Die Geschichte eines Streits, der kein Ende findet.
Sechs Jahre lang haben Stefan Kreis und sein Ehemann Thomas Müller mit ihrer Nachbarin gerungen. Nun haben sie aufgegeben. Sie ziehen aus. Nicht nur aus ihrer Wohnung, sondern gleich aus der Stadt und dem Kanton.
Kreis und Müller, die wie alle Personen in diesem Artikel anders heissen, leben jetzt in Basel. In einem Abschiedsbrief an ihren Freundeskreis schreiben sie: «Wir haben uns entschieden, von Zürich wegzuziehen. Der Grund ist eine schwer psychisch kranke Querulantin und strafrechtlich verurteilte Stockwerkeigentümerin. Die Zürcher Kuscheljustiz ist unfähig und vor allem auch nicht willens, uns als Bürger vor dieser Person zu schützen.»
Der Auszug der beiden ist ein unrühmliches Kapitel in einem aussergewöhnlichen Nachbarschaftsstreit, der sich in einem ruhigen Zürcher Aussenquartier abspielt. In einem Mehrfamilienhaus mit sechs Eigentümerparteien beginnt eine Frau eines Tages, ihre Nachbarn zu drangsalieren – nach Jahren friedlichen Zusammenlebens und aus nichtigem Anlass.
Gift, imaginierte Sexorgien und der Griff an Brustwarze
Monica Cox, gebürtige Britin und Mitte fünfzig, stiehlt jahrelang, was im Treppenhaus nicht niet- und nagelfest ist. Sie vergiftet mutmasslich den Garten, so dass alle Pflanzen absterben und das Erdreich ausgebaggert werden muss. Sie greift Hausbewohner tätlich an. Sie behauptet, Nachbarn feierten Orgien miteinander oder vergingen sich an ihren Haustieren.
Den Behörden ist sie bestens bekannt. Nicht nur weil sie auch Anwälte und Richter mit böswilligen Unterstellungen attackiert, wenn diese nicht in ihrem Sinne agieren.
Cox hat eine Ausbildung als Aktuarin, lebt aber mutmasslich aufgrund einer psychischen Erkrankung seit Jahren von einer IV-Rente. Sie nutzt ihre freie Zeit, um die Gerichte zu beschäftigen. Sie streitet nicht nur mit ihren Nachbarn: Selbst die ZVV-Busse wegen Schwarzfahrens ficht sei über alle Instanzen an.
Ein Gutachter hat schon Jahre vor dem Nachbarschaftsstreit eine «wahnhaft-querulatorische Störung» diagnostiziert. Damals stand die Frau wegen Stalking vor Gericht. Der Gutachter erachtete eine Verwahrung in einer Institution als angemessen, wovon die Gerichte absahen.
Im Frühling dieses Jahres machten die Wohnungseigentümer den Fall öffentlich. Sie erhofften sich auf den Artikel in der NZZ eine Reaktion der kantonalen Justizbehörden. Doch diese ist ausgeblieben.
Fachleute sind der Meinung, dass die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) durchaus Instrumente hätte, in einer solchen Angelegenheit zu intervenieren. Im äussersten Fall mit einer sogenannten amtlichen fürsorgerischen Unterbringung.
Die Nachbarn sind über eine Drittperson an die Justizdirektorin Jacqueline Fehr (SP) gelangt mit der Bitte um eine Einschätzung. Fehr hält in der Antwort fest: «Es fehlt an einer Task-Force-ähnlichen Arbeitsweise: Alle involvierten Personen und Ämter sitzen an einem Tisch und planen das Vorgehen. Dafür wird eine Delegierte eingesetzt, die im Auftrag der Task-Force nach einem vereinbarten Plan handelt. Das könnte erfolgreich sein.» Aber auf diese Weise arbeite das fein strukturierte System nicht.
Eine Antwort, die die Nachbarn irritiert: Die Justizdirektorin wüsste, wie man handeln müsste, und trotzdem passiert nichts.
Fehr sagt auf Anfrage der NZZ, sie könne den Frust der Nachbarn sehr gut nachvollziehen. Nachbarschaftsstreitigkeiten seien enorm belastend. Sie habe den Eindruck, dass es im vorliegenden Fall zu einer Totalblockade gekommen sei, die nur Verlierer zurücklasse.
Klar ist, dass die Justizdirektion keinen Einfluss auf einen Einzelfall nehmen darf – aufgrund der Gewaltenteilung und der fehlenden Zuständigkeit. Die Politik kann jedoch Schwerpunkte setzen, wie das der Regierungsrat in anderen Politikfeldern wie beispielsweise der Pädokriminalität im Internet oder beim Kampf gegen die organisierte Kriminalität tut.
Im vorliegenden Fall sieht Fehr allerdings keine Möglichkeit. Es bestünden bereits Gremien, deren Aufgabe die Mediation sei – konkret die Friedensrichterämter und die Ombudsstellen. Wenn diese Stellen einen Fall nicht bewältigen könnten, dann komme das System an seine Grenzen. Es bleibe nur noch der Rechtsweg.
Fehr sagt: «Wir haben keine allmächtige Staatsmacht, sondern eben nur eine begrenzte.» Grenzen würden dem System auch dadurch gesetzt, dass sich Beschuldigte selbst gegen die Umsetzung von Urteilen wehren könnten. Und dass Zwangsmassnahmen nur sehr zurückhaltend eingesetzt würden.
In Einzelfällen könne es dadurch zur allseitigen Ohnmacht kommen, sagt Fehr. «Diese Grenzen der Macht und der Möglichkeiten sind der Preis, den wir bezahlen, wenn wir ein liberales Rechtssystem wollen.»
Die Nachbarn hadern mit einer Justiz, die für den Umgang mit schweren Taten eingerichtet ist. Die aber nicht umgehen kann mit Taten, die im Einzelnen wie Bagatellen erscheinen mögen, in der Summe aber ernst zu nehmen sind. Und sie fragen sich, warum es selbst nach rechtskräftigen Urteilen nicht zum Vollzug komme.
Müllsäcke auf dem Balkon – ein Fall fürs Bundesgericht
Was das heisst, zeigt das Beispiel von Katja Meier. Das schummrige Licht auf ihrer Loggia ist einer von über hundert Fällen, in denen sich das höchste Gericht des Landes mit Cox auseinandersetzen musste.
Eigentlich sollte Licht durch die Oberlichter in ihre Loggia dringen. Aber Monica Cox, die im oberen Stockwerk wohnt, deckt die Oberlichter seit vier Jahren mit Müllsäcken ab, weil sie unten Kameras vermutet.
Das Bundesgericht urteilte gegen Cox. Aber diese folgt dem Urteil nicht. Eine Strafanzeige wegen Nichtbefolgung blieb über eineinhalb Jahre liegen. Dann wurde Meier von der Polizei zur Befragung aufgeboten – ganz so, als hätte es nie ein Bundesgerichtsverfahren gegeben. Mit Monica Cox hingegen hätten sie «leider noch keinen Termin für eine Einvernahme» finden können, hätten die Polizisten ihr beschieden.
Genau diese Situation erleben die Nachbarn immer wieder aufs Neue. Cox versteht sich bestens darauf, Verfahren durch Einsprachen zu verschleppen. Wenn Gerichtstermine anstehen, ist sie krank, in den Ferien oder bringt einen anderen Grund für ihre Absenz vor.
Gravierender als der düstere Balkon der Meiers ist Cox’ Verhalten nach einem Wasserschaden, der im Herbst vor einem Jahr an der Fassade entstanden ist. Für eine umfassende Reparatur müssten die Handwerker auch ihre Wohnung betreten können. Weil sie dies verweigert, dürfte es zu weiteren Schäden kommen.
Nicht nur die Nachbarn leiden, sondern auch Monica Cox selbst. Gemäss den Beobachtungen der Nachbarn ist sie sozial völlig isoliert. So beschreibt es Armin Baur, einer der Stockwerkeigentümer.
Betreibungen in der Höhe von 260 000 Franken
Er sagt, sie verbarrikadiere sich in ihrer Wohnung und empfange keine Besuche. Sämtliche Jalousien seien dauernd heruntergelassen. Wohnzimmer, Schlafzimmer und Badezimmer seien meist während 24 Stunden beleuchtet. Auf wiederholte Anfragen der NZZ reagiert Cox nicht.
Baur vermutet, dass Cox schon vor Jahren die Übersicht über ihre finanziellen Verhältnisse verloren hat. Er hat die Summe der laufenden Betreibungen gegen sie zusammengerechnet und kommt auf 260 000 Franken. Unter anderem bezahlt sie seit 2011 mit wenigen Ausnahmen keine Steuern mehr und wurde rechtskräftig wegen Steuerhinterziehung verurteilt.
Hinzu kommt die Forderung der Stockwerkeigentümer wegen der nicht bezahlten Beiträge. Diese allein beläuft sich auf 245 000 Franken. Weil sie seit 2018 nichts mehr an die anfallenden Kosten des Hauses bezahlt, lebt sie auf Kosten ihrer Nachbarn, gegen die sie in hoher Kadenz klagt und die sie mit Betreibungen überzieht.
Es ist gut denkbar, dass die Masse an Forderungen und Betreibungen Cox irgendwann einholt. Und dass beispielsweise ihre Wohnung gepfändet wird. Aber für die Nachbarn, die sich seit sechs Jahren mit ihr herumschlagen müssen, ist das ein schwacher Trost.
Thomas Müller war bis vor seinem Wegzug Verwalter der gesamten Liegenschaft und aus diesem Grund in besonderem Mass Zielscheibe von persönlichen Angriffen und Zivilklagen. Diese Aufgabe hat er auf Ende Jahr abgegeben.
In Basel, seinem neuen Wohnort, seien er und sein Partner Stefan Kreis rundum glücklich, sagt er im Gespräch. Es sei, als hätte man unter einem bösen Schatten gelebt, der nun verschwunden sei.
Beide sind pensioniert. Dies macht den Umzug leichter. Was mit der Wohnung nun passiert, ob sie verkauft oder vermietet wird, ist offen.
Thomas Müller und Stefan Kreis haben ihren Abschiedsbrief an ihre Freundinnen und Freunde mit Bildern von Basel verziert. Trotz der Enttäuschung mit der Zürcher Justiz habe man in Zürich tolle Zeiten erlebt, schreiben die beiden. Man halte es mit dem Oasis-Sänger Noel Gallagher: «Don’t look back in anger.»
Ihrem Schreiben schieben sie ein Postskriptum nach: In der neuen Wohnung habe es auch ein Gästezimmer mit einem 160 Zentimeter breiten Bett. Was sie nicht schreiben, aber meinen: Es steht für eine Auszeit bereit.