumeist auch weniger die Fähigkeit, zu spüren, was in ihrem Partner vorgeht.

Also könnte man sagen: Wenn jemand den Wunsch hegt, eine dauerhafte Beziehung einzugehen, dann ist das ein gutes Zeichen?

Ja, eigentlich schon. Wobei wahrscheinlich alle diese Sehnsucht haben. Sicher gebundene Menschen haben aber eher die Möglichkeit, das zu realisieren. Und sie sind auch offener dafür. Jemand, der unsicher gebunden ist, wird sich zehnmal hinterfragen, ob er das überhaupt will. Oder er probiert es immer wieder und scheitert.

Nehmen wir einmal an, ein Paar schafft es, ein Leben lang zusammenzubleiben. Ist das Eigenleistung oder Glück?

Etwas Glück braucht es schon auch, aber in erster Linie ist es Arbeit.

Arbeit?

Aus der Forschung wissen wir: Es gibt klare Kennzeichen für eine lange und gute Beziehung. Und diese sind letztlich: Wertschätzung, Kommunikation und nochmals Kommunikation. Was wir aber stattdessen oftmals sehen, ist ein gemeinsames Verstummen – der häufigste Scheidungsgrund nach langjähriger Ehe.

Das sind dann diese Paare, die man manchmal im Restaurant sieht. Die sich zwei Stunden gegenübersitzen und praktisch kein Wort miteinander sprechen.

Ja, da denke ich oft: O je, habt ihr nichts Gemeinsames mehr? Nichts Spannendes, worüber ihr sprechen könnt?

Wie passiert so etwas?

Meistens haben sich die Leute in verschiedene Richtungen entwickelt. Für eine gute Beziehung braucht es eine ausgeglichene Balance: Wir müssen uns selbst als Person weiterentwickeln können, aber auch als Paar, gemeinsam. Das heisst: Man lässt einander Raum für die eigene Entwicklung, ohne dabei die gemeinsame Entwicklung als Paar zu vernachlässigen – zum Beispiel durch Kinder, durch Hobbys.

Dann gibt es aber auch Paare, die sich mit dieser Langeweile zufriedengeben. Das Feuer ist längst erloschen, doch der Alltagstrott zu zweit ist ihnen immer noch lieber, als alleine zu sein. Kennen Sie dieses Phänomen?

Ja. In unserer Studie waren 42 Prozent der langjährig Verheirateten nicht glücklich mit ihrer Beziehung. Wir sehen: Die Dauer einer Partnerschaft sagt wenig darüber aus, wie gut eine Beziehung ist.

Warum bleibt man in einer kaputten Ehe?

Oft aus Angst vor der Einsamkeit. Einsamkeit ist schmerzhaft und kann krank machen. In unserer individualistischen Gesellschaft ist die Gefahr, einsam zu sein, gross. Eine übertriebene Selbstoptimierung und die Suche nach dem noch besseren Partner können letztlich einsam machen.

Gibt es noch weitere Gründe, in einer erloschenen Beziehung zu bleiben?

Ja, etwa die Angst vor Statusverlust oder vor finanziellen Einbussen. Dies betrifft eher die Frauen als die Männer.

Könnte man sagen, dass Frauen mehr Angst vor dem Statusverlust haben und Männer mehr Angst vor der Einsamkeit?

Da ist was dran. Männer gehen nach einer Trennung meist schnell wieder eine Beziehung ein. Sie kommen nicht gut mit dem Alleinsein zurecht. Es zeigt sich auch darin, dass Witwer oftmals schnell nachsterben, wenn die Frau vor ihnen gestorben ist.

Wir haben nun über die 42 Prozent der Unzufriedenen gesprochen, die in der langjährigen Ehe bleiben. Was ist mit den Zufriedenen: Was haben sie gemeinsam?

Sie haben gemeinsame Werte. Gegensätze mögen sich anziehen, aber meist sind sie keine gute Basis für eine langfristige Beziehung. Diese Paare können miteinander über Probleme reden, sie haben dieselbe Einstellung zu Treue, und sie teilen positive Erinnerungen. Es ist zum Beispiel etwas Gutes, gemeinsam ein Fotoalbum von früher anzuschauen. Das erklärt oft, warum man noch zusammen ist. Und Humor ist natürlich auch wichtig.

Ah, der Dating-Profil-Klassiker: «Mein Traummann muss mich zum Lachen bringen.»

Es ist so trivial, aber es stimmt – auch bei mir.

Kehren wir nochmals zur Restaurant-Situation zurück: Wenn Sie dort Paare beobachten, woran erkennen Sie gute Beziehungen?

Ich finde es immer schön, wenn sich Paare berühren. Nonverbale Kommunikation ist dabei oft aufschlussreicher als die Gespräche. Es geht darum, wie sich beide anschauen, wie sie das Bedürfnis haben, sich zu berühren – da läuft ganz vieles, ohne dass ein Wort gesagt wird.

Kann man im Umkehrschluss sagen, dass Paare, die sich nicht so gerne berühren, eine schlechtere Beziehung haben?

Nein. Je nach Kultur unterscheidet sich dies stark. Aber hier in der Schweiz berührt man sich schon, und auch wenn die Körperhaltung eine Entspannung und eine Zugewandtheit zeigt, dann sagt das viel mehr als tausend Worte.

Wie wichtig ist Intimität – vor allem im Alter?

Sehr wichtig. Das Thema wird nun zunehmend erforscht. Allerdings bin ich etwas skeptisch gegenüber Umfrageergebnissen, was die Häufigkeit von sexuellen Aktivitäten generell und insbesondere im Alter betrifft.

Was ist das Problem?

Wir wissen, dass da häufig ein «Reporting Bias» mitspielt, also eine Verzerrung der Antworten: Männer tendieren dazu, eine höhere Zahl anzugeben als Frauen.

Was genau bedeutet Sexualität im Alter?

Der Begriff wird breiter interpretiert. Es geht nicht nur um Geschlechtsverkehr, sondern auch um Zärtlichkeiten, um Berührungen.

Wie etwa händchenhaltend im Park spazieren zu gehen. Solche Situationen berühren einen. Wie schafft man es dorthin?

Mit viel Liebe, mit Hoffnung, mit Dankbarkeit. Aber mit realistischen Ansprüchen, was die Beziehung anbelangt. Es hilft sehr, zu wissen, dass Meinungsverschiedenheiten und Zwischentöne normal sind.

Was braucht es noch?

Wir dürfen eine Beziehung nie als selbstverständlich anschauen. Wer das tut, leitet den Beziehungstod ein. Selbstverständlichkeiten führen zu Undankbarkeit und Unachtsamkeit.

Viele Paare schaffen es nicht, gemeinsam alt zu werden. Das häufigste Scheidungsalter liegt durchschnittlich bei 49 Jahren. Warum trennt man sich ausgerechnet dann?

Die mittleren Jahre sind intensive Jahre mit vielen Verpflichtungen – gesellschaftlich, beruflich, privat. Viele befinden sich in einer familiären Sandwich-Position: Die Kinder sind noch nicht aus dem Haus, gleichzeitig brauchen die eigenen Eltern vermehrt Hilfe. Und die Beziehung? Die hat zumeist schon Patina angesetzt.

Ein enormer Druck.

Ja, die Situation führt häufig zu Sinnfragen: Was habe ich bisher erreicht? Und wo will ich noch hin? Soll ich noch weitere zwanzig bis dreissig Jahre in einem unbefriedigenden Beruf, in einer eingeschlafenen Partnerschaft ausharren? Es ist eine Zeit, in der viele eine Chance sehen, sich in ihrem Leben nochmals neu zu orientieren.

Eine Scheidung kann in einer solch aufgeladenen Situation aber sehr kritisch sein – und sich wie ein persönliches Scheitern anfühlen.

Meist wird eine Scheidung von Betroffenen tatsächlich als Scheitern eines Lebensplans angesehen. Trennungen gehören zu den stressvollsten Lebenserfahrungen. Aber unsere Forschungsresultate zeigen, dass sich die meisten davon gut erholen: rund ein Drittel relativ schnell, weitere vierzig bis fünfzig Prozent brauchen etwas mehr Zeit. Nur zwanzig Prozent leiden auch nach mehr als vier Jahren unvermindert weiter. Damit bestätigen wir, was die Resilienzforschung schon zeigt: Wir sind robuster, als wir glauben.

Gilt das auch für Trennungen im hohen Alter?

Ja, Alter und Dauer einer Beziehung spielen hier keine Rolle. Das ist schon erstaunlich, denn man würde ja erwarten, dass es immer schwieriger wird, je älter man wird oder je länger eine Beziehung dauert. Aber das ist offenbar nicht der Fall.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Männer schneller wieder eine Beziehung eingehen, während sich einige Frauen ganz bewusst dagegen entscheiden. Warum?

Männer geben es nicht gerne zu, aber sie leiden sehr unter der Einsamkeit. Um ihr zu entgehen, binden sie sich schneller wieder. Frauen hingegen haben mehr und engere soziale Netze, und sie holen eher Hilfe. Zwar sind auch sie interessiert an einer neuen Partnerschaft, aber nicht so sehr unter demselben Dach. Die Befürchtung, nochmals Care-Arbeit leisten zu müssen, also den neuen Partner zu pflegen, sollte er krank werden, oder sich nochmals um Kinder zu kümmern, ist hier ein wichtiger Faktor.

Wie verhält es sich bei homosexuellen Paaren? Gibt es da eine andere Dynamik?

Zur Trennung und Scheidung homosexueller Paare nach langjähriger Ehe gibt es keine empirischen Arbeiten.

Kann man jede zerrüttete Beziehung retten?

Was heisst schon retten? Das finde ich einen schwierigen Begriff. Ich würde eher von Klärung sprechen. Von einer Auslegeordnung, bei der man schaut, ob es Wege gibt, die Beziehung wieder in Einklang zu bringen. Wenn man immer bei den gleichen Streitpunkten ansteht, ist es ratsam, sich professionelle Hilfe zu holen.

Und wann geht es einfach nicht mehr weiter – wann sollte man sich trennen?

Wenn man merkt, dass bei beiden kein Wille mehr da ist, zu kämpfen. Wenn also keine Motivation mehr vorhanden ist, irgendetwas an sich zu verändern, wenn man also keine Hoffnung mehr hat. Aber wie gesagt: Ich plädiere dafür, es noch einmal zu versuchen – oder Hilfe zu holen. Übrigens eine Stärke der Frauen.

Es gibt auch Paare, bei denen jemand die Trennung möchte, die andere Person dann aber total überrascht reagiert.

Ja, für einen Drittel unserer Befragten kam die Trennung komplett unerwartet. Und das bei Paaren, die seit Jahrzehnten verheiratet waren. Dieses Ergebnis hat mich und mein Team schon sehr erstaunt.

Wie kann man so lange zusammen sein und nicht bemerken, dass etwas nicht stimmt?

Häufig ist es eine verheimlichte neue Liebe. Die Betroffenen sind unsicher, wollen den Partner oder die Partnerin nicht verletzen. Sie ringen dann oft lange mit sich selbst und dem Entscheid.

Wer trennt sich eher, weil man sich fremdverliebt hat: Frauen oder Männer?

Es sind etwas mehr Männer. Generell aber lässt sich sagen, dass eindeutig mehr Frauen eine Trennung initiieren – ganz im Gegensatz zu früher. Damals mussten Frauen oft in schlechten Ehen ausharren, da sie vom Mann finanziell abhängig waren. Das Phänomen unterstreicht also auch eine Selbstermächtigung der Frau.

In Ihrem Buch beschreiben Sie das Phänomen «Grey Divorce»: Immer mehr Paare trennen sich erst im hohen Alter. Warum?

Die längere Lebenserwartung in guter Gesundheit erlaubt neue Freiheiten der Lebensgestaltung. Niemand muss mehr in unbefriedigenden Ehen ausharren. Man kann sich also auch nach der Pensionierung und darüber hinaus nochmals privat neu orientieren.

Ist das Pensionsalter deshalb heikel, weil dann beide nicht mehr arbeiten und plötzlich viel Zeit miteinander verbringen müssen?

Das kann eine Rolle spielen, wurde aber in den Umfragen nicht prominent genannt. Häufiger hörten wir: «Er hatte eine andere», oder: «Wir haben uns auseinandergelebt.»

Suchen getrennte ältere Menschen Partnerinnen und Partner im gleichen Alter?

Die Partnerwahl ist in unserer Gesellschaft auch heute noch recht traditionell. Männer verpartnern sich oft «nach unten». Das heisst: Sie haben jüngere Partnerinnen, wobei deren sozialer Status keine grosse Rolle spielt. Anders ist dies bei älteren Frauen: Für sie zählt der soziale Status eines Mannes.

Apropos Tradition: Sie feiern dieses Jahr mit Ihrem Mann den fünfzigsten Hochzeitstag. Machen Sie ein Fest?

Trotz aller Liebe und Verbundenheit: Mein Mann und ich haben den Hochzeitstag nie speziell gefeiert. Das war immer irrelevant für uns. Vielmehr zählte für uns, zusammen zu sein und sich zu lieben. Sie müssen verstehen: Wir beide kamen in den 1970er Jahren zusammen, in der Hippie-Zeit. Da spielten traditionelle Bräuche keine Rolle mehr. Man heiratete ohne Kniefall, Diamantring und solches Zeug. Das fanden wir so was von bourgeois! (Lacht.)

Aber den fünfzigsten!

Unsere Söhne und Schwiegertöchter möchten gern ein Fest. Und sie werden wohl so etwas in die Wege leiten.

Feiern Sie dann mit?

Ja, klar! Wenn es der Familie Freude macht, dann sind wir natürlich mit von der Partie.

In der Serie «Alte Lieben» interviewen wir künftig alle zwei Wochen ein hochbetagtes Liebespaar. Die erste Folge erscheint am 8. März 2025.

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